Gegenwärtig werden immer mehr Therapieangebote unter dem Oberbegriff der MBM zusammengefasst. Diese werden auch Mind-Body-Interventionen (MBI) genannt. MBI folgen in der Regel den sogenannten BERN-Kriterien (Behavior-Exercise-Relaxation-Nutrition), wobei die Selbstregulation stets im Mittelpunkt steht. Wissenschaftliche Studien weisen darauf hin, dass MBI besonders wirksam im Kontext von Gesundheitsförderung und Prävention sowie bei chronischen, lebensstil- oder stressassoziierten Erkrankungen sind. Paradigmatisch folgen sie dem sogenannten Salutogenese-Ansatz, der auf eine Erkundung und Stärkung von Gesundheitsschutzfaktoren bzw. Widerstandsressourcen abzielt (individuelle Resilienz- und Kohärenzfaktoren) sowie eine Reduktion von Belastungen (vgl. Stress) anstrebt. Neurobiologisch sind MBI eng mit dem Placebo-Effekt, auch Kontext-Effekt genannt, verbunden. Als Aktivator von Potenzialen der Selbstheilung und Gesundheitsfürsorge kann die MBM trainiert und gestärkt werden, wozu häufig „Experten der Gesundheitsförderung“ zum Einsatz kommen. Idealerweise arbeiten jene gemeinsam mit Experten für die konventionell-medizinische Behandlung in einem Team einer Einrichtung zusammen. Hierzu empfiehlt sich das sogenannte „Zweitürenmodell“, welches das integrative Zusammengreifen von Behandlungsmanagement einerseits und Patientenaktivierung andererseits bezeichnet. Einrichtungen, die derart patientenzentriert und teambasiert, multimodal und mit einem kombinierten Salutogenese-Pathogenese-Ansatz arbeiten, finden sich zunehmend auch im Kontext einer Integrativen (Allgemein-)Medizin.
Dieses Kapitel beschreibt die Entstehung der MBM im Kontext historischer Entwicklungen, auch vor dem Hintergrund einer seit den 1970er-Jahren in den USA aufkommenden Meditationsforschung sowie der wissenschaftlichen Untersuchung des Stressphänomens. Bezüge zur Grundlagenforschung inkl. neurobiologischer Belohnungs- und Placebophysiologie werden hergestellt, Abgrenzungen zur Psychotherapie vorgenommen und ein konkretes Handlungskonzept vorgestellt.
Summary
Mind Body Medicine (MBM) is an important part of today’s Integrative Medicine. The term originally comes from the USA, where MBM has now been integrated into general medical care. It includes, in particular, medical procedures and approaches that strengthen self-help skills and use mental and physical techniques. In addition to its practical aspects, the academic dissemination of MBM also includes a differentiated study of its mechanisms of action – important work in mindfulness and relaxation research also belong in this area.
In Germany, MBM has a close relationship to naturopathy, explicitly, to the so-called ‘order therapy’ (Ordnungstherapie – OT). This is why some experts in the field of naturopathy in Germany equate MBM with OT.
Currently, a growing number of therapies and interventions have been grouped under the generic term of MBM, also called mind body interventions (MBI). MBIs usually follow the BERN criteria (Behavior-Exercise-Relaxation-Nutrition), whereby the focus in each column always lies on self-regulation.
Scientific studies indicate that MBIs are particularly effective in the context of health promotion and prevention, as well as for chronic, lifestyle, or stress-related diseases. Paradigmatically, they follow the so-called salutogenetic approach, which aims to explore and strengthen health protection factors or resistance resources (individual resilience and coherence factors) as well as to reduce stress. From a neurobiological point of view, MBIs are closely related to the placebo effect, also known as ‘contextual effects’.
As an activator of the potential for self-healing and health care, MBM can be trained and strengthened effectively, for which ‘experts in health promotion’ are often used. Ideally, they work together with experts in conventional medical treatment as part of a team at a single integrated facility. Hence, the so-called ‘two-door model’ is recommended for this purpose – which describes the integrative combination of medical treatment management on the one hand and patient activation (MBM) on the other. Institutions that work in such a patient-centered and team-based, multimodal way together with a combined salutogenesis-pathogenesis approach are increasingly common in the context of integrative (general) medicine.
This chapter describes the development of MBM in the context of historical developments. This context also against the backdrop of meditation research that has been emerging in the US since the 1970s and the scientific investigation of the stress phenomenon. References to basic research, including neurobiological reward, and placebo physiology are included while demarcations to psychotherapy and a concrete action plan are also present.
2.1 Einleitung
Die Mind-Body-Medizin umfasst medizinische Verfahren, welche darauf abzielen, die Selbsthilfe- und Gesundheitskompetenz der Individuen zu stärken, wofür heute insbesondere mentale, aber auch körperliche Techniken zum Einsatz kommen. Sie stellt einen zentralen Teil der Integrativen Medizin dar (Dobos et al. 2006) und ist in diesem Kontext sowohl zentrales „Instrument“ ganzheitlicher und ressourcenorientierter Therapieansätze geworden als auch konzeptioneller Rahmen einer exponentiell wachsenden Erforschung von Grundlagen und Wirkmechanismen der Salutogenese, wozu nunmehr auch die Placebo-, Achtsamkeits- und Meditationsforschung gehören (Esch 2020). Insbesondere die moderne Meditationsforschung hat einen wesentlichen Anteil daran, dass die Mind-Body-Medizin nicht nur populär geworden, sondern auch wissenschaftlich „integrativ wirksam“, d.h. breitenwirksam und zu vielen wissenschaftlichen Disziplinen der Grundlagen- und klinischen Forschung (und deren Anwendung) anschlussfähig geworden ist.
2.2 Mind-Body-Medizin: Wie alles begann …
Im Jahr 1982, zu einer Zeit, in der Begriffe wie „Selbstheilung“ oder gar „Meditation“ keinesfalls allfälliger Jargon des gehobenen Feuilletons oder gar der medizinisch-wissenschaftlichen Fachpresse waren, berichtete die New York Times erstmalig über atemberaubende Studien einer Gruppe von Wissenschaftlern um den Harvard-Kardiologen Herbert Benson (vgl. Esch 2014): Ausgestattet mit vagen Schilderungen von wundersamen Ritualen tibetischer Mönche in den entlegenen Höhen des Himalayas und einer eher „wirren“ Beschreibung von im Westen bis dato kaum bekanntem „g Tum-mo“ (Hitze-Yoga) hatte Benson sich auf den – buchstäblich – steinigen Weg gemacht, um dem vermeintlichen Geheimnis mit modernen wissenschaftlichen Methoden auf die Schliche zu kommen. Im Raum stand die zu untersuchende Behauptung, jene Mönche seien in der Lage, ihre eigene Körpertemperatur auf „Knopfdruck“ um ein solches Maß zu erhöhen, dass sie damit eiskalte, feuchte Leinentücher, die man ihnen umgelegte, dampftrocknen konnten.
Auch wenn es sich um ein religiöses und nicht um ein medizinisches Ritual handelte, so erkannten die Mediziner doch die Bedeutung solcher Fähigkeiten, wenn sie wahr sein sollten; denn das sogenannte „autonome Nervensystem“ und andere Regulatoren, die für die Steuerung von u.a. Blutdruck, Herzfrequenz oder Körpertemperatur zuständig waren, galten bis dato als nicht durch den menschlichen Willen beeinflussbar. Wenn dieses zentrale Dogma des autonomen (vegetativen) Nervensystems wankte, müssten u.a. bestimmte Annahmen auch der Herz-Kreislauf-Medizin überdacht werden. Die Wissenschaftler machten interessante Beobachtungen auf ihrer Expedition, u.a. stellten sie bei den Mönchen während des geschilderten Rituals in der Körperperipherie Temperaturschwankungen von fast 10°C fest. Jener Unterschied – ein Anstieg im Vergleich zur Ausgangstemperatur – stellte sich überraschenderweise schon innerhalb weniger Minuten ein. Und die Tücher, die u.a. über den Rücken der Mönche gelegt wurden, waren bereits nach ca. einer Stunde trocken. Diese außergewöhnliche