»Das höre ich gern, mein Junge«, sagte sie so gelassen und förmlich, als ob es statt »mein Junge« »Herr Direktor« hieße. »Ich gestehe, daß man mich nie zu viel bewundern kann. Ist dies Zimmer hell genug?«
Er begriff, daß sie sich in ihrem sehr hellen Frühstückszimmer zeigte wie nur eine ganz junge Frau.
»Und ich bin fünfunddreißig«, sagte sie als Antwort auf seinen Blick. Er verbesserte für sich: vierzig. Das wurde verraten von der nächsten Umgebung der sorgfältig gemalten Augen, und auch am Hals sprachen Zeichen.
»Wer für mich Verständnis hat«, sagte sie, »kann auf meine Sympathie rechnen – wenn nötig, auf meine Hilfe.«
»Meine Sache mit Herrn Schattich kämpfe ich durch«, behauptete er.
»Ihnen glaube ich es« – hierbei musterte sie eingehend zuerst seine Schultern, dann seine energiegeladene Miene. Er ließ sich bewundern. Allmählich ward er unruhig. Als sie ihn vergebens nach Worten suchen sah, bemerkte sie in aller Ruhe: »Sie sollten in Ihrem Kampf um Ihre Erfindung in den Vordergrund das Recht des geistigen Arbeiters stellen. Hier Ihr Geisteskind drüben nichts als eine rohe Macht, die es rauben will! Ich drücke mich romanhaft aus?« fragte sie reizend.
Emanuel hörte nicht ohne Verlegenheit: Ihr Geisteskind; aber er wandte nichts ein. Er fragte sogar: »Glauben Sie, daß ich das öffentlich schreiben sollte?«
»Und ich werde dafür sorgen, daß es in eine große Berliner Zeitung kommt«, bestätigte Nora ihm. Hier wallte ihm viel Blut zum Kopf.
»Mögen Sie mich denn?« fragte er schnell und töricht. Sie überhörte es, sie schälte gerade Obst. Ihr Ton wurde trotzdem warnend.
»Mit I. G. Chemikalien seien Sie vorsichtig! Sie sind nicht besser – ich meine nicht fortschrittlicher gesinnt. Ein Anfänger könnte bei den Verhandlungen sonderbare Dinge erleben.«
Da sie sich auf ihre nur wenig geschminkte Lippe biß, erfuhr er nicht, welche Dinge, und war gespannt. Sogar eine sachliche Falte bekam der junge Mann.
»Wir beide gründen lieber selbst eine I. G. oder Interessen-Gemeinschaft«, sagte sie plötzlich mit klarer Stimme. »Für eine andere dürfen Sie nicht arbeiten.«
Wie die Frau dasaß und blickte, war sie unmöglich mißzuverstehen, so doppelsinnig sie schien. Er sprang vom Stuhl, körperlich getroffen von ihren Worten – machte mehrere Schritte zu ihr hin, bog plötzlich ab und trat vor ein Fenster. Als er sich wieder hinwandte, hielt sie noch immer eine Wange auf dem Handrücken. Die von Steinen blitzenden Finger hingen herab, der Blick war leicht verwundert, aber gelassen.
Er kam in Wut über seinen Irrtum. Diese Frau schwatzte, sie nannte es plaudern, und nichts berührte sie selbst. Immer wieder forderte sie ihn heraus, und schon im gleichen Augenblick war sie es nicht gewesen. Er fand sie abscheulich heuchlerisch – im Erotischen wie in allem übrigen. Er hielt sich an das übrige, trotz seiner Wut suchte er die geringere Gefahr.
»Was Sie da vom Kampf reden! Kampf sieht anders aus. Wenn einer alles hat und der andere nichts, dann kenne ich keinen Kampf. Als wir mal nicht aufpaßten, weil es hierzulande überhaupt kein festes Geld mehr gab, da haben Industrie und Banken alles, was Geldwert hat, an sich gebracht. Es war wie der Einbrecher, der im Dunkeln Ihre Perlen klaut, während Sie schlafen.« Nora Schattich zog an ihrer langen Perlenschnur, daher kam er auf den Vergleich.
»Jetzt fehlt ihnen nur noch der Anteil an der politischen Macht, den wir behalten haben. Nach dem giepern sie. Dafür bezahlen sie bewaffnete Räuberbanden, und dafür richten sie absichtlich die Reichsfinanzen zugrunde, damit sie nachher die Retter spielen können. Das wird ihnen auch gelingen. Die paar reichen Leute werden in Deutschland noch mal die ganze Macht haben, wie früher die paar Fürsten – aber nicht so lange. Das geb ich Ihnen schriftlich, nicht mehr so lange! Wir haben immerhin etwas gelernt.«
»Also doch«, sagte Nora Schattich. »Sie sind Bolschewist. Außerdem sind Sie ein dummer Junge, denn reiche Leute, was Sie reiche Leute nennen, das gibt es gar nicht mehr. Wir arbeiten alle.«
»Sie arbeiten?« fragte er und überflog ihre Gestalt. Gelockert durch seine eigenen großen Worte, betrachtete er mit offener Begehrlichkeit, was sie zu bieten hatte, Porzellanfarben, Gerüst, Glanz des Haares und Gewandes, ja, auch die Totennase. Sie indessen bezog in diesem Augenblick seinen funkelnden Blick ausschließlich auf ihre Perlenkette. Sie ließ die lange Schnur in ihrem Brustausschnitt verschwinden. Er beugte sich unbewußt vor, um dem Kleinod nachzusehen. Dort drinnen war es milchig weiß, hügelig, und ein beschleunigter Atem bewegte die Gegend.
Um seine Fassung wiederzuerlangen, trat der Unglückliche hinter die Dame, da kam er vom Regen in die Traufe. Ihr Rücken war ausgesprochen schön, und das Morgenkleid entblößte ihn bis dorthin, wo sie saß.
»Mein Mann arbeitet nachweislich so viel wie dreißig Angestellte. Sein Gehalt ist aber nur das Zwanzigfache.«
Sie sprach zu ihm vernünftig belehrend, während er hinten seine Wunder erlebte. Schnell und undeutlich führte er irgend etwas ins Feld, Beteiligungen, Aktien, Aufsichtsratsposten, die Schattich außer seinem Gehalt besitzen sollte. Sie erklärte in überlegenem Ton dies alles für wertlos, worauf er seine unwirksamen Versuche auch schon aufgab.
»Was machen Sie dort eigentlich?« fragte sie klagend, ohne sich im geringsten zu rühren.
Er überlegte unruhig, was geschehen würde, wenn er ihr einfach den großen nackten Rücken küßte. Klar, daß sie grade dafür den Körperteil hinhielt.
›Ich bin jung‹, dachte er, um sich anzufeuern, aber es half nichts, er blieb eingeschüchtert.
»Haben Sie mir gar nichts mehr zu sagen?« fragte die Dame auf ihrer vorderen Seite.
Infolgedessen begann er wieder von der Übermacht des Konzerns, der Aussichtslosigkeit, sein eigenes, verantwortliches Leben zu führen, der Sklaverei des Geistes. »Der verfallen alle mit der Zeit, und unsere Gebundenheit führt zu Minderwertigkeitsgefühlen. Ich kann doch nicht einmal die Stadt verlassen, wenn ich es wollte!«
»Wollen Sie es denn?« fragte Nora Schattich und wandte sich zum erstenmal nach ihm um.
»Sie sind egoistisch wie alle Männer, von welcher Generation auch immer. Sie unterhalten mich nur von Ihren eigenen Sorgen, und sogar fortgehen wollen Sie. Als ob ich meinerseits das könnte! Ich bin hier eine Gefangene.«
Sie sagte mit zerbrechlicher Miene: »Ein goldener Käfig ist auch noch ein Käfig. Haben Sie mich denn richtig angesehen?«
»Ich sehe Sie zu viel an«, antwortete er hierauf.
Sie behielt den Ausdruck von Zerbrechlichkeit und Schonungsbedürftigkeit.
»Ich leide unter den Erfolgen eines mittelmäßigen Mannes, an den ich ebenso gebunden bin wie Sie an Ihren Konzern, und mein menschlicher Mehrwert, denn ich bin mehr wert, wird auch im ganzen Leben nicht realisiert. Begreifen Sie das? Ich liege da wie totes Kapital, und meine Zeit vergeht. Noch wäre ich für Berlin geeignet – und dann hier festgehalten sein! Begreifen Sie das?«
»Ich verstehe Sie«, behauptete er bereitwillig.
»Aufregungen am Vormittag sind für mich Gift« – wobei sie in die geheime Gegend ihres Herzens griff. »Läuten Sie meiner Zofe!«
Auf was wartete sie, die Klingel war unter der gläsernen Tischplatte.
»Oder helfen Sie mir, mich niederzulegen!«
Dies wurde stillschweigend vorgezogen. Der junge Mann führte die schöne Vierzigjährige auf ihren Wunsch nach links, und als er die Tür