Du wartest jede Stunde mit mir. Dietrich Bonhoeffer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dietrich Bonhoeffer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783765575266
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schon ganz selbstverständlich dazu und lenken meine Gedanken täglich auf den Tag, auf den wir uns alle schon freuen. Dass ich mir Maria jetzt an der Aussteuer nähend und arbeitend vorstellen kann – also doch diesen Tag wirklich schon vorbereitend –, macht mich ganz glücklich. Ich kann ja hier gar nichts dazu tun als zu warten, zu hoffen und mich darauf zu freuen. – Schön wäre es, wenn die Briefe nicht so lange unterwegs wären. Da ist wohl irgendetwas in Unordnung geraten. Euer letzter Brief ist vom 11. 8.! Marias vom 16. Das ist wirklich zu lang. Ich möchte z.B. gern Marias Pläne wissen, auch wie es mit der großen Berliner Einquartierung bei ihnen geworden ist. Von Euch wüsste ich gern, ob der Splittergraben angelegt ist und ob Ihr nicht einen Durchbruch vom Keller zum Graben machen lassen könnt. Der Hauptmann Maetz hat sich das so machen lassen. Wie geht es Renate? Sind nicht für ihren Zustand diese Alarmnächte besonders ungünstig, auch wenn sie sie draußen in Sakrow erlebt?

      Mir geht es weiter gut. Ich bin 2 Stock tiefer gelegt worden wegen der Luftgefahr. Nun sehe ich von meinem Fenster gerade auf die Kirchtürme; das ist sehr hübsch. In der vergangenen Woche konnte ich wieder ganz gut schreiben. Nur fehlt mir die Bewegung in der freien Luft, von der ich für produktives Arbeiten sehr abhängig bin. Aber nun ist es ja nicht mehr lange, und das ist die Hauptsache.

      Grüßt doch bitte Maria sehr und sie soll noch ein bisschen Geduld haben und in Pätzig bleiben bzw. in Klein Reetz und sich nicht beunruhigen! Auch an alle Geschwister und Kinder viele Grüße. – Lasst Euch doch bitte durch die Alarme nicht zu sehr anstrengen, ruht Euch nachmittags aus und ernährt Euch so gut es eben möglich ist!

      In Gedanken ist immer bei Euch allen

       Euer dankbarer Dietrich

       21. An Maria von Wedemeyer

      9. September 1943

       Meine liebste Maria!

      Also seit einem Monat wartest Du auf einen Brief von mir? Das ist allerdings schauderhaft und mir ganz unverständlich. Pünktlich alle 4 Tage ist ein Brief abwechselnd an Dich und die Eltern abgegangen. Mit Ausnahme vom 5.9., als ich nach dem Alarm an die Eltern schrieb! Aber auch mir ist es ähnlich gegangen. Der von Dir neulich bei der Sprecherlaubnis angekündigte Brief ist bis heute nicht gekommen, stattdessen kam gestern der vom 27. 8. Von den Eltern und Geschwistern fehlt alle Post zwischen dem 11. und 30. 8.! Ich nehme an, dass in dem Umzugstrubel des RKG einiges vorübergehend untergetaucht ist. Hier kam auch plötzlich ein nicht ganz verständlicher Anruf des RKG, ich möchte künftig meine Briefe an Dich doch über die Eltern schicken. Kurz, ein kleines Durcheinander, das uns beide vermutlich etwas in Unruhe gebracht hat. Es ist wunderlich, einerseits lernt man ja in der Zelle das Rechnen mit langen Zeiträumen; aber wenn etwas, worauf man bestimmt gerechnet hat, also ein Brief oder das Paket, auch nur um wenige Zeit später kommt, wird man kribblig und macht sich dumme Gedanken und sagt sich dabei doch immerfort, dass es nur dumme Gedanken sind; so ist man eben, wenn man kein Stoiker ist; und das bin ich nicht und will es auch gar nicht sein. –

      Und nun muss ich Dich zunächst mal ausschimpfen, dass Du Dir immer noch über meine Gesundheit Gedanken machst! Wenn ich nach 3 Tagen Fasten und Fieber mal etwas mäßig aussehe, so ist das doch kein Wunder. Inzwischen geht es mir wieder so gut wie vorher. Ich finde, wir müssen das so halten: Wenn wir krank sind, sagen wir das ruhig; aber wenn wir sagen, dass wir wieder gesund sind, müssen wir uns das auch glauben! Sonst sind wir nämlich später beide dauernd krank, jedenfalls jeder in den Augen des anderen, wie das in manchen Ehen ist; und dafür bin ich gar nicht! Also, ich bin gesund und habe das Fasten mithilfe Eures Pakets längst wieder aufgeholt! Alles übrigens ohne „Atemkünste“ – wie ich Dir (ich lache natürlich nicht! Du doch auch nicht!?) gestehen muss! –

      Ich bin so froh, dass Du jetzt nicht in Berlin bist. Das macht mir die Alarmnächte leichter, und Euer 34-köpfiger Haushalt wird Dir reichlich zu tun geben. Außerdem ist es ein sehr beruhigender Gedanke, Dich mit der Aussteuer beschäftigt zu wissen. Ich male mir das in jeder Richtung und in allen Farben aus und freue mich daran; es ist so ein Bild der Ruhe, der Zuversicht und des Glücks. Wann werde ich all die Dinge sehen, bewundern und mich daran freuen können? Und wann werden wir sie gemeinsam im täglichen Leben gebrauchen und uns dabei an die seltsame Zeit ihrer Entstehung erinnern? Es kann nun nicht mehr sehr lange sein; aber wir wollen auch bis zum letzten Tag geduldig sein und auch diese schwere Wartezeit für Gottes Weg mit uns halten, bis wir vielleicht eines Tages besser verstehen, wozu er uns gut war. Meine liebste Maria, Du kannst es nicht ermessen, was es für mich bedeutet, darin mit Dir eins zu sein. Wie wunderlich muss Dir Dein Lebensweg jetzt oft vorkommen. Aber auf einen Berg steigt man ja auch im Zickzackweg, sonst käme man garnicht herauf und von oben sieht man oft ganz gut, warum man so gehen musste. Lies doch mal das Lied von Gottfr. Arnold, das die meisten Leute nicht kennen und das ich ganz besonders liebe; es ist schwer nach Inhalt und Melodie, fast zu schwer für ein Gemeindelied, aber man gewinnt es immer lieber; es beginnt „So führst Du doch …“ und steht im Gesangbuch. – Denke Dir, eben kommt Dein Brief vom 23. 8., dem Tage nach Vaters Todestag. Nicht wahr, Du erwartest nicht, dass ich Dir darauf antworte; das kann man nicht im Brief. Nur danken kann ich Dir, dass und wie Du mir schriebst. Ach, es wird wirklich Zeit, dass wir uns allein sehen und sprechen und miteinander in Pätzig durch den Wald gehen können! –

      Grüße die Mutter sehr! Auch die Geschwister! Leb wohl, meine gute Maria. Du begleitest mich vom Morgen bis zum Abend durch den ganzen Tag. Gott behüte Dich und uns alle!

       Von ganzem Herzen Dein Dietrich

       22. An Karl und Paula Bonhoeffer

      13. September 1943

       Liebe Eltern!

      Auf meinen in einem der letzten Briefe geäußerten Wunsch, etwas mehr Post zu bekommen, habe ich dieser Tage nun wirklich eine ganze Reihe von Briefen gekriegt, über die ich mich sehr gefreut habe. Fast komme ich mir vor wie Palmström, der sich „ein Quartal gemischte Post“ bestellt. Aber im Ernst, ein Tag mit Briefen hebt sich aus der Monotonie der übrigen immer sehr fühlbar hinaus. Nun kam auch noch die Sprecherlaubnis dazu, so ist es mir wirklich sehr gut gegangen. Nach der unangenehmen Verzögerung der Postbestellung in den letzten Wochen habe ich das sehr dankbar empfunden. Ich fand Euch auch ein bisschen besser aussehend, und das hat mich sehr gefreut; denn mir ist immer noch die Tatsache, dass Ihr in diesem Jahr ganz um die so nötigen Ferien gekommen seid, der Hauptdruck bei meiner ganzen Geschichte. Vor dem Winter müsst Ihr doch noch einmal etwas heraus, und am liebsten käme ich mit. Heute kamen Briefe von Euch und K. Friedrich vom 3. 9. und Christoph hat sogar zweimal geschrieben, was ich furchtbar nett von ihm finde und wofür ich ihm sehr danke. Dass Ihr nun ohne meine Hilfe meine Sachen weggeschafft habt, ist natürlich auch noch ein großes Stück Arbeit gewesen und ich danke Euch sehr dafür! Es ist ein merkwürdiges Gefühl, schlechthin in allem auf die Hilfe der anderen angewiesen zu sein. Aber jedenfalls lernt man in solchen Zeiten dankbar werden und wird das hoffentlich nicht wieder vergessen. Im normalen Leben wird es einem oft gar nicht bewusst, dass der Mensch überhaupt unendlich viel mehr empfängt, als er gibt, und dass Dankbarkeit das Leben erst reich macht. Man überschätzt wohl leicht das eigene Wirken und Tun in seiner Wichtigkeit gegenüber dem, was man nur durch andere geworden ist.

      Die stürmischen Ereignisse in der Welt, die die letzten Tage gebracht haben, fahren einem hier natürlich in alle Glieder und man möchte an irgendeiner Stelle etwas Nützliches leisten können; aber diese Stelle kann eben im Augenblick nur die Zelle des Gefängnisses sein, und was man hier tun kann, spielt sich im Bereich des Unsichtbaren ab und gerade da ist der Ausdruck „tun“ sehr unangemessen. Ich denke manchmal an Schuberts „Münnich“ und seinen Kreuzzug.

      Im Übrigen lerne und schreibe ich so viel wie möglich, und ich bin froh, dass ich in den mehr als 5 Monaten noch nie einen Augenblick Langeweile empfinden musste. Die Zeit ist immer ausgefüllt, aber im Hintergrund steht eben doch von morgens bis abends das Warten. Vor einigen Wochen bat ich Euch mal um die Besorgung einiger neu erschienener Bücher: N. Hartmann: „System der Philosophie“, „Das Zeitalter des