Sowohl bei der Forschung als auch bei den diversen und vielschichtigen Prozessen der Gesundheitsversorgung kommt der Zusammenarbeit von Patientenvertretern, Therapeuten, Pflegekräften, Politikern und Vertretern der Gesundheitswirtschaft im Sinne eines „Stakeholder Prozesses“ zukünftig besondere Bedeutung zu. Gleichsam ist die Interaktion der klinischen Versorgung mit präventiven Verfahren insbesondere bei chronischen Erkrankungen wichtig, hier wird im Berlin Agreement auf die Bedeutung von sozialen, präventiven und weiteren Programmen der Gesundheitsversorgung verwiesen. Eine besondere Berücksichtigung findet auch die Betonung von sozialen, politischen, ökonomischen und Umweltfaktoren für die Gesundheit von individuellen Personen, aber auch von gesellschaftlichen Gruppen. In diesem Zusammenhang bekennen sich die Initiatoren des Berlin Agreements zu Ihrer besonderen Verantwortung, Ungleichheiten dieser Faktoren entschieden entgegenzuwirken und somit auch in politscher und ökologischer Sicht aktiv zu werden.
Ausgehend von der persönlichen und sozialen Verantwortung und unter Berücksichtigung der oben genannten Faktoren sind die Initiatoren der Überzeugung, dass mit der Etablierung der Integrativen Medizin eine messbare Verbesserung der Patientenversorgung erreicht werden kann. Für dieses Ziel kommt zukünftig auch in zunehmendem Maß der sinnvolle Gebrauch moderner Informationstechnologien als Mittel einer patientenzentrierten Versorgung in Betracht – ein Aspekt, der im Berlin Agreement von 2017 noch nicht zentral fokussiert wurde. So ist nun auch die Integrative Medizin im „Innovation Lab“ einer Medizin von morgen angekommen und vereint in besonderer Weise das Heilwissen – von der Antike bis heute – mit einer ganzheitlichen Heilkunst der Zukunft.
1.6 Schlussfolgerung
Die insbesondere auf der Pathogenese basierende konventionelle Medizin wird durch den präventiven und gesundheitsfördernden Ansatz der Integrativen Medizin, unter besonderer Berücksichtigung des Salutogenese-Ansatzes, maßgeblich erweitert. Evidenzinformierte Verfahren der komplementären und traditionellen Medizin können die konventionelle Medizin mitunter sinnvoll ergänzen, wobei dem selbstverantwortlichen und aktiven Patienten sowie dem empathischen und an einem partizipativen Dialog interessierten Arzt, der mit anderen Gesundheitsberufen teambasiert zusammenarbeitet, eine besondere Bedeutung zukommt. Soziale, politische und ökologische Grundbedingungen von Gesundheit und ihre Erhaltung sollten in Zukunft stärker Berücksichtigung finden, hierzu tragen Mitarbeiter aller Gesundheitsprofessionen besondere Verantwortung. Nur wenn es gelingt, die Medizin in Richtung einer Integrativen Medizin zu modernisieren, wird sie den gesundheitspolitischen und epidemiologischen Herausforderungen der Zukunft wirklich gewachsen sein.
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Prof. Dr. med. Benno Brinkhaus
Benno Brinkhaus ist Facharzt für Innere Medizin, Zusatzbezeichnung Naturheilverfahren und Akupunktur. Professor für Naturheilkunde, Leitung Projektbereich Komplementäre und Integrative Medizin und Hochschulambulanz für Naturheilkunde am Standort Mitte, stellv. Institutsdirektor am Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie, Charité – Universitätsmedizin Berlin.
Prof. Dr. med. Tobias Esch
Tobias Esch, Facharzt für Allgemeinmedizin, Arzt für Naturheilverfahren, Neuro- und Gesundheitswissenschaftler sowie Experte für Mind-Body-Medizin. An der Universität Witten/Herdecke Institutsleiter und Lehrstuhlinhaber für Integrative Gesundheitsversorgung und Gesundheitsförderung sowie Leiter der dortigen Universitätsambulanz – einem deutschlandweit einzigartigen Pilotprojekt zur Implementierung einer Integrativen Allgemeinmedizin und Naturheilkunde in der Regelversorgung.
2 Die Bedeutung der Selbstregulation in der Integrativen und Mind-Body-Medizin – Ein Überblick
Tobias Esch und Benno Brinkhaus
Zusammenfassung