Ja, es ist möglich, das Neue Testament zu predigen, ohne wirklich Christus und seine Erlösung zu predigen. Sie denken, dass das Problem darin besteht, wie ich von einem der Psalmen oder aus dem 2. Buch der Könige zu Jesus komme? Das Problem ist viel größer. Christus predigen heißt das Evangelium predigen, und das Evangelium predigen heißt, Christus und seine Gnade und sein Erlösungswerk predigen, und das können wir in jedem Buch der Bibel versäumen.
2. Christus predigen, ohne über den Text zu predigen
Aber wir können auch in einen anderen Fehler fallen. Es ist möglich, bei der Predigt über einen Text so schnell „zu Christus zu kommen“, dass wir den Besonderheiten der Botschaft des Textes nicht gerecht werden. Wir lassen die historischen Realitäten des Textes beiseite, gerade so, als ob die alttestamentlichen Schriften ihren ursprünglichen Adressaten nichts zu sagen gehabt hätten. Ferguson schreibt, dass dieser Fehler „leicht zu Predigten führt, die hölzern sind und kein Gespür für den Reichtum der Theologie der Bibel haben.“68
Das Ergebnis wird sein, dass wir Jesus auf eine Art predigen, die uniform und von Woche zu Woche gleich ist, weil wir uns nicht in den Text vertieft haben. Wir predigen einen Standard-Jesus, der nicht die Lösung oder der Höhepunkt des theologischen Themas dieses Textes und die Antwort auf das in ihm aufgeworfene spezifische praktische Problem ist. Gehen wir dagegen tief genug in den ursprünglichen historischen Kontext hinein, finden wir so viele verschiedene Arten, Christus zu predigen, wie es Themen, Textgattungen und Botschaften in der Bibel gibt.
Es gibt zum Beispiel in den prophetischen Büchern des Alten Testaments zahlreiche Stellen, wo Gott davon redet, dass er einen König schicken wird, der eine totale, noch nicht da gewesene Gerechtigkeit bringt. In Jesaja 11,3-4 heißt es von diesem König: „Er wird nicht richten nach dem, was seine Augen sehen, noch Urteil sprechen nach dem, was seine Ohren hören, sondern wird mit Gerechtigkeit richten die Armen und rechtes Urteil sprechen den Elenden im Lande …“ In Jesaja 11,1-16 geht es um den gerechten „Spross“ (Jeremia 23,5), der all dies tun wird und der gewöhnlich mit dem Messias identifiziert wird. Die ursprünglichen Hörer dieser Worte haben diese sehr wahrscheinlich so verstanden, dass Jesaja hier von einem kommenden großen irdischen König redete. Wer heute über Jesaja 11 predigt, ist schnell dabei, aufzuzeigen, dass hier Jesus und sein Erlösungswerk gemeint ist, aber die ursprünglichen Hörer hörten hier zunächst einmal, wie wichtig es ist, sozial gerecht zu sein, die Armen nicht zu bedrücken und freigebig zu sein. Der Prediger, der zu schnell in die Zukunft springt und nicht lange genug in der Zeit des Autors des Bibeltextes und seiner Hörer verweilt, kann einiges von der Bedeutung des Textes verpassen.
Es geht also um die rechte Balance: Wir dürfen weder über den Text predigen, ohne Christus zu predigen, noch Christus predigen, ohne über den Text zu predigen. Spurgeon erzählt von einem Pastor aus Wales, der einen jüngeren Kollegen ansprach, nachdem er dessen Predigt gehört hatte. „Das war eine sehr schwache Predigt“, begann er. Der junge Kollege wollte wissen, warum. Der Pastor aus Wales sagte: „Weil kein Christus in ihr war.“ Der junge Pastor verteidigte sich: „Christus kam in dem Text doch gar nicht vor. Wir können doch nicht immer Christus predigen; wir müssen das predigen, was in dem Text ist.“ Das Gespräch ging so weiter:
„Wissen Sie nicht, junger Mann, dass von jeder Stadt, von jedem Dorf und von jedem Weiler in England, wo sie auch liegen mögen, eine Straße nach London führt?“ „Ja, sicher“, erwiderte der junge Prediger. „Ah!“, sagte der alte Pastor. „Und genauso führt von jeder Bibelstelle ein Weg in die Hauptstadt der Bibel, also zu Christus. Und, mein lieber Bruder, wenn Sie einen Text vor sich haben, dann müssen Sie sich fragen: ‚Wo ist hier die Straße zu Christus?‘ Und dann müssen Sie in Ihrer Predigt diese Straße entlanggehen, bis Sie die Hauptstadt – Christus – erreicht haben. Und glauben Sie mir: Ich habe noch keinen Bibeltext gefunden, in dem nicht eine Straße hin zu Christus war, und wenn ich je einen finden sollte, der keinen solchen Weg hat, dann werde ich einen Weg bahnen; ich werde über Stock und Stein gehen, um zu meinem Herrn zu kommen, denn eine Predigt ist nur dann zu etwas Gutem nütze, wenn man Christus in ihr spürt.“69
Ich finde dieses Beispiel sehr hilfreich. Führen wir es noch etwas weiter aus und wenden es auf unsere eigene Predigt an.
Erstens: Ermitteln Sie die Hauptaussage des Autors Ihres Bibelabschnittes und widmen Sie ihr genügend Zeit. Um in dem Bild mit der Straße zu bleiben: Wir müssen die „Hauptstraße“ der Stadt ermitteln. Es geht darum, herauszufinden, was dieser Text seinen ursprünglichen Hörern (gewissermaßen den „Stadtbewohnern“) sagen wollte. Manche Texte haben eine einzige Pointe, die sofort ins Auge fällt, während andere etwas komplexer sind – so wie manche Städte entlang einer einzigen breiten Hauptstraße angelegt sind, während andere mehrere Hauptstraßen haben. Lernen Sie diese Straßen kennen, gehen Sie auf ihnen spazieren, gehen Sie nicht zu bald aus der Stadt hinaus. Vertiefen Sie sich in den Text, finden Sie heraus, wie sein Verfasser ihn damals, für die ursprünglichen Adressaten, gemeint hat. Nur wenn Sie die Botschaft des Verfassers begriffen haben, können Sie hören, was Gott in diesem Text sagt. Wenn Sie Zeit haben, wollen Sie sich vielleicht sogar ein paar der Nebenstraßen anschauen, wo es manchmal die interessantesten kleinen Läden gibt. Aber entfernen Sie sich nicht zu weit von der Hauptstraße, sonst könnte es sein, dass Sie nicht rechtzeitig zu ihr zurückfinden.
Zweitens: Wie der von Spurgeon zitierte Pastor sagt, ist jede Hauptstraße irgendwo mit einer Straße verbunden, die aus der Stadt hinaus zur Hauptstadt führt. Finden Sie diese Abzweigung! Nicht jede Straße, die aus der Stadt hinausführt, führt auch zur Hauptstadt; wenn Sie die falsche erwischen, müssen Sie womöglich später mühsam querfeldein laufen, um zur Hauptstadt zu kommen. Nicht alles in dem Predigttext, das Sie vage an Jesus erinnert, ist eine Straße, die zu ihm führt. Wenn der alttestamentliche Text den Tempel in Jerusalem zum Thema hat, liegt es nahe, über Christus als den endgültigen Tempel zu predigen (vgl. Johannes 2,13-22); das ist der Weg von der „Hauptstraße“ dieses Textes zu Jesus. Aber man kann nicht jedes x-beliebige biblische Detail auf Jesus münzen. Mag sein, dass das rote Seil, das die Hure Rahab in Jericho als Zeichen in ihr Fenster knüpfte (Josua 2,18), Sie beim ersten Lesen an das Blut Christi erinnert, aber dies ist hier wohl kaum gemeint. Doch irgendeinen Weg, der zur Predigt Jesu Christi hinführt, findet man in jedem Text. Zeigen Sie Ihren Hörern diesen Weg und gehen Sie ihn, bevor Sie Ihre Predigt beenden.
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