Du wartest jede Stunde mit mir. Dietrich Bonhoeffer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dietrich Bonhoeffer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783765575266
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vorbeigehen lassen und wäre froh, sie hier noch lesen zu können. K. Friedrich schrieb mal von einem allgemeinverständlichen physikalischen Buch, das er mir schicken wollte. Auch Klaus macht doch von Zeit zu Zeit schöne Bücherentdeckungen. Was hier an Brauchbarem ist, habe ich fast alles gelesen. Vielleicht versuche ich es doch noch mal mit Jean Pauls Siebenkäs oder Flegeljahren. Sie stehen in meinem Zimmer. Später entschließt man sich wahrscheinlich nie mehr dazu; und es gibt ja viele belesene Leute, die ihn sehr lieben. Mir ist er trotz mehrerer Anläufe immer zu langatmig und manieriert erschienen. – Da es aber inzwischen Mitte September geworden ist, hoffe ich ja, dass alle diese Wünsche schon überholt sind, bevor sie erfüllt werden.

      Eben kommt wieder ein kurzer Gruß von Christoph. Ich habe schon großes Verlangen, ihn und alle die Kinder wiederzusehen. Sie werden sich in diesen Monaten auch verändert haben. Christoph erfüllt seine Pflichten als Patenkind wirklich besser als ich die meinen als Patenonkel; aber ich freue mich schon, mit ihm irgendetwas zu unternehmen, was ihn freut.

      Wenn Ihr Maria sprecht oder seht, grüßt sie bitte sehr! Der Großmutter danke ich herzlich für ihren Brief! Bitte grüßt alle Geschwister und Kinder. Euch dankt für alles

       Euer Dietrich

      Wohin ist Karl-Friedrich eigentlich berufen worden? Nimmt er es an? – Bitte um Briefpapier!

       23. An Maria von Wedemeyer

      20. September 1943

       Liebste Maria!

      Morgen fängt nun der Herbst an. Als in den letzten Wochen die Leute schon dann und wann vom frühen Herbst sprachen, mochte ich dieses Wort gar nicht hören. Der Wechsel der Jahreszeiten wird einem hier schwerer als draußen. Ihr werdet jetzt in den späten Abendstunden und wieder vor Tagesanbruch viel im Walde auf den Wildkanzeln sein. Ich liebe die Herbstmorgen mit ihren Nebeln und dem langsamen Durchbrechen der Sonne so sehr. Aber ich weiß, wo Du jetzt auch sein magst, Du wartest jeden Tag und jede Stunde mit mir. Es wird allmählich ein Warten, dessen äußeren Sinn ich nicht begreife; den inneren Sinn muss man täglich neu finden. Es ist uns beiden durch die vergangenen Monate unendlich viel genommen worden; Zeit ist heute das kostbarste Gut, denn wer weiß, wieviel Zeit ihm noch geschenkt ist. Und doch weigere ich mich zu denken, dass es verlorene Zeit war und ist, in der wir getrennt sind, weder für jeden einzelnen von uns noch für uns beide zusammen. Wir sind in anderer Weise zusammengewachsen, als wir es wohl gedacht und gewünscht haben, aber es sind auch andere Zeiten und werden wohl noch lange solche Zeiten bleiben, in denen alles darauf ankommt, dass man im Letzten eins ist und zueinander steht. Dein Leben wäre sehr anders geworden, leichter, übersichtlicher, einfacher, wenn unsere Wege sich nicht vor einem Jahr gekreuzt hätten. Aber es sind eigentlich nur kurze Augenblicke, in denen mir dieser Gedanke zu schaffen macht. Ich glaube, dass nicht nur ich, sondern auch Du in Deinem Leben an den Punkt gekommen bist, an dem wir uns begegnen mussten. Nach einem leichten Leben hatten wir im Grunde beide kein Verlangen, so sehr wir uns gewiss beide an den schönen und frohen Stunden des Lebens freuen können und heute wohl auch eine große Sehnsucht nach solchen Stunden haben. Aber das Glück liegt, glaube ich, für uns beide an einer anderen, verborgeneren Stelle, die manchem unverständlich ist und bleiben wird. Im Grunde suchen wir beide Aufgaben, bisher jeder für sich, von nun an aber gemeinsame Aufgaben. In denen werden wir erst ganz zusammen wachsen – wenn Gott uns die Zeit dazu schenkt. –

      Ich warte wieder sehr auf Post von Dir. Es ist alles jetzt so unregelmäßig. Im letzten Paket fand ich Plätzchen, die ich Dir zugeschrieben habe. Sie erfreuen und erinnern mich jeden Nachmittag. Hab vielen Dank für alles! Sag es bitte auch der Mutter. – Ich habe wieder viel gelesen und geschrieben. Aber das Leben geht eben darin – für mich jedenfalls – nicht auf. Später werde ich Dir aus dem Geschriebenen vorlesen und Du wirst meinen Stil glätten und manchen Gedanken klären helfen! – Was wisst Ihr von Konstantin aus Sardinien? Mein Vetter Hans Christoph v. Hase war zuletzt Divisionspfarrer in Calabrien. Er hat 5 kleine Kinder. Wie mag es ihm gehen? Hast Du Deinem gefallenen Schönrader Vetter nahe gestanden? Wie ist Eure Familie getroffen! – Nun leb wohl, meine liebste Maria, warte noch ein bisschen! Es ist gut zu wissen, dass Du mir wartest! Grüße die Mutter und die Geschwister. Bald wird es soweit sein, dass ich bei Euch sein kann! Es kann nicht mehr lange dauern! Bis dahin Geduld und guten Mut! Von ganzem Herzen

       Dein Dietrich

       24. An Karl und Paula Bonhoeffer

      25. September 1943

       Liebe Eltern!

      Gestern hast Du, liebe Mama, wieder ein so schönes Paket für mich abgegeben. Eure Fantasie ist wirklich unerschöpflich; die warme Speise im Thermosgefäß war besonders überraschend und schön; aber auch für alles andere danke ich Euch und allen Mitbeteiligten sehr. Wenn Euch diese Mühe nur bald erspart bleiben könnte! Draußen scheint es sich allmählich einzuregnen, und ich habe einen entsprechenden blühenden Schnupfen und der Hexenschuss ist auch wieder da. Schuld ist m.E. einfach der Mangel an frischer Luft. Die knappe halbe Stunde, von der der eilige Unteroffizier am liebsten noch einige Minuten abzieht, weil er sonst seinen Dienst nicht schafft, ist eben zu wenig, besonders wenn man Erkältungen so leicht schnappt wie ich. Lästig ist das ja nur, weil es einen an dem Einzigen hindert, was man hier tun kann, lesen und schreiben. Aber schlimm oder zum Beunruhigen für Euch ist es gar nicht, nur ärgerlich – und also wirklich ganz nebensächlich.

      Vor einigen Tagen kam ein sehr netter Brief von Renate, für den ich ihr sehr danke. Es ist nun eine richtige Kriegsehe geworden, die sie führen muss, mit viel Entbehrungen und Schwierigkeiten. Aber so leicht verlieren die beiden ja wohl nicht den guten Mut. Jedenfalls hatten sie doch ein paar sehr schöne Monate zusammen. Ich werde ja vielleicht demnächst vor einer ähnlichen Entscheidung stehen. Wenn man voraussehen kann, dass man wenigstens ein paar Monate zusammen sein kann, dann würde ich doch dafür sein zu heiraten; andrerseits finde ich einen Heiratsurlaub von ein paar Tagen doch zu wenig und vor allem für die Frau; darum halte ich es schon für richtiger, zu warten – allerdings, wie lange? Aber man kann solche Fragen eben doch nur praktisch entscheiden und nicht im Voraus. Für Maria tut mir die grässliche Verzögerung meiner Sache so schrecklich leid. Wer konnte das auch im April ahnen? Mir wäre es lieber, es würde einem gleich von vornherein die voraussichtliche Dauer einer solchen Sache mitgeteilt. Auch in meiner hiesigen Arbeit hätte ich manches anders und fruchtbarer gestalten können. Schließlich ist eben, so wie wir eingestellt sind, jede Woche und jeder Tag kostbar. So paradox es klingt, ich war gestern wirklich froh, als erst die Zulassung des Anwalts und dann der Haftbefehl kam. So kommt das scheinbar ziellose Warten doch wohl bald zum Ende. Immerhin hat gerade die lange Dauer meiner Festnahme mich Eindrücke gewinnen lassen, die ich nicht wieder vergessen werde.

      Die ausgefallenen Bücher, die Ihr mir von Karl Friedrich bringt, lese ich immer mit viel Freude zwischen den eigentlichen Arbeitsstunden. Im Übrigen schreibe ich und merke, dass mir auch das freie, nichttheologische Schriftstellern Spaß macht. Aber wie schwer die deutsche Sprache ist, erkenne ich erst jetzt richtig, und wie leicht kann man sie verhunzen!

      Ich lasse Ursel sehr für das neulich Mitgeschickte danken. Aber sie soll doch jetzt wirklich alles für ihre beiden Soldatensöhne verwenden!

      Beim Durchlesen finde ich, dass der Brief etwas unzufrieden klingt. Das soll er nicht und das entspräche auch nicht der Wirklichkeit. So sehr ich mich hier heraussehne, so glaube ich doch, dass kein einziger Tag verloren ist. Wie sich diese Zeit später einmal auswirken wird, lässt sich noch nicht sagen. Aber sie wird sich auswirken. – Grüßt bitte Maria und alle Geschwister und ihre Kinder. Ich hatte in letzter Zeit nur Renates Brief. Bleibt in diesen Herbsttagen nur gesund! Es grüßt Euch von Herzen und dankbar

       Euer Dietrich

       25. An Maria von Wedemeyer

      30. September 1943

       Liebste Maria!