Die letzte Sinfonie. Sophie Oliver. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sophie Oliver
Издательство: Bookwire
Серия: Ein viktorianischer Krimi mit den Ermittlern des Sebastian Club
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783948483340
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      »Ob die wussten, wer Carl Belami in Wirklichkeit war?«

      Genüsslich schob der Doktor ein Stück Kuchen auf seine Gabel. »Das, meine liebe Miss Westbrook, ist die Preisfrage.«

      »Dann sollten wir uns an die Arbeit machen und den Herren ein paar Fragen stellen.«

      »Das sollten wir unbedingt.«

      Kapitel 4 – City of London – Freddie

      Zusammen mit Fletcher Markward erschienen Freddie, Crispin und Lord Philip im Great Eastern Hotel, wo die Musiker des Boston Orchestra sämtlich untergebracht waren. Die Detektive hatten sich angemeldet und vorab die Reihenfolge angegeben, in der sie die Herren befragen wollten. Freddie hoffte, es würde nicht nötig sein, wirklich jedes einzelne Orchestermitglied zu verhören, denn dann wären sie eine ziemliche Weile beschäftigt.

      Direkt an der Liverpool Street Station gelegen, bildete das Great Eastern Hotel einen praktischen Ausgangspunkt für die Weiterreise des Boston Orchestra. Zudem verfügte es über einen Saal mit passabler Akustik, der als Probenraum genutzt werden durfte. Das war etwas, womit nicht jedes Hotel dienen konnte. Oder wollte.

      »Ist es wirklich notwendig, unsere Arbeit zu unterbrechen?«, begrüßte sie der Dirigent unleidig. Er stand in der Tür wie eine Hausfrau, die unliebsame Bittsteller abwimmelt. Hinter ihm toste eine Kakophonie wilder Töne durch den Saal. Die Musiker stimmten ihre Instrumente. »Das nächste Konzert findet in drei Tagen in Karlsbad statt und wir müssen die Unterbrechungen wieder aufholen, die wir der hiesigen Polizei zu verdanken haben.«

      »Wohl eher dem Mord an Carl Belami«, korrigierte Lord Philip.

      Raphael Wilfried atmete hörbar genervt aus. Die Respektlosigkeit erstaunte Freddie.

      »Mord? Soviel ich weiß, wurde sein Ableben zu einem Unfall erklärt. Mehr haben wir nicht zu sagen. Wenn Sie uns also nun bitte …«

      Mister Markward platzte dankenswerterweise der Kragen. »Jetzt hören Sie mal! Einer Ihrer Musiker ist in meinem Haus tot umgefallen. Die Leute tratschen hinter meinem Rücken. Ich habe schon Gerüchte gehört, wonach ich dafür verantwortlich sein soll. Das ist absolut inakzeptabel. Ich riskiere nicht meinen guten Ruf, nur damit Sie ungestört proben und eine Reise fortsetzen können, die ich maßgeblich bezahle. Entweder Sie kooperieren sofort und vollständig mit den von mir beauftragten Detektiven aus dem Sebastian Club oder Sie erstatten die Fördergelder zurück, die ich dem Orchester für diese Tournee gespendet habe.«

      Bevor sie ins Hotel gegangen waren, hatte der Mäzen nochmals betont, wie viel ihm daran lag, dass die leidige Angelegenheit bitteschön geklärt würde. Am besten durch das Fassen des Mörders. Somit wäre der Makel von Markwards Namen getilgt. Auch seiner Ansicht nach war Woodards Theorie eines Unfalltodes unsinnig. Freilich schlossen die Ermittler ihren Auftraggeber als Verdächtigen nicht aus, nur weil er sich kooperativ zeigte.

      Dirigent Wilfried schnappte ein paar Mal wie ein Fisch auf dem Trockenen und änderte dann seinen Tonfall.

      »Selbstverständlich beantworten wir alle Ihre Fragen, Gentlemen.« Das klang unterwürfig, nicht echt. Und ärgerte Freddie, weil er sie als Dame nicht mit einschloss. Sie mochte Raphael Wilfried nicht.

      »Dann würden wir gerne zuerst mit Ihnen sprechen«, bemerkte sie knapp. »Am besten nebenan.«

      »Haben Sie Ihre Sekretärin dabei, damit sie Notizen macht?«, fragte Wilfried Lord Philip, ohne Freddie eines Blickes zu würdigen.

      »Miss Westbrook ist meine Nichte, offizielles Mitglied im Sebastian Club und Detektiv ebenso wie ich.« Er drehte sich zackig um, marschierte voraus und stieß die Tür zum Nebenzimmer so schwungvoll auf, dass sie laut gegen die Wand krachte. Dann blieb er mitten im Raum stehen und verschränkte die Arme vor der Brust. Er bot dem Dirigenten keinen Platz an, obwohl sich einige gemütlich aussehende Polstersessel um einen rechteckigen Tisch gruppierten. Crispin stellte sich neben Lord Philip und wartete, bis Freddie sich als einzige gesetzt hatte. »Miss Westbrook, möchten Sie mit der Befragung beginnen?«

      Am liebsten hätte sie laut ja gerufen, biss sich aber dann auf die Zunge und überlegte. Lobenswert von Crispin und Onkel Philip, ihr den Rücken zu stärken. Der Dirigent wirkte äußerst konsterniert, geschah ihm recht. Wenn sie allerdings Informationen von ihm erhalten wollten, war es besser, sich diplomatisch zu verhalten. Er gab sich wie eine männliche Diva, das machte ihn unberechenbar.

      »Übernehmen Sie das doch, meine Herren«, antwortete sie daher mit betont charmanter Stimme, lehnte sich zurück und schlug die Beine übereinander.

      Lord Philip ließ sich nicht lange bitten. »Seit wann kannten Sie den Toten?«

      Wilfried überlegte. »Er stellte sich vor zwei, nein drei Jahren vor und spielte zunächst die zweite Trompete. Als sein Vorgänger aus Altersgründen ausschied, übernahm er vor sechs Monaten die erste Position.«

      »War Mister Belami beliebt?«

      Der blasierte Gesichtsausdruck ihres Gegenübers verrutschte für einen Moment, er fasste sich aber zügig wieder. »Ich pflege keine privaten Kontakte zu meinen Musikern. Distanz schafft Respekt, wenn Sie verstehen. Daher kann ich Ihnen dazu nichts sagen.«

      »Wussten Sie, dass Carl Belami eigentlich aus England stammte?«

      »Nein. Mir hat er erzählt, dass er über zehn Jahre in Chicago gelebt habe und davor in New York. Er sprach mit perfektem amerikanischem Akzent. Es gab keinerlei Grund, an seiner Herkunft zu zweifeln. Sie müssen sich irren.« Die Stirn unter dem straff nach hinten gekämmten grau melierten Haar runzelte sich. Sein apartes Gesicht und die haselnussbraunen Augen wirkten wahrscheinlich auf viele anziehend, auf Freddie nicht. Wilfried war ein selbstverliebter Kleingeist, mochte er sich auch Mühe geben, groß zu tun.

      »Der richtige Name des Ermordeten war Charles Bosworth.«

      »Das sagt mir nichts.«

      Freddie und ihr Onkel sahen sich an. Crispin stellte einige weitere Fragen, dann schickten sie den Dirigenten hinaus und baten ihn, Laurence Verbier hereinzuschicken.

      »Werden Sie nun zum ersten Trompeter aufsteigen, da Mister Belami tot ist?«, eröffnete Crispin das Gespräch ganz direkt.

      Der Franzose lächelte dünn. »Davon gehe ich aus. Allerdings hätte ich diese Position von vorne herein besetzen sollen.«

      »Warum?«

      »Weil ich besser bin als Carl.« Er warf einen Blick zur geschlossenen Tür, als stünden dahinter Lauscher. »Mister Wilfried benimmt sich, als wäre er weiß Gott wer. Der König seines eigenen kleinen Reichs und wir die Untertanen. Manche seiner Entscheidungen sind schlichtweg nicht nachvollziehbar. Auf Kritik reagiert er wie ein Despot. Bisweilen frage ich mich, ob es richtig war, in sein Orchester einzutreten, oder ob mein Talent hier verschwendet wird.«

      »Sein Orchester?«, fragte Freddie.

      »Er ist von Ehrgeiz zerfressen und will um jeden Preis mit dem Boston Symphony Orchestra wetteifern. Dafür braucht er gute Musiker. Wie Sie sicher wissen, ist Mister Wilfried nicht nur unser Dirigent, sondern auch der Generalmusikdirektor.«

      »Was bedeutet das?«

      »Dass ihm das Orchester gehört. Er hat eine Stiftung gegründet, in die Spendengelder gezahlt werden, wie zum Beispiel von Mister Markward. Damit bestreitet er unser Gehalt, schafft Instrumente an und finanziert diese Konzertreise. Mister Wilfried muss alles kontrollieren, sonst ist er nicht glücklich. Am liebsten würde er uns rund um die Uhr beaufsichtigen. Aber eigentlich hat er keine Ahnung davon, wie es im Orchester wirklich zugeht.«

      Langsam wurde es interessant. Auch Verbier war ein Typ Mann, der bei Freddie nicht gerade Begeisterung auslöste. Ende dreißig, mit zu viel Pomade im Haar ebenso wie im dünnen Oberlippenbärtchen und dunklen, fast schwarzen Augen, die ständig etwas zu suchen schienen. Ein unsteter Blick kombiniert mit einem falschen Lächeln. Sollten sie ihm auch nur ein Wort von dem glauben, was er erzählte?

      »Man darf nicht schlecht über Tote sprechen, aber