Die Zecke auf Abwegen. Bernd Wieland. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Bernd Wieland
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Юриспруденция, право
Год издания: 0
isbn: 9783482728310
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ist ein Zehntausendstel des 8.004 Euro übersteigenden Teils des auf einen vollen Euro-Betrag abgerundeten zu versteuernden Einkommens – lernt ein Steueranwärter in der ersten Unterrichtsstunde.”

      Brittas Rückfragen wurden jetzt deutlich weniger, was sich in der Fallerledigung positiv bemerkbar machte.

      Als ich am 29.12. nach Mitternacht die bearbeiteten Steuererklärungen durchzählte, waren es 52. So viel hatte ich früher nicht mal in einem Monat geschafft! Team 1 und 2 konnten sich warm anziehen.

      7. Pole-Position?

      Es war genau ein Tag vor Silvester. Wer heute im Amt war, hatte keine Familie oder war vor ihr geflüchtet. Mit der schweren Faltbox tappte ich über den Flur, vorbei an Axthammers Büro. Es brannte Licht. Wenn er gewusst hätte, dass ich bergeweise Steuererklärungen durch die Gegend karrte, wäre das meine letzter Gang über diesen Flur gewesen. Nur bei Tina brannte auch Licht.

      Im Akkord hackte ich mit Tina den ganzen Vormittag die über Weihnachten vorbereiteten Steuererklärungen in den PC ein. Wir mussten uns beeilen: Was bis 12:00 Uhr nicht im Kasten war, wurde in diesem Jahr nicht mehr vom Zentral-Computer verarbeitet.

      Tina hatte zu Weihnachten einen hautengen, schwarzen Pulli geschenkt bekommen. Am Bauch zeichnete sich ein kleines Speckröllchen ab. Sie knabberte die ganze Zeit Möhren und trank dazu Entschlackungstee. Zweimal hatte ihr Magen schon empört aufgejault. War ihr sichtlich peinlich. Von mir aus bräuchte sie sich nicht so zu quälen.

      „Geschafft, Hartmut!” Tina strahlte.

      Jetzt kam der große Moment der Wahrheit. Gespannt rief ich die Teamstatistik auf. Noch ein Klick – doch was war das? Team 3: ein fetter roter Balken! 7 Prozent hinter Team 1 und sogar 14 Prozent schlechter als Team 2. Das konnte gar nicht sein! Mein Puls begann zu rasen.

      Tina sah mich beunruhigt an: „Stimmt was nicht, Hartmut?” Ich brachte kein Wort heraus, starrte sprachlos auf den Bildschirm. Tina war aufgesprungen und hatte sich hinter mich gestellt. Sie war genauso geschockt. „Da kann etwas nicht stimmen. Wir sind ja fast auf dem Stand 23.12.!”

      „Wir sind auf dem Stand 23.12.!”, stammelte ich. Da waren sie wieder: diese Stiche in der linken Brust. Ich rief EDV-Rösel an. Ging natürlich nicht ans Telefon. Dann musste ich ihm eben einen Besuch abstatten.

      Rösels Büro hatte von außen keine Klinke – höchste Sicherheitsstufe. Rösel war stolz auf dieses Privileg. Ungeduldig hämmerte ich gegen die Tür. Nichts tat sich.

      „Rösel – Kundschaft!” Der Bursche machte bestimmt Mittagsschlaf. Endlich öffnete sich die Tür einen Spalt breit. Auf den ersten Blick konnte ich erkennen, dass er mal wieder private DVDs brannte. Frau Stöhr hatte neulich erzählt, er würde sich mit dem Schwarzbrennen ein nettes Sümmchen dazuverdienen.

      „Wer kann sich mit A 9 schon einen BMW 530i leisten?”, hatte sie böswillig gezischt.

      Rösel sah mich genervt an: „Na, Harti, haste mal wieder deinen PC platt gemacht?”

      „Hör zu, Rösel, ich habe gerade unsere Statistik aufgerufen: Wir sind immer noch bei 75,3 Prozent – das ist Stand 23.12!”

      „Tja, Herr Teamleiter. Rote Laterne! Ich würde sagen: kleine Audienz bei Frau Pfuhl.”

      „Hör zu Blödel-Rösel: Wir haben zwischen Weihnachten und heute mindestens 60 Fälle eingegeben. Das kann gar nicht sein!”

      „Wann habt ihr die Freigabe durchgeführt?”

      „Heute – eben gerade.” Am liebsten hätte ich ihn geschüttelt und angeschrien: „Du bist auch nur ein Mensch! Und zwar das arroganteste Arschloch …”

      „Tja, Herr Teamleiter, wieder die aktuellen News nicht gelesen? Ab 29.12. werden keine Eingaben mehr für das alte Jahr in der Statistik verarbeitet. Mach dir nichts draus. In diesem Sauhaufen geht nichts verloren – leider.”

      „Alles umsonst!” hämmerte es in meinem Kopf. Selbst die Zwillinge hatten am 1. Weihnachtstag Belege eingetütet.

      Als ich in mein Büro zurückkam, war Tina schon weg. Sie hatte mir eine Flasche Mumm-Sekt hingestellt mit einer Karte, auf der ein Lama auf seiner eigenen Spucke ausgerutscht war. Darüber stand: „Guten Rutsch”.

      Das Telefon klingelte. Britta. „Um 15:00 Uhr bist du aber heute zu Hause! Ich könnte deine Kinder vor die Tür setzen, die machen nur Blödsinn. Eben haben sie mit dem Parfum, das du mir zu Weihnachten geschenkt hast, den Teddy besprüht. Der Flakon ist leer! Stinkt hier wie im Bordell”, blubberte sie ohne Punkt und Komma. „Außerdem muss ich heute um 16:00 Uhr im Fitnessstudio einen Kurs geben: Bauch, Beine, Winkeärmchen.”

      „Britta, stell dir vor, was passiert ist …”, versuchte ich zu Wort zu kommen. Im Hintergrund hörte ich, wie Britta die Zwillinge zusammenstauchte: „Wenn ihr nicht gleich euer Zimmer aufräumt, streich ich euch alles!”

      Ich legte jetzt wohl besser auf – aber Britta war schneller: „Und nun zu dir, Hartmut!”

      „Ich habe heute das Teamtelefon, du blockierst die Leitung”, versuchte ich verzweifelt, Britta zum Auflegen zu bewegen.

      „Du wirst doch wohl noch mit deiner eigenen Frau telefonieren dürfen!”, zeterte Britta. Ich musste den Hörer einen halben Meter vom Ohr weg halten. „Du hast mir versprochen, mit Mandy über den Imbiss-Verkauf zu reden. Und? Nichts ist passiert! Eins verspreche ich dir, im neuen Jahr stell ich mich nicht mehr hinter den Tresen.” Aufgelegt.

      Endlich Ruhe. Dann würde ich mich eben heute Mittag von Mandy bei einer Currywurst trösten lassen.

      8. Der Deal

      „Haste Sorgen? Geht’s dir nicht gut?” Mandy drückte mich so stark an ihren mächtigen Busen, dass ich kaum Luft bekam. Ihre Haare stanken nach Frittenfett. War vielleicht besser, wenn ich danach gleich nach Hause ging und mir etwas Frisches anzog. Ich konnte ja verstehen, dass Britta keine Lust mehr hatte, im Imbiss zu stehen. Der Gestank nach Frittierfett blieb in jeder Pore haften. Aber das Geld würde uns fehlen. Der Imbiss lief wirklich verdammt gut. Überall standen die Leute mit ihren Pappschalen und tunkten Pommes in unsere geniale, gelbe Spezialsoße.

      Das Rezept sollte ich mir patentieren lassen. Papa benutzte das Zeug sogar als Handwaschpaste nach dem Winterreifenwechsel.

      „Komm, ich mach dir erstmal ’nen schönen Monsterjäger mit Spezialsoße.”

      Gerade kam Karin vom Bäcker zurück. Dem dicken Paket nach zu urteilen, hatte sie nach der Weihnachtspause erfolgreich von Gänsebrüstchen auf Sahnetorte umgestellt.

      „Karin, übernimm doch mal den Grill, ich muss mich erstmal um Hartmut kümmern.” Schmachtender Blick zum Kuchenpaket, aus dem die Kalorien schon heraustropften. Schmollend band sich Karin die Schürze um und bediente die Kunden.

      Mandy schien schon lange darauf spekuliert zu haben, dass wir früher oder später den Imbiss verkaufen würden. Als ich ihr allerdings die Summe nannte, die ich dafür von ihr noch haben wollte, wurde sie sichtlich zurückhaltender.

      „Mensch Hartmut, ich hab doch auch kein Geld.”

      „Bei der Goldgrube hast du die Kohle schneller wieder drin als du gucken kannst”, entgegnete ich. „Weniger kann ich wirklich nicht nehmen. Was meinst du, was ich auf den Veräußerungsgewinn an Steuern zahlen muss!”

      „Ist der nicht steuerfrei?”

      Ich winkte ab. „Nee, Mandy, so läuft das diesmal nicht. Die Steuerfahndung hat mich ohnehin schon auf dem Kieker. Da geheich kein Risiko ein.”

      „Nee, so meine ich das doch gar nicht”, wehrte Mandy ab. „Du kennst doch den Heiko, meinen Schwager. Der ist ja Steuerberater. Er hat mir gesagt, dass Betriebsaufgabe immer steuerfrei ist.”

      Heiko Haberstroh – der Name bürgte für Qualität. Unter den Betriebsprüfern wurde eine interne Liste schwarzer Schafe aus der Zunft der steuerberatenden