Der Penis-Komplex. Gerhard Staguhn. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gerhard Staguhn
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Социальная психология
Год издания: 0
isbn: 9783866746534
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Das gibt schon deshalb zu denken, weil sich ausnahmslos alle mythischen Geschlechtsakte dadurch auszeichnen, dass sie Nachwuchs zur Folge haben. Andernfalls bräuchte sie der Mythos nicht zu erzählen. Denn mit mythischen Geschlechtsakten, vornehmlich solchen zwischen Göttern und Sterblichen, soll nichts anderes als die Genealogie von Stämmen und Völkern – oder hier der ganzen Menschheit –begründet werden. Nur so funktioniert das patriarchalische Stammbaum-Denken.

      Und so entsteht ein begründeter Verdacht, den zu äußern freilich nicht leicht fällt: Adam hat seine »Männin« unter dem Baum der Erkenntnis wie einen Mann penetriert. Dies dürfte auch der Grund sein, wieso Adam danach mit seiner »Männin« während 130 Jahren nicht mehr sexuell verkehrt. Das behauptet zumindest die jüdische Sage. Nach unserer Deutung ist Adams Askese die Sühne für den analsexuellen Sündenfall. Freilich hat Adam, der ein Alter von 930 Jahren erreichen wird, noch immer genügend Zeit, um Eva ›normal‹ zu begatten und so die Gattung auf den Weg zu bringen. Doch deren Weg ist nur von kurzer Dauer. Gott wird die Menschheit, ihrer sittlichen Verderbtheit wegen, in der Sintflut ertränken. Diese Verderbtheit hat in Adam ihren Ursprung. Von ihm spannt sich ein direkter Bogen zu Sodom und Gomorra (Genesis, Kap. 18/19). Zwar teilt die Bibel nicht eindeutig mit, welche »sehr schweren« Sünden in beiden Städten begangen wurden, doch es gibt allen Grund zu der Annahme, dass es jene ›Sexual-Sünden‹ waren, die Adam mit der Unschuld des ersten Menschen in die Welt gesetzt hat: Zoophilie, Analverkehr und Inzest. Letzteren begeht Adam insofern, als Eva für ihn zweite Frau und erste Tochter zugleich ist: sein eigen Fleisch und Blut. Notgedrungen war die ganze biblische Urfamilie inzestuös. Anders hätte die Menschheit auch nicht aus ihr hervorgehen können!

      Diese drei biblischen Urformen ›perversen‹ Geschlechtsverkehrs sind im Laufe der Jahrhunderte als ›Sodomie‹ bezeichnet worden. Letztlich hat Gott selbst sie zu verantworten. Bei der Erschaffung seines menschlichen Ebenbilds ist der Allmächtige grandios gescheitert, nicht zuletzt im Hinblick auf dessen Sexualität. Den Menschen, nicht anders als den Tieren, einfach nur zu sagen: »Seid fruchtbar und mehret euch«, geht an der polymorphen ›Perversität‹ des menschlichen Sexus vorbei.

      Zweites Kapitel

      Die biologische Penis-Genese

      Dass dem Menschenmann als einzigem unter den Primatenmännern der Penisknochen (Baculum) fehlt, lässt nicht nur Adams ›Rippe‹ in einem neuen Deutungslicht erscheinen, sondern gibt auch den Evolutionsforschern ernsthaft zu denken. Was ist der Vorteil eines knochenlosen Penis?, so fragen sie sich. Das fragen auch wir uns. Erstmal keiner, denkt der stets um seine Erektionsfähigkeit besorgte Menschenmann. Hingegen liegt der Vorteil eines Penisknochens buchstäblich auf der Hand: Mit einem Knochen im Penis hätte der Mann ein Sexualproblem weniger. Er müsste in kritischer Koitussituation nicht um den Erhalt seiner fragilen Erektion fürchten. Viele Männer bräuchten keine Potenzmittel mehr zu nehmen, um ihren Penis wenigstens leidlich hochzukriegen. Die Männer hätten, egal wie impotent sie sich fühlten, ständig einen Ständer – selbst noch im Sarg.

      Doch die Evolution gehorcht einer anderen Logik: Wenn alle Männer, auch die impotenten, eine knochenharte Dauererektion vorzuweisen hätten, wäre Potenz kein Vorteil mehr bei der Partnerfindung, sondern ein allgemeines und permanentes Faktum der männlichen Sexualkonstitution. Bei den anderen Primaten spielt die Erektion als Imponierobjekt und Potenzbeweis keine Rolle, da der Penis ohnehin sehr klein ist und das Wenige auch noch vom Fellkleid größtenteils verdeckt wird. So muss man bei einem Gorilla-Mann, der durch seine stattliche Größe und offensichtliche Kraft imponiert, schon sehr genau hinschauen, um seinen kleinen, gerade mal drei Zentimeter großen Penis zu entdecken. Ohnehin ist es bei den Gorillas so, dass der überschaubare Familienverband von etwa zehn Individuen vom Silberrücken-Männchen dominiert wird, der keine Konkurrenten zu fürchten hat. Es gibt für ihn somit auch keinen Grund, mit einem möglichst großen Penis bei den Weibchen Eindruck zu machen; dafür reichen Statur und Körperkraft aus.

      Bei den Schimpansen, unseren nächsten Tier-Verwandten, sieht es allerdings schon wieder anders aus: Es gibt in den relativ großen Horden massive Konkurrenz unter den Männchen um die Gunst der Weibchen. Und so haben Schimpansen auch einen relativ großen Penis von durchschnittlich acht Zentimetern. Noch imposanter aber sind ihre Hoden: Während diese beim Gorilla jeweils nur etwa dreißig Gramm wiegen, sind es bei dominanten Schimpansen-Männchen bis zu 120 Gramm! Auch bei den eng mit den Schimpansen verwandten Bonobos – früher auch Zwerg-Schimpansen genannt – haben die Männchen stattliche Hoden, obwohl sie in Matriarchaten leben und die sexuelle Konkurrenz zwischen den Männchen deshalb keine so große Rolle spielt. Soziale Konflikte werden bei den Bonobos nur selten auf aggressive Weise ausgetragen. Sex dient ihnen als eher beiläufiger sozialer Kitt und nicht, wie bei den Schimpansen, als Grund für Konkurrenz und Streit hinsichtlich der Begattungshierarchie in der Horde. Mit einem besonders großen Skrotum beeindruckt ein Schimpansen-Männchen nicht nur die Weibchen, sondern ebenso die Rivalen im Affen-Patriarchat. Hingegen muss ein Bonobo-Männchen mit seinem Geschlechtsorgan nur die Weibchen im Affen-Matriarchat auf sich aufmerksam machen.

      Beim Menschen ist es nun so, dass zum schwach behaarten Körper ein auffallend großer Penis hinzukommt – bei ziemlich bescheidenen Hoden von gerade mal zwanzig Gramm Gewicht. Das fehlende Fell lässt den erigierten Penis noch größer erscheinen, als er eh schon ist, was, nebenbei bemerkt, wohl auch ein Motiv für männliche Intimrasur sein dürfte. Zudem rückt der aufrechte Gang den imposant aufgerichteten Phallus erst recht ins Blickfeld begattungswilliger Frauen, während das Skrotum als Imponierorgan nur eine untergeordnete Rolle zu spielen scheint. Von den meisten Frauen wird es ohnehin kaum eines Blicks gewürdigt.

      Relativ zur Körpergröße hat der Mensch den größten Penis unter den Säugetieren. Nicht einmal der Blauwal, mit bis zu dreißig Metern Länge das größte Säugetier der Erde, kann es mit seinem etwa zwei Meter langen Penis in dieser Hinsicht mit dem Menschen aufnehmen. Es scheint, als solle den Menschenfrauen der Penis des Mannes buchstäblich ins Auge springen. Bewegte sich der Mensch, wie die übrigen Primaten, nackt auf allen Vieren fort, würde ein großer Penis nur stören. Entsprechend liefe ein Gorilla mit erigiertem Zwanzig-Zentimeter-Penis ständig Gefahr, sich mit diesem im Urwaldgestrüpp zu verheddern und dabei Verletzungen davonzutragen.

      Von dem bekannten Evolutions-Forscher Richard Dawkins stammt die Hypothese, dass die männlichen Vorfahren von Homo sapiens den Penisknochen im Lauf der Evolution eingebüßt hätten, weil der knochenlose Penis den Frauen ermöglicht habe, an der Erektionsfähigkeit die sexuelle und sonstige Gesundheit der um ihre Gunst werbenden Männer abzulesen. Denn Erektionsstörungen sind bei einem jungen Mann zweifellos als bedeutsames Krankheitssymptom zu werten. Welche Frau will schon einen Mann, der keinen hoch kriegt! Nun könnte man einwenden, dass so ein Erektionstest auch für Schimpansen- oder Gorilla-Weibchen von Interesse sein könnte. Doch dafür fehlt diesen Primaten die Intelligenz, die nötig ist, um von guter Erektion auf gute Gesundheit zu schließen. Zudem kann man davon ausgehen, dass Menschenaffen-Männchen ohnehin keine Erektionsprobleme kennen; diese sind eine Folge der Kulturentwicklung beim Menschen, die höchstwahrscheinlich erst mit dem Patriarchat in Erscheinung getreten sind.

      Der große und knochenlose Penis beim Menschen ist also letztlich eine indirekte Folge des großen Menschen-Gehirns und der damit verbundenen hohen Intelligenz – in diesem Fall jener der Frauen. Evolutionsgeschichtlich ist also die Intelligenz der Frauen daran schuld, dass die Männer ohne Unterstützung eines Penisknochens erigieren müssen.

      Die Menschenfrauen, die sich auf einen Mann mitsamt seinem Penis einlassen, können auch aus anatomischen Gründen froh sein, dass der Penisknochen fehlt. Dadurch ist die Gefahr von Koitusverletzungen stark vermindert, während sie zum Beispiel ziemlich groß ist, wenn eine Frau sich in perverser Anwandlung von einem Hund bespringen lässt »und durch plötzliches Herausreißen des Hundepenis der Penisknochen Einrisse am After oder in der Scheide bewirkt«. (Ernest Borneman: Lexikon der Liebe, S. 747) So können die Frauen der Evolution gegenüber nur dankbar sein, dass der Penis des Mannes so ist, wie er ist. Nicht nur, dass er einen Knochen haben könnte, nein, dieser könnte auch noch mit Widerhaken versehen sein, wie das zum Beispiel beim Katzenpenis der Fall ist.

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