5. Dies kommt ja gerade deswegen zustande, weil das, was hindern könnte, nicht wirksam, eingreift und nicht hindert. Denn wie sollte der wirksam sein, der nicht hindert?
6. Sodann wird ihre Behauptung ganz widerspruchsvoll, wenn sie als schuld an der Verwundung nicht das Geschoß, sondern den Schild bezeichnen wollen, der das Geschoß nicht hinderte, durchzudringen. Sie werden ja auch nicht den Dieb, sondern dem Vorwürfe machen, der den Diebstahl nicht verhinderte.
83.
1. Sie sollten demnach auch behaupten, daß nicht Hektor die Schiffe der Griechen in Brand gesteckt habe,441 sondern Achilleus, weil er, obwohl er den Hektor hätte hindern können, ihn nicht gehindert hat; aber er hielt das Feuer wegen seines Zornes nicht ab, wobei es in seinem Belieben stand, zu zürnen oder nicht, und deshalb ist er vielleicht mitschuldig.442
2.Der Teufel dagegen, der völlig freier Herr seiner Entschlüsse war, hätte ebensogut seinen Sinn ändern können als stehlen, und ist deshalb selbst an dem Diebstahl schuld, nicht der Herr, der ihn nicht hinderte. Aber das Geschenk war auch nicht schädlich, so daß die Hinderung hätte eintreten müssen.
3. Wenn ich aber diesen Leuten gegenüber den Sachverhalt ganz genau feststellen soll, so sollen sie wissen, daß das Nichthindern, worum es sich nach unserer Behauptung bei dem Diebstahl gehandelt hat, überhaupt in keiner Weise an etwas schuld sein kann, daß man dagegen dem Hindern mit Recht den Vorwurf machen kann, an etwas schuld zu sein.
4. Denn wer einen andern mit dem vorgehaltenen Schilde deckt, der ist für diesen die Ursache davon, daß er nicht verwundet wird, indem er verhindert, daß er verwundet wird; und auf Sokrates übte das Daimonion eine Wirkung aus, nicht, indem es nicht hinderte, sondern indem es abhielt, wenn es auch nicht antrieb.443
5. Es wären aber weder Lob noch Tadel, weder Ehrungen noch Strafen berechtigt, wenn die Seele nicht die Möglichkeit hätte, etwas zu erstreben und es abzulehnen, sondern das Tun des Schlechten unfreiwillig wäre.444
84.
1. Demnach übt der Hindernde eine Wirkung aus, dagegen ist der, der nicht hinderte, berechtigt, über die Entscheidung der Seele ein Urteil zu fällen, so daß Gott an unserem bösen Tun auch nicht im geringsten irgendwelche Schuld hat.445
2. Da aber den Anfang zu den Verfehlungen die Neigung und das Streben macht und dafür manchmal eine irrige Voraussetzung entscheidend ist, von der wir versäumen, uns freizumachen, obwohl sie Mangel an Kenntnis und an Einsicht ist, so kann uns Gott mit Recht strafen, auch wenn die böse Tat nicht beabsichtigt war.
3. Denn man hat auch nicht mit Absicht Fieber: aber wenn jemand durch eigene Schuld und infolge von Unmäßigkeit Fieber bekommt, machen wir ihm Vorwürfe.
4. Denn niemand wählt etwas Schlechtes, weil es schlecht ist, sondern von der mit ihm verbundenen Lust verführt, hält man es für gut und glaubt, es wählen zu sollen.446
5. Da sich dies so verhält, steht es bei uns, uns von der Unwissenheit und der schlimmen, von der Lust bedingten Neigung freizumachen und schon vorher nicht jenen trügerischen Vorstellungen nachzugeben.
6. Räuber und Dieb447 wird aber der Teufel genannt, weil er falsche Propheten unter die Propheten einmischte, wie unter den Weizen das Unkraut.448
7. Der Satz „Alle vor dem Herrn sind Diebe und Räuber“449 bedeutet also nicht einfach alle Menschen, sondern alle falsche Propheten und alle, die nicht ausdrücklich von ihm gesandt wurden.
85.
1. Es besaßen aber auch die falschen Propheten wirklich das gestohlene Gut, nämlich den Prophetennamen, insofern sie Propheten waren, aber Propheten des Lügners.
2. Denn der Herr sagt: „Ihr habt den Teufel zum Vater, und nach den Begierden dieses eures Vaters wollt ihr handeln. Er war ein Mörder von Anfang an, und er steht nicht in der Wahrheit, weil keine Wahrheit in ihm ist. Wenn er die Lüge redet, so redet er aus seinem eigenen Wesen heraus; denn er ist ein Lügner und der Vater der Lüge.“450
3. Unter den Lügen sagten aber die falschen Propheten auch einiges Wahre, und in der Tat sprachen sie ihre Weissagungen in Verzückung als die Diener des Abtrünnigen.
4. Auch „der Hirte, der Engel der Buße“451 sagt zu Hermas über den falschen Propheten: „Denn manche Worte, die er sagt, sind wahr; denn der Teufel erfüllt ihn mit seinem Geiste, ob er vielleicht einen der Gerechten werde zerschmettern können.“452
5. Also wird alles von oben her zum Guten gelenkt, „damit durch die Gemeinde die mannigfache Weisheit Gottes geoffenbart werde entsprechend der Vorausbestimmung von Ewigkeit her, die er in Christus vollendet hat.“453
6. Gott steht aber nichts im Wege, und nichts kann ihm Widerstand leisten, da er der Herr und der allmächtige Herrscher ist.
86.
1. Aber auch die Ratschläge und Wirkungen der Abtrünnigen, die nur in einem Teil der Welt von Einfluß sind, erwachsen zwar aus einer schlechten Anlage, ebenso wie die körperlichen Krankheiten, werden aber von der über die ganze Welt waltenden Vorsehung zu einem heilsamen Ende gelenkt, mag auch der Ausgangspunkt unheilbringend sein.
2. Es ist ja die größte Tat der göttlichen Vorsehung, daß sie den aus dem vorsätzlichen Abfall erwachsenen Frevel nicht ohne gute Wirkung und Nutzen bleiben und ihn nicht nach jeder Richtung hin schädlich werden ließ.
3. Denn die Weisheit, Güte und Macht Gottes zeigt sich nicht nur darin, daß er Gutes tut (denn dies gehört sozusagen zum Wesen Gottes wie zu dem des Feuers das Wärmen und zu dem des Lichtes das Leuchten) sondern vor allem auch darin, daß er durch das von irgend jemand ersonnene Böse ein gutes und heilsames Ergebnis herbeiführt und das scheinbar Schlimme zum Heile verwendet, wie auch das aus der Versuchung erwachsene Bekenntnis.454
87.
1. Es ist also auch in der Philosophie, die gestohlen wurde, so wie das Feuer von Prometheus, ein kleiner Funke vorhanden, der geeignet ist, zum Licht zu werden, wenn er richtig angefacht wird,455 eine Wegspur zur Weisheit und eine Bemühung um Gott.456
2. Die griechischen Philosophen dürften aber insofern „Diebe und Räuber“457 sein, als sie vor der Ankunft des Herrn von den hebräischen Propheten Teile der Wahrheit nicht mit vollem Verständnis übernahmen, sondern sie sich aneigneten, als wären sie ihre eigenen Lehren, wobei sie manches fälschten, anderes infolge eines Übermaßes von Scharfsinn töricht umdeuteten, einiges auch erfanden.458 Denn vielleicht haben sie auch „den Geist des Verstandes“459 gehabt.
3. Mit jenem Schriftwort stimmte aber auch Aristoteles überein, wenn er die Sophistik, wie wir früher erwähnten,460 die Kunst, Weisheit zu stehlen, nannte.
4. Der Apostel aber sagt: „Davon reden wir auch, nicht mit Worten, wie sie menschliche Weisheit lehrt, sondern mit Worten, wie sie der Geist eingibt.“461
5. Denn in Beziehung auf die Propheten sagt er: „Wir alle nahmen aus seinem Überfluß“,462 nämlich dem Christi; Deshalb sind die Propheten keine Diebe.
6. Und der Herr sagt: „Meine Lehre ist nicht von mir, sondern von meinem Vater, der mich sandte.“463 Von den Stehlenden aber sagt er: „Wer aus sich selbst redet, der sucht seine eigene Ehre.“464
7. Solche Leute sind aber die Griechen, „selbstsüchtig und prahlerisch.“465 Wenn die Schrift sie aber „Weise“466 nennt, so tadelt sie damit nicht die wirklich Weisen, sondern nur die, die sich weise dünken.
XVIII.