Die Unterkunft bei den Mönchen war sehr einfach. Die Gäste bekamen eine Platz in einem großen Schlafsaal, aber Arnulf hatte nicht das Geringste dagegen einzuwenden. Bequemer als die Erde, auf der sie die letzte Nacht verbracht hatten, war dieses Lager allemal.
Ansonsten nächtigten hier vor allem Pilger, die auf der Reise ins Heilige Land waren – aber auch einige Ritter, die offenbar zur Begleitung des Johannes Philagathos gehörten und am Hof von Kaiser Basileios dafür sorgen sollten, dass sich vielleicht trotz aller Widrigkeiten noch eine geeignete Hochzeitskandidatin für den Magdeburger Hof fand.
„Für wie lange habt Ihr unseren Aufenthalt hier in Konstantinopel geplant, Fra Branaguorno?“, fragte Arnulf den Mönch, als er glaubte, dass er mit Fra Branaguorno und Gero allein war.
Der blasse Mann legte einen Finger auf den Mund.
„Traut niemandem, werter Arnulf.“
„Aber – wir sind hier unter Männern Gottes!“, entfuhr es Gero, dem es eigentlich nicht zustand, sich auf diese Weise in das Gespräch einzumischen.
Fra Branaguorno wandte ihm den Kopf zu. „Das ist ein Grund, besondere Vorsicht walten zu lassen, Gero.“
„Das verstehe ich nicht! Haben all diese Männer sich nicht dem Dienst am Herrn verschrieben?“
„Aber Ohren haben sie trotzdem“, erwiderte Fra Branaguorno lächelnd. „Und Zungen ebenfalls, mit denen sie das, was sie hören weitertragen.“
„Ich hoffe trotzdem, dass wir unsere Reise bald fortsetzen können, Fra Branaguorno. Vielleicht könnt Ihr Eure Kontakte aus früherer Zeit dazu nutzen, dies möglich zu machen!“
„Ihr wisst, dass ich alles versuchen werde“, sagte der Mönch mit dem ihm eigenen Ernst.
Während Arnulf sein Gepäck ordnete, dachte er daran, das sie zwar schon eine ziemlich weite Reise von Magdeburg bis hier her, an den Hof des östlichen Kaisers hinter sich hatten, aber der schwierige Teil ihres Weges noch vor ihnen lag. Ein Weg, der in ein geheimes Land führte, aus dem die Nordmänner den Stahl ihrer berühmten bruchfesten Ulfberht-Schwerter bezogen. Noch gut hatte Arnulf den Moment in Erinnerung, als Kaiser Otto ihn in einem abgelegenen Nebenraum der Kaiserpfalz zu Magdeburg empfangen hatte – ein junger Mann, eigentlich noch ein Junge, der trotzdem alle durch seinen Geist und seine Bildung verblüffte. Das Wissen der Welt nannte man ihn daher und Arnulf musste zugeben, dass er diesem Jungen, in dieser Hinsicht so vollkommen unterlegen war, dass er sich manchmal in seiner Gegenwart wie ein Bauerntölpel vorkam. Ein ungewöhnlich wacher Geist, gepaart mit der besten Ausbildung, die man als seinesgleichen erhalten konnte – und das Ergebnis war ein früh vollendeter, früh gereifter Jüngling, der es immerhin geschafft hatte, seiner Großmutter Adelheid die Herrschaft zu entreißen, die diese nach dem Tod seiner Mutter Theophanu während seiner letzten Kinderjahre stellvertretend für ihn ausgeübt hatte. Und auch bei den Großen des Reiches hatte sich Otto inzwischen - trotz seines Mangels an Jahren - Respekt verschafft. Diesen wachen Verstand durfte niemand unterschätzen und wer da geglaubt hatte, mit einer jungenhaften Marionette auf dem Thron leichtes Spiel zu haben, sah sich schon bald grausam getäuscht.
„Worüber ich jetzt mit Euch spreche, ist hoch geheim, sodass Ihr selbst Eurem Knappen erst den wahren Grund Eurer Reise verraten werdet, wenn Ihr das Reich des östlichen Kaisers hinter Euch gelassen habt“ - das waren die Worte Ottos gewesen. „Eingeweiht ist außer Euch und mir nur noch Fra Branaguorno, der bei den Mönchen von Corvey in Westfalen als Bruder Branagorn bekannt ist, weil sie die Mundart der Welschen nicht über die Lippen bringen...“ Ein stilles Lächeln war dabei über seine glatten Wangen gehuscht. Er war gewiss den meisten Menschen in seiner Umgebung überlegen – aber mitunter neigte er ein wenig zum Spott über diejenigen, die er – oft zurecht! - für geistig schwerfällig hielt. Eine Eigenschaft, die einem Herrscher das Genick brechen konnte, wenn er sie nicht im Zaum hielt. Aber er war sehr lernfähig und so traute Arnulf ihm durchaus zu, auch noch die Kunst zu vervollkommnen, als kluger Geist mit einem Hofstaat von Tölpeln Umgang zu pflegen, ohne alle zu beleidigen.
„Es geht um die Schwerter, die nicht brechen“, erklärte er. Arnulf hatte natürlich sofort gewusst, was der Herrscher meinte. Die Schwerter eines geheimnisvollen Nordmannes, der seine Waffen mit seinem Name zeichnete – Ulfberht.
Es war zweifelhaft, dass Ulfberht überhaupt noch lebte – wenn er nicht überhaupt eine Gestalt der Sagen war, die man sich unter Nordmännern erzählte. Wahrscheinlich schmiedeten seine Erben unter diesem Namen weiter und machten gute Geschäfte damit. Über den Hafen Haithabu gelangten diese Waffen auch ins Reich Kaiser Ottos – nur musste man sie den Nordmännern sehr teuer bezahlen.
„Es ist nicht nur die Schmiedekunst, die diese Waffen auszeichnet“, sagte Otto. „Es ist der Stahl selbst. Wir wissen seit langem, dass die Nordmänner diesen Stahl in schwarzen Barren über das Schwarze Meer und die östlichen Flüsse bis in ihre Länder an der Ostsee bringen. Aber jetzt verdichten sich die Hinweise auf das Land, aus dem dieser Stahl kommt.“
„So wollt Ihr den Handel damit in Zukunft ohne kostspieligen Umweg über die Dänen und Schweden vollziehen!“, erkannte Arnulf in jenem Moment sofort. Dass der Kaiser Händler, Reisende und Gefangene systematisch befragen ließ, von denen man vermuten konnte, dass sie irgendetwas über dieses geheimnisvolle Land des unzerbrechlichen Stahls wussten, war bekannt.
„Ja – und vor allem darf mein kaiserlicher Bruder im Osten nichts davon erfahren“, hatte Arnulf Ottos weitere Worte noch im Ohr. „Ihr wisst ja um die Gegensätze, die es zwischen unseren Höfen nach wie vor gibt...“
„Gewiss, mein Kaiser.“
„Das Land heißt Chorasan und es soll von einem Herrschergeschlecht regiert werden, das als die Samaniden bezeichnet wird. Und es liegt jenseits von Persien. Ich gebe gerne zu, dass das nicht allzu viel an gesichertem Wissen ist, aber es ist in meinen Augen Grund genug, jemanden dorthin zu schicken, der mit dem Hof dieser Stahlbarrenhändler aus den fernen Bergen Chorasans verhandeln soll!“
„Und da dachtet Ihr an mich?“
„Ihr seid zwar kein Schmied, aber Ihr versteht doch genug von dieser Kunst und von der Qualität unserer Waffen, dass Ihr wissen werdet, wann Ihr wirklich am Ursprung des Weges seid, von wo aus die Barren in die Länder der Nordmänner auf die Reise geschickt werden.“
„Ich hoffe, dass Ihr mich und meine Fähigkeiten nicht überschätzt!“, sagte Arnulf.
Dass Lächeln, das Otto in diesem Moment gezeigt hatte, war Arnulf als prägendster Teil dieser Unterhaltung in Erinnerung geblieben. Nein, Otto überschätzte so schnell niemanden. Das Gegenteil war eher der Fall. Er neigte dazu, seine Untergebenen sich gegenseitig kontrollieren zu lassen und die Tatsache, dass Fra Branaguorno ihn begleitete, war gewiss so zu verstehen. „Ich mute Euch nichts zu, wozu Ihr nicht in der Lage seid, Arnulf von Ellingen.“
Der Hochmut war in diesen Worten nicht zu überhören gewesen.
„Für alles, was Ihr nicht vermögt, ist Fra Branaguorno zuständig. Insbesondere wird er Euch in den Ländern des Ostens weiterhelfen, auch wenn Ihr zweifellos irgendwann in ein Gebiet kommen werdet, in dem Euch selbst sein umfangreiches Wissen kaum noch von Nutzen zu sein vermag. Aber ich vertraue Eurer Fähigkeit, Euch auch in ungewohnten Situationen zu bewähren, wie Ihr ja schon auf verschiedenen Schlachtfeldern und Kriegszügen in meinen Diensten eindrucksvoll unter Beweis gestellt habt.“
Arnulf von Ellingen hatte sich vorgenommen, alles daran zu setzen, um sich den Ansprüchen, die an die Erfüllung dieser besonderen Mission gestellt wurden, würdig zu erweisen. Und in der Tat reizte ihn der Gedanke, bis in Länder vorzudringen, die bisher bestenfalls dem Namen nach bekannt waren, aber über die es außer wunderlichen Geschichte kaum etwas gab, was berichtet werden konnte.
Arnulf warf einen Blick zu Gero und fragte sich, wann wohl der richtige Moment war, um den Jungen in den eigentlichen