Die letzte Sinfonie. Sophie Oliver. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sophie Oliver
Издательство: Bookwire
Серия: Ein viktorianischer Krimi mit den Ermittlern des Sebastian Club
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783948483340
Скачать книгу
gerunzelt, mit missbilligend geschürzten Lippen, die fast seine Nasenspitze berührten.

      »Bitte verzeihen Sie, aber ich habe dieses Meisterwerk entdeckt und konnte nicht anders. Wer ist die Dame und wer hat sie gemalt?«

      »Keine Ahnung, wer das gemacht hat. Es ist das Bild von Leonora Ellingford, der Gattin des Colonels.«

      »Dürften wir vielleicht mit ihr sprechen?« Freddies Herz pochte aufgeregt.

      Der Alte grunzte. »Madam ist seit vielen Jahren tot.« Er drückte ihr eine Visitenkarte in die Hand. »Hier haben Sie die Adresse, die Sie wollten. Und jetzt sehen Sie zu, dass Sie raus kommen. Ich muss das Haus dicht machen wegen des Sturms.«

      Ohne ein weiteres Wort schob er sie zur Tür und ehe sie protestieren konnten, fanden sich die beiden draußen im Regen wieder. Sie riefen nach dem Kutscher, aber offenbar hatte er sich und seine Tiere in Sicherheit gebracht. Kein Wunder, bei diesem Wetter.

      »Nächstes Mal fahren wir mit dem Automobil, das haut wenigstens nicht ab, wenn es ein wenig donnert«, schimpfte Crispin. Wie zur Bestätigung krachte es unmittelbar über ihnen.

      »Was machen wir jetzt?« Der Regen drang langsam durch Freddies Kleidung und obwohl es nicht kalt war, brauchten sie einen Unterstand.

      »Wir haben nicht viele Möglichkeiten, nachdem uns dieser unfreundliche Hausgeist die Tür vor der Nase zugeknallt hat. Lass uns zurück in Richtung Harrow gehen. An der Hauptstraße habe ich ein Inn gesehen. Vielleicht ist man dort gastfreundlicher.«

      Das würde mindestens eine halbe Stunde dauern und sie müssten bei dem Unwetter das Wäldchen durchqueren. Kein verlockender Gedanke.

      »Oder wir warten einfach im Pferdestall, bis es aufhört zu regnen. Der steht sowieso leer, wie es aussieht.« Freddie wies auf ein Nebengebäude, dessen Tür knarzend in den Angeln schwang.

      »Gute Idee!« Crispin ergriff ihre Hand und gemeinsam rannten sie los. Sicher würde niemand der drei Bediensteten im schlimmsten Unwetter nach draußen kommen. Und selbst falls doch, würde Freddie sich keinen Meter mehr bewegen, beschloss sie, als sie auf einem Strohballen niedersank. Die Pferdeboxen waren allesamt verwaist, lediglich der Geruch erinnerte noch an ihre vormaligen Bewohner. Eine Katze hatte sich ein Nest im Stroh gebaut und öffnete kurz die Augen, um die Neuankömmlinge zu mustern. Unbeeindruckt von der menschlichen Störung sowie vom Gewitter, legte sie gleich darauf den Kopf wieder auf die Pfötchen und schlief weiter. Oben in den Dachbalken flatterten Schwalben.

      »Zugig«, konstatierte Crispin. »Aber trocken.« Er wollte aus seiner Jacke schlüpfen, um sie Freddie umzulegen.

      »Lass nur. Wir sind beide pitschnass, das würde nichts bringen. Aber lieb von dir.«

      »Eigentlich sollten wir unsere Sachen ausziehen.«

      Sie grinste ihn an. »Ich denke nicht.«

      Er gab sich mit einem Schulterzucken geschlagen und streckte sich auf dem Stroh aus, die Hände hinter dem Kopf verschränkt.

      »Die Pferdekoppel auf dem Gemälde hatte neue Zäune. Alles sah frisch und sauber aus. Was ist hier geschehen, um das gesamte Anwesen in diesen verwahrlosten Zustand verfallen zu lassen?«

      »Es kümmert sich einfach niemand mehr darum, seit der Hausherr weg ist.«

      Freddie schüttelte den Kopf. »Nein, das ist es nicht. Die morschen Bretter, die Leere. Hier herrscht seit vielen Jahren kein glückliches Leben mehr. Ich kann die Trauer förmlich spüren, die von allem ausgeht.«

      »Ist das weibliche Intuition oder kannst du das mit Beweisen stützen, Frau Ermittlerin?«

      »Du bist schrecklich, Crispin.« Sie warf eine Handvoll Stroh nach ihm. »Überleg doch mal. Ich wette, die verblichene Mrs Ellingford ist die Frau aus den Briefen des Professors. Die waren von einer Nora. Leonora – Nora – das kann kein Zufall sein. Ich habe sie gelesen, es sind eindeutig Liebesbriefe. An Aristotle Brown. Nora und Aristotle waren ein Paar, da bin ich mir absolut sicher. Warum hat sie diesen Colonel geheiratet? Die flachsblonde Farbe der Haarlocke, die wir gefunden haben, passt überdies.« Sie setzte sich kerzengerade hin. »Ich bin davon überzeugt, Leonora Ellingford war Professor Browns große und tragische Liebe, deren Andenken er bis zu seinem Lebensende aufbewahrt hat.«

      Crispin runzelte die Stirn. »Weshalb hat er uns als letzten Auftrag erteilt, dieser Geschichte nachzuspüren, was denkst du?«

      »Weil sie voller Leid und Schmerz ist. Wäre sie gut ausgegangen, hätte Mrs Ellingford Mrs Brown geheißen. Und wer weiß, vielleicht wäre sie noch am Leben. Möglicherweise hat Colonel Ellingford seine Gattin in einem Eifersuchtsanfall getötet und wir sollen das beweisen.«

      »Ach Freddie. Jetzt geht aber wirklich die Fantasie mit dir durch. Komm her. Leg dich zu mir.« Er breitete einen Arm aus und sie kuschelte sich an seine Schulter. Gemeinsam sahen sie hinauf zum Dachgebälk und hörten dem prasselnden Regen zu, zählten die Sekunden zwischen Blitz und Donnerschlag.

      »Gut, dass wir uns nicht auf den Weg in den Ort gemacht haben«, murmelte Crispin an Freddies Ohr. »Ist dir kalt, mein Herz? Soll ich dich wärmen?«

      Er neigte den Kopf und küsste sie. Als sie seinen Kuss erwiderte, legte er sich auf sie und begann die Knöpfe ihres Oberteils zu öffnen, einen nach dem anderen. Dabei ging er geschickt vor. Er wusste genau, was er tat, und Freddie fand das sehr erregend. Vorsichtig streifte er das Kleid von ihrer Schulter und überzog ihren Hals mit vielen hingehauchten Küssen, was herrliche Schauer über Freddies Rücken jagte. Sie schlang ein Bein um seine Hüfte und zog Crispin näher an sich. Plötzlich erschien ihr seine Idee, die Kleidung auszuziehen, sehr gut.

      Nachdem das Gewitter vorüber war und der Kutscher mitsamt Gefährt nicht wieder auftauchte, dauerte es in der Tat länger als eine halbe Stunde, bis Freddie und Crispin das Wäldchen durchquert und das Inn auf der Hauptstraße erreicht hatten. Die Sonne brach durch und verwandelte die Luft in dampfende Schwaden, die aus den Feldern emporstiegen. Freddies Schuhe waren schlammverschmiert, ihr Haar hatte sich in der Feuchtigkeit gekräuselt, aber sie und Crispin trugen ein glückliches Lächeln auf den Lippen. Sicherlich boten sie einen abenteuerlichen Anblick, als sie das Gasthaus betraten.

      Sie baten den Wirt, eine Kutsche zu bestellen und tranken Applecider und Ale, während sie warteten.

      »Du siehst bezaubernd aus«, sagte Crispin mit einem verliebten Blick auf Freddie.

      Sie strahlte ihn an. »Du auch.«

      »Am liebsten würde ich hierbleiben, allein mir dir. Es wäre wundervoll, wenn wir Zeit zu zweit hätten, ohne Verpflichtungen und andere Menschen.«

      Da musste sie ihm aus vollem Herzen beipflichten, obwohl sie sich das nicht laut zu sagen getraute. Sie sehnte sich danach, Crispin nicht nur im Rahmen von Ermittlungen zu sehen, sondern ihr Leben mit ihm zu teilen. Eine erschreckende Erkenntnis, mit der sie im Moment so gar nichts anzufangen wusste.

      Freddie räusperte sich und zog vorsichtig die vom Regen durchweichte Visitenkarte aus dem kleinen Beutel, der ihr als Handtasche diente.

      »Hospital for Consumption and Diseases of the Chest, Brompton«, las sie vor. »Ich fürchte, wir müssen den ganzen Weg wieder zurück. Und wenn ich mir das Vehikel ansehe, das der freundliche Wirt für uns organisiert hat, wird das eine Weile dauern.«

      Ungläubig starrten sie aus dem Fenster des Inns auf den wartenden Ochsenkarren, dessen Kutscher, zweifellos ein örtlicher Bauernjunge, fröhlich zu ihnen hereinwinkte.

      Sie teilten sich die Ladefläche mit Äpfeln, die der Junge zum Markt brachte, und holperten gemütlich im Schneckentempo zurück in die Stadt. Die Landschaft sah nach dem Gewitter aus wie frisch gewaschen. Zumindest so lange, bis Londons Schlote in Sicht kamen, die Straßen belebter wurden und die Metropole sie verschluckte. Sobald sie ein Hansom Cab vorbeifahren sahen, hielten Crispin und Freddie es an und stiegen um. Natürlich nicht ohne sich zu bedanken und den Jungen für seine Dienste gebührend zu entlohnen.

      »Wohin?«, fragte der Kutscher.

      Eigentlich sollten sie sich zuerst