Hier nun der Graf-Bobby-Witz, den ich versuchen werde, in einen Schmäh zu übersetzen. Zuerst aber in der Gestalt des Witzes: Graf Bobby sitzt in seiner Küche, vor ihm türmt sich ein riesiger Berg in Scheiben geschnittener Semmeln. Kommt Graf Bobbys Freund, Baron Mucki, herein, sieht den Haufen Semmelschnitten und fragt: „Ja, Bobby, was machst du denn da?“ Antwortet Graf Bobby: „Weißt, mein lieber Mucki, ich wollt’ mir einen Scheiterhaufen machen, und im Kochbuch steht: Man schneide drei Tage alte Semmeln in Scheiben. No, zwei Tage schneid’ ich schon.“
Jetzt das Ganze als Schmäh – da brauche ich eine zweite Person und eine Situation. Nicht unbedingt, aber der Schmäh hat dann mehr Schmäh. Wir sind noch immer im Café, haben zwischen den zurückschwingenden Schwingtüren einen Weg gefunden, wie weiland Odysseus zwischen Scylla und Charybdis hindurchgesteuert hat (was zweifellos etwas einfacher war), haben den Herrn Witz ignoriert, den Ober gefragt, wo Herr Schmäh sitzt, worauf der Ober geantwortet hat, der Herr Kommerzialrat (zu den Titeln komme ich noch, versprochen, alles auf einmal geht wirklich nicht, und schon gar nicht beim Schmäh) würde am Tisch beim Fenster rechts neben dem Klavier sitzen, wir haben uns dorthin begeben, uns dem Herrn Kommerzialrat Schmäh vorgestellt und ihn gefragt, ob wir uns einen Moment zu ihm setzen können. „Bitt’schön, Herr Doktor“, hat der Herr Kommerzialrat Schmäh geantwortet. Der Ober tritt herzu, wir bestellen uns einen kleinen Braunen, wie der Mokka mit Kaffeeobers hier heißt, und einen Scheiterhaufen. Der Herr Kommerzialrat Schmäh zieht die Augenbrauen hoch. „Scheiterhaufen?“, fragt er. Wir sind einen Moment irritiert: „Wieso? Ist der hier nicht empfehlenswert?“ „Doch, doch“, sagt der Herr Kommerzialrat Schmäh, „aber wenn ich ,Scheiterhaufen‘ hör’, denke ich gleich an meinen Freund, den Bobby. Grafen gibt’s bei uns ja keine mehr in Österreich, seit dem Achtzehnerjahr, aber vor dem Achtzehnerjahr war der Bobby ein Graf, wenn Sie verstehen. Dem ist da etwas passiert, das glauben Sie nicht.“ „Erzählen Sie, bitte“, antworten wir. Der Herr Kommerzialrat Schmäh nimmt einen Schluck Kaffee aus seiner Tasse, winkt dem Ober, „noch einen Franziskaner, bitte“, sagt er, was soviel bedeutet wie einen verlängerten Mokka mit Schlagobers. „Wo waren wir? Ah, ja“, sagt der Herr Kommerzialrat Schmäh, „bei meinem Freund, dem Grafen Bobby. No, Sie wissen ja, dass Kochbücher mitunter zweideutige Formulierungen enthalten. Ich lese ja keine Kochbücher, aber ich habe mir das sagen lassen. Also, mein Freund Bobby, der hat im Casino in Baden ein bisserl was verspielt. Sie wissen ja: Glück in der Liebe, Pech im Spiel. Der Bobby muss daher sein Personal ein bisserl reduzieren. Glück in der Liebe hat der Bobby grad gefunden. Denkt er sich, er kann die Köchin entlassen, so gut ist sie sowieso nicht, und seine neue Angebetete wird schon wissen, was in der Küche zu tun ist, und wenn sie nur Anweisungen gibt. Aber grad da hat er sich getäuscht, der Bobby, denn sie hat vom Kochen so viel Ahnung wie eine Katze von der Landwirtschaft. Was weiß ich nicht, wieso mir gerade dieser Vergleich einfällt. Also, der Bobby kriegt einen Appetit auf Scheiterhaufen. Denkt er sich, das kann doch nicht so schwer sein, das werd’ ich selber zusammenbringen. Er geht in die Küche, sucht das Kochbuch heraus, schaut im Stichwortverzeichnis nach – da steht er, der Scheiterhaufen. Der Bobby schlägt das Rezept auf und liest: ,Schneiden Sie drei Tage alte Semmeln in Scheiben.‘ Denkt sich der Bobby: ,Das schaff’ ich.‘ Und wissen Sie, was der Bobby gemacht hat? Zum Bäcker ist er gegangen und hat Unmengen Semmeln gekauft. Am nächsten Tag ist er um acht Uhr früh in die Küche und hat zu schneiden begonnen. Den ganzen Tag hat er Semmeln geschnitten, und am nächsten Tag auch bis knapp nach Mittag, da bin ich ihn besuchen gekommen. Weil ich ihn nicht im Café Central getroffen hab’ wie sonst am Mittwoch, hab’ ich mir gedacht, ich schau lieber einmal nach. Und da find’ ich den Bobby in einem Berg von Semmelscheiben. Ich frag’ ihn: ,Ja, was machst Du denn da?‘ Sagt er: ,Ich will mir einen Scheiterhaufen machen, und im Rezept steht, man muss drei Tage alte Semmeln schneiden.‘ Verstehen Sie? Er hat geglaubt, er muss drei Tage lang alte Semmeln schneiden. Jetzt will er vom Scheiterhaufen nichts mehr wissen, der Bobby, dabei war es vorher sein Leibgericht. Ah, da kommt ja schon Ihr Scheiterhaufen. Schaut sehr schön aus. Guten Appetit.“
Der Unterschied ist, meine ich, deutlich: Der Witz ist kurz und knapp. Er steuert geradewegs auf die Pointe zu. Dem Witz ist es völlig gleichgültig, wieso ein Graf in höchsteigener Person in der Küche Semmeln schneidet, statt einfach der Köchin zu sagen: „Resi, ich hätt gern einen Scheiterhaufen.“ Der Witz fackelt nicht lange: Ausgangssituation (Graf Bobby vor einem Berg Semmelscheiben) – Entwicklung (Baron Mucki fragt, was das soll) – Pointe (das Missverständnis).
Dem Schmäh hingegen ist an der Pointe viel weniger gelegen. Dafür ist das Drumherum anschaulicher: Wieso will der Graf Bobby ausgerechnet einen Scheiterhaufen kochen? (Er ist – oder vielmehr: war – sein Leibgericht.) Wieso kommt der Graf Bobby in die missliche Lage, selbst den Scheiterhaufen zubereiten zu müssen? (Weil er die Köchin entlassen hat.) Wo hat der Graf Bobby die Semmeln her? (In Unmengen beim Bäcker gekauft.) Und so weiter. Der Schmäh ist eine kleine Erzählung, ein G’schichterl.
Zumindest ist er es in diesem Fall.
Aber ich will reinen Wein einschenken – soweit das beim Schmäh überhaupt möglich ist. In den verschiedenen Redewendungen besitzt das Wort Schmäh nämlich unterschiedliche Bedeutungen und Nuancen.
Schmäh für sich genommen, das wäre in etwa das Graf-Bobby-G’schichterl. Dessen Perfektionierung wäre, würde unsereiner nach der Aufklärung des Missverständnisses ein „Schmähohne?“ einstreuen, worauf der Erzähler fortsetzen würde mit „Schmähohne“. Doch in den Redewendungen kann Schmäh andere Bedeutungen annehmen: „A aufglegta Schmäh“ bedeutet etwa eine leicht durchschaubare Flunkerei oder Lüge, „wen mi’n Schmäh packn“ heißt, jemanden durch Charme für sich einzunehmen versuchen, und wenn man „mi’n Schmäh hausian geht“, dann tut man, was ich gerade gemacht habe: Man schmückt sich mit fremden Federn, denn ich habe die Definitionen aus Wolfgang Teuschls „Wiener Dialektlexikon“ genommen.
Gerade fällt mir etwas auf: Könnte Schmäh in allen Zusammensetzungen und Redewendungen möglicherweise eine Distanz zwischen der Wahrheit und der Realität des Schmähs bedeuten?
Neulich habe ich mich beim Schmähführen ertappt. Ich habe in meinem Stamm-Modehaus ein Sakko für mich gekauft, weil in mein noch gar nicht altes die Motten hineingekommen sind. Mistviecher! Die Verkäuferin, die mich seit gut fünf Jahren kennt, war ein bisserl erstaunt, dass ich schon wieder ein Sakko kaufe. Gesagt hat sie natürlich nichts, aber ihrem Blick habe ich es angesehen. Also sage ich: „Schauen Sie7, das Sakko, das ich letztes Mal bei Ihnen gekauft hab’ – das haben die Motten aufgefressen. Ich mach den Kleiderkasten auf und hab’ das Malheur gesehen. Was soll ich Ihnen sagen? – Eines von den Biestern ist da gesessen, hat noch auf einem Fetzerl von dem Sakko herumgekaut und mich frech angegrinst.“ Haben Sie je eine Motte grinsen gesehen oder auf einem Stückchen Stoff herumkauen? Das war natürlich der reine Schmäh. Wenn er rennen soll, der Schmäh, dann bedarf es des gegenseitigen Einverständnisses zwischen Schmähführer und Zuhörer. Das kommt stillschweigend zustande. Keiner sagt: „Jetzt tuan ma a wengal schmähführen.“ Man spürt: Jetzt ist der richtige Moment für einen Schmäh. Wie man den erwischt, den richtigen Moment? Was soll ich Ihnen sagen? – Den richtigen Moment zu sagen, „ich liebe dich“, kann man ja auch nur spüren und nicht planen.
Aber machen wir uns nichts vor: Außerhalb von Wien, bei den Fremden quasi, steht der Schmäh in schlechtem Ruf. Er gilt als Zeichen einer spezifisch wienerischen Form der Unehrlichkeit. Diesen üblen Leumund verdient der Schmäh nicht. Doch ein bisserl was könnt’ schon dran sein. Man braucht ja den Schmäh nicht gleich mit der faustdicken Lüge gleichzusetzen. Mit der Lüge ist immer etwas Bösartiges verbunden, zumindest ein Vorteil, den man für sich selbst herausholen will.
Der Schmäh hingegen: Sie erinnern sich an die Frau Barischitz mit der Geschichte vom eingefrorenen Feuer? – Wahr an ihr ist nur, dass die Frau Barischitz