In älteren Wiener Tagen waren diese Lavendelweiber meist Zigeunerinnen. Selbstverständlich war auch damals der Verkauf von Lavendelsträußchen ein hartes Brot. So besserten sie ihr Einkommen mit dem auf, was man Zigeunerinnen ohnedies als besondere Gabe nachsagt: Sie lasen aus der Hand. Naturgemäß erfreuen gute Nachrichten eher als schlechte und öffneten somit ein wenig weiter die Geldbörse der Kundschaft. Das wiederum ließ die handlesenden Lavendelweiber eine gewisse sanft vertrauliche, sagen wir’s rundheraus: schmierige Art annehmen, sowohl beim Anbieten als beim Ausüben der Wahrsagerei. Somit ist der Lavendelschmäh die schmierige Variante des Charmes, und „waun bei ana a jeda Lawendlschmäh einegeht“8, dann bedeutet das die allzu leichte Verführbarkeit einer Frau – wozu auch immer. Männer mit schmierigem Charme haben’s manchmal halt leicht.
Der Lavendelschmäh bindet den Schmäh also an Roma und Sinti an und könnte ursprünglich der rotwelsche Schmee gewesen sein. Doch in seinem „Wörterbuch des Wienerischen“ schlägt Sedlaczek noch eine andere Herkunftsvariante des Wortes vor. Er leitet es vom Mittelhochdeutschen smæhe ab, was „schmähen“ in der heute üblichen Bedeutung von verächtlich machen, beschimpfen bedeutet. Damit hat zwar der Schmäh nichts zu tun, aber Sedlaczek meint, es könne „allmählich zu einer Verbesserung in der Bedeutung gekommen“ sein.
Ganz folgen kann ich dieser Ableitung nicht. Einerseits, weil ich der Bedeutungsverbesserung misstraue und mich frage, wo die denn hergekommen sein soll, andererseits, weil eine Schmähung rein inhaltlich mit dem Schmäh nichts zu tun hat.
Oder doch?
Eine echte Schmähung besteht nicht darin, jemandem ein Schimpfwort an den Kopf zu werfen, sondern sie ist eine Schmährede, also eine mehr oder minder ausführliche Geschichte über den so Geschmähten. In dieser Geschichte mag nun manches nicht stimmen und etliches übertrieben sein. Lässt man den absichtlich schlecht machenden Inhalt weg – dann würde das recht gut passen zum besonderen Verhältnis des Schmähs zur Wahrheit.
Eine Freundin hat mir unterdessen noch eine Variante vorgeschlagen, die sogar ein paar Schritte weit in die Richtung der Bedeutungsverbesserung Sedlaczeks geht. Sie meint, der Schmäh sei das G’schichterl gewesen, das die Schmähung verwässert und dadurch für den Geschmähten und sein Umfeld erträglich gemacht hat. Die Erzählweise passt da eigentlich recht gut dazu.
Oder sollte der Schmäh gar nicht selbst schmähen, sondern geschmäht werden, weil er eine Lügengeschichte ist oder eine auf unseriöse Art erzählte Begebenheit, eine aufgeplusterte Belanglosigkeit? Könnte auch sein.
Übrigens kennt der Schmäh zwei weitere Varianten. Beide sind ein bisserl konkreter. Der Ansaschmäh ist der Schmäh, der einem in irgendeiner Situation sozusagen naturgemäß einfällt. Da preist beispielsweise ein Altwarenhändler ein paar morsche Sessel, die unter dem Gewicht eines Palmers-Unterwäschemodels zusammenbrächen, als „wirklich antik“ an und bittet, etwas zurückzutreten, weil die perfekte Formgebung der Sitzmöbel nur aus größerem Abstand zu erkennen sei, was den angenehmen Nebeneffekt hat, dass man im Halbdunkel des Kellergewölbes die Wurmlöcher nicht sieht. Sofern der Kunde Wiener ist, wird er zu dem Händler sagen: „Net kumman S ma mi n Ansaschmäh.“ Der Ansaschmäh ist demnach ein simpler Schmäh, der leicht durchschaubar ist.
Eng verwandt mit ihm ist der Safaladischmäh. In Safaladi steckt das italienische cervello für Hirn. Denn aus dem cervello machte man seinerzeit die Cervellata, eine billige Wurst aus Innereien, zu denen auch das Hirn gehörte. Die Wurst existiert noch heute in ihrer kalabrischen, Mailänder und apulischen Variante, wenngleich mit anderen Ingredienzen. Die Zervelatwurst soll mit ihr verwandt sein. Einige Quellen behaupten auch, die Bezeichnung ginge auf cervo, Italienisch für Hirsch, zurück; ob Wildingredienzen in der Wurst waren, oder ob sie wie Wild gewürzt wurde, da gehen die Interpretationen auseinander. Jedenfalls war die Cervellata seinerzeit eine billige Wurst. Der Wiener Dialekt benützte den Ausdruck Safaladi für etwas Minderwertiges und Verlogenes, so, wie die Wurst eigentlich billig war, aber durch Gewürze in der Qualität aufgewertet schien. Ein Safaladibruada ist ein Mensch, der kein Vertrauen verdient, und der Safaladischmäh ist ein billiger Schmäh, der sofort als Lüge zu durchschauen ist.
Apropos Wurst, weil wir gerade bei dem Thema sind: „Mir ist das gleichgültig“ heißt im Wiener Dialekt „des is ma wuascht.“ „Wuascht“ ist „Wurst“, und die Wurst ist der große Gleichmacher unter den Fleischwaren. Sehen Sie, das ist typisch Schmäh: Aus „gleichgültig“ macht er „gleich“, „gleich“ assoziiert er mit „alles gleich gemacht“ und „alles gleich gemacht“ mit der Wurst. Und warum dies? Nun: Um wieviel bildkräftiger ist eine Wurst als das abstrakte „gleichgültig“? Je bildkräftiger, desto schmähfreudiger.
Nur, bitte, eine vegetarische Wurst sollte es nicht sein, und schon gar nicht bei einem Würstelstand. Den Versuch hat es gegeben, und zwar auf dem Wallensteinplatz im 20. Wiener Gemeindebezirk. Nun ist die Wurst aber dem Wiener heilig. Es kommt nicht von ungefähr, dass der Artmann seine Sammlung von Wiener Feuilletons „Im Schatten der Burenwurst“ betitelte. Der vegetarische Würstelstand wurde feierlich eröffnet. Am Anfang war er gut besucht, der vegetarische Würstelstand, so ein, zwei Wochen lang. Weil man’s halt kosten wollte. War eigentlich gar nicht übel, wie ich im Selbstversuch erfuhr. Aber dem Wiener macht man kein wurstförmiges Trumm Seitan für eine Burenwurst vor, und ohne die „Eitrige“, also die Käsekrainer, geht sowieso gar nichts. Schließlich war der Strom der Kunden ausgedünnt: Hin und wieder strömte halt ein Kunde vorbei. Dann wurde der Würstelstand längere Zeit renoviert, vielleicht, um den Wiener vergessen zu lassen, welcher besonderen Art diese Würstel waren. Jetzt verkauft der Würstelstand wieder Würstel aus echtem Fleisch.
Den Würstelstand ist dem Wiener sowieso heilig, so quasi ein Wurstdom ist er ihm, und die Einnahme des Feilgebotenen gleichsam eine Handlung des Glaubens. In der Umgebung eines Würstelstands geschehen demnach auch Wunder. Zum Beispiel eines des Geruchs. Wer immer von den höheren Mächten über die Wiener Würstelstände wacht: Er hat beschlossen, einen der besten ans Eck von Tuchlauben und Hohem Markt im Ersten Wiener Gemeindebezirk zu stellen. Die Kreuzung ist durch eine Ampel geregelt, die den Verkehrsteilnehmern in regelmäßigen Abständen Wartezeiten auferlegt. Zu den Verkehrsteilnehmern gehören daselbst, neben Fußgängern, Radfahrern, Autos und Autobussen, auch Fiaker, also die speziell bei Wien-Touristen beliebten Pferdekutschen. Weshalb die Pferde ausgerechnet diesen Ort erwählt haben, um mit breitem Strahl zu urinieren, weiß ich nicht. Aber es ist so. Diese Stelle ist ein Pferde-Pissoir. Dementsprechend riecht sie, speziell an heißen Tagen. Aufgrund dessen sollte man annehmen, dass der geruchsnahe Würstelstand unter dem betäubenden Duft leidet. Aber nun geschieht das Wiener Würstelstandgeruchswunder: Dieses lässt die Kunden des Würstelstands über den Pferdegeruch hinwegschnuppern, und was in die Nase steigt, ist nicht Pferd, sondern Bratgeruch von Burenwurst und Käsekrainer. Zu manchen Tageszeiten muss man sich anstellen, um zur Wurst zu kommen. Dann erlebt man es selbst, das Würstelstandsgeruchswunder, wenn man, aus dem Pferdegruch kommend, langsam eintaucht in den Duft der Wurst, zuerst noch in befremdlicher Mischung, dann verliert sich das Pferd, je näher man dem Würstelstand kommt, immer mehr und schließlich ganz, und man riecht nur noch die Wurst. Was könnte appetitanregender sein?
Bin ich jetzt wirklich von der Herkunft des Wortes Schmäh auf die Wurst gekommen? – Ja, so kann’s gehen beim Schmähführen. Beim einen beginnt man, beim ganz anderen landet man, und der rote Faden dazwischen sind nur die Untiefen der Wiener Seele.
Was ich selbst nun zur Herkunft des Wortes Schmäh meine? Klingt feig, aber ich kann mich nicht festlegen. Die Herkunft aus dem Rotwelsch scheint mir nächstliegend. Die aus dem Jiddischen hätte Charme, denn das Wienerische hat zahlreiche jiddische Wörter aufgesogen, „Haberer“ etwa, „Hawara“ gesprochen (und uns durch den Hinweis auf Teuschls „Da Jesus und seine Hawara“ ein Begriff) ist ein jiddisches Wort für Kumpel und gehört zum Standardwortschatz des Wieners, etwa, wenn er sagt: „I hob mi mid meine Hawara üwa d’ Heisa ghaut.“ Die mittelhochdeutsche Variante ist zumindest argumentierbar. Muss man sich immer festlegen?
Natürlich geht man als Wiener irgendwann einmal auf die Suche in der Hoffnung, etwas ganz Klares, völlig Eindeutiges zur ur-wiener Art der Kommunikation,