Auch am Ankunftsort ging ich per pedes zum Jagdfreund auf die Hütte. Mein Freund Leonhard, als frommer Mensch, eilte am nächsten Morgen, es war Sonntag, zur Kirche, während ich schon in der Dämmerung einen Hochstand am Waldrand mit Blick auf das ferne Dorf bestieg. Lange Zeit tat sich nichts. Nur am Glockengeläut der Kirche konnte ich den Fortgang des Gottesdienstes verfolgen. Dann, gerade als das Läuten das Ende der Messe verkündete, zog ein Sprung Rehe vom Wald heraus auf die Wintersaat. Gleichzeitig sah ich den Leonhard die lange Allee vom Dorfe zum Wald herankommen. Ich suchte mir ein Kitz aus der kleinen Schar heraus, der Hintergrund war frei, Hahn aufgezogen und der Schuss fuhr heraus. Nichts! Der Sprung Rehe trat beunruhigt durcheinander, noch ohne abzuspringen. Das Kitz stand frei, also noch mal geschossen. Wieder nichts! Jetzt war’s den Rehen doch zu bunt, sie flüchteten zurück zum Wald. Dort, im Stangenholz, verhofften sie. Dritter Schuss. Wieder kein Ergebnis! „Ja, Kruzitürken, zum Teufel mit der verdammten Munition!“ In der Allee sah ich den Freund herbeirennen, was die Beine hergaben. Jetzt stand ein anderes Kitz frei, also frisch noch einmal geschossen! Es fiel um, wie erschlagen. Na also!
Immer noch rannte Leonhard wie von Furien gehetzt. Wieso denn nur? Na, ich hatte mein Kitz, das wollte ich mir nun holen.
Nach dem Einschuss suchend, stand ich ziemlich ratlos da. Es gab keinen. Wie ich es auch drehte und wendete, es war weder ein Ein- noch ein Ausschuss zu finden. Das Kitz konnte doch nicht vor Schreck verendet sein. Beim Hochheben traf mich ein Schweißspritzer. Halt, wo kam der jetzt her? Vom Haupt. Und dann sah ich ein wenig Schweiß, innen in der Höhlung des Lauschers. Die Kugel hatte genau in den Lauscher, in den Gehörgang, hineingetroffen.
Der atemlos angelangte Leonhard traf mich gerade beim Aufbrechen an. Verwundert fragte ich ihn, warum er denn so gerannt sei.
„Was war denn bei dir los?“ keuchte er, „ich dachte du hättest ein Gefecht mit Wilderern. Und warum denn so viele Schüsse?“
„Ja weißt du,“ ich musste mir schamvoll schnell eine Jäger-Notlüge ersinnen, „ich hatte vor Kälte so klamme Finger, dass ich den allzu fein eingestochenen Abzug mit den klammen Fingern immer zu früh berührt habe. Als die Rehe dann fast verschwunden waren, schaute nur noch das Häuptl eines Kitzes hinter einem Baum hervor, und so habe ich es mit Kopfschuss erlegt.“
Das war knüppeldick aufgetragen, dafür sollte ich mich heute noch schämen, doch der gute Freund hat’s schmunzelnd „gefressen“. Vor allem war er erleichtert, dass es nun doch keine Wildererschlacht war.
Nach dieser abenteuerlichen Geschichte war dann endgültig Schluss mit der unzuverlässigen Kugelschießerei. Der heilige Hubertus hatte die ganze Zeit seine Hand schützend über seinem Wild gehalten. Trotz der abenteuerlichen Schussergebnisse wurde nie ein Stück Wild krank geschossen. Entweder die Kugeln gingen ins Blaue, oder sie trafen absolut tödlich, sodass dem Wild niemals unnötige Leiden zugefügt wurden.
Der Drilling kam nur noch als Flinte zum Einsatz und tat so noch eine ganze Zeit seinen Dienst, bis ich mir endlich, endlich eine eigene, neue Waffe leisten konnte.
Man könnte heute leicht stirnrunzelnd kritisieren, dass ich mit einem solchen Gewehr überhaupt auf die Jagd gegangen war. Doch Anfang der Fünfzigerjahre war das Angebot an Waffen äußerst rar und meine Mittel als Gymnasiast waren mehr als gering, im Gegensatz zu meiner unbändigen, heißen Jagdleidenschaft.
Auch wenn die Waffe nicht mehr zum Einsatz kam, so hat sie mich in späteren Jahren, als ich mir längst die Träume von handgearbeiteten Waffen erfüllen konnte, an die Jugendzeit erinnert, die wir, miteinander jagend, erlebt und erlitten haben.
Der schöne Drilling stand dann mit den neu dazu gekommenen Feuerrohren liebevoll gepflegt im Schrank bis zu einer Sturmnacht an einem Faschings-Dienstag: Mit der Familie im Skiurlaub weilend, erreichte uns die Nachricht, dass in jener Nacht bei einem Einbruch in unser Haus sämtliche Jagdwaffen gestohlen worden waren.
Ich habe nie mehr etwas vom Verbleib des alten Hahndrillings gehört und hoffe und wünsche, dass der alte Lauf nunmehr alle Kugeln um die Ecke schickt.
Druckfehler
Von Druckfehlern, die selbst in seriösen Büchern, trotz vieler Korrekturprogramme vorkommen, will ich nicht erzählen. Ich meine hier jene Fehler, die ich mit dem Druck auf den Abzug meiner Büchse machte.
Die Zeit liegt noch gar nicht so lange zurück, da ein falscher Abschuss eines Schalenwildes dem Schützen einen Riesenärger einbrachte. In unserem Nachbarland Österreich ist es immer noch der erzieherische Brauch, dass die „Sünder“, die z. B. einen zu schonenden Hirsch erlegt haben, namentlich im Mitteilungblatt der Jägerschaft mitsamt der oft gehörigen Geldstrafe erwähnt werden. Felix Austria, du hast die besseren Gesetze.
Bei uns sind im Zuge der Wildfeindlichkeit vielerorts alle Schranken gefallen. Ganz besonders beim Gams- und Rehwild. Speziell die Staatsjagdreviere mit ihrer Parole „Wald vor Wild“ haben jede Hemmung, auch einmal einen Druckfehler zu machen, beseitigt. Ich habe es selbst erlebt, als ich, ohne Revier, mich um einen Pirschbezirk beim „Vater Staat“ bewarb.
Der mich einweisende Förster blickte missbilligend auf mein umgehängtes Fernglas: „Das brauchen Sie hier nicht, wenn’s rot kommt, dann passt’s schon, da müssen Sie nicht lange schauen.“
Ich war so perplex, dass ich eine ganze Zeitlang brauchte, um dann zu fragen: „Was dann, wenn’s das Rotkäppchen ist?“ Da war’s dann am Förster, perplex zu sein.
Bei den Drückjagden in eben diesem Staatsjagdrevier liegen regelmäßig etliche abgeworfen habende Böcke auf der Strecke. Mit einem Achselzucken wird über dieses Schonzeitvergehen hinweggegangen.
Doch zurück zu der lang vergangenen Zeit, da ich als Sechzehnjähriger mit druckfrischem Jugendjagdschein einen Rehbockabschuss geschenkt bekam. Ich war damals Mitglied der Jagdhornbläsergruppe des Münchner BJV, und man wollte mir für die vielen Einsätze eine Freude machen. Man hatte mir zur Belohnung einen Bockabschuss gekauft. Voller Freude fuhr ich mit dem Rad die etwa 40 km in das Revier im Dachauer Hinterland. Das Gewehr hatte ich im Futteral an der Fahrrad-Mittelstange festgebunden, und auf dem Buckel drückte der grüne Rucksack mit meinen Siebensachen.
Im Orte Langenpettenbach angekommen, meldete ich mich beim Sepp, dem Jagdaufseher.
Dieser, ein freundlicher Austragsbauer, zeigte mir das Revier und meinen vorgesehenen Wirkungsbereich. Wir saßen am Abend noch gemeinsam an, hatten zwar keinen Anblick, aber der Sepp vertröstete mich: „Da gehst am Morgen alloa naus, da kannst garnix falsch machen! Um Schlag Fünfe kommt von der Talsenke herauf ein semmelgelber Bock. Rechts zeigt er auf Sechser, links hat er nur eine Gabel. Der ist so pünktlich, nach dem kannst dei’ Uhr stellen!“
Hurra, endlich alleine jagern!
Die Nacht in dem Bauernhof, in dem auch der Sepp in seinem Austragsstüberl hauste, war kurz. Noch im Finsteren hörte ich die Bäuerin im Stall unter meiner Stube die Kühe zum Melken aufmüden: „Auf zu Gott!“ rief sie ihren Viechern zu.
Ich schwang mich auf meinen Drahtesel, und ab ging’s zu meinem Ansitz. Der junge Tag dämmerte herauf, und tatsächlich, als die Kirchturmuhr die fünfte Morgenstunde schlug, zog vom Talgrund der semmelgelbe Bock auf meinen Hochsitz zu. Ein kurzer Blick durch’s Glas, ja pfeilg’rad, rechts zeigt er auf Sechser. Das ist er! Als er in Schussentfernung heran war, hatte ich längst den Hahn der von einem Freund ausgeliehenen Büchsflinte gespannt. Über Kimme und Korn gut zusammengeschaut, und schon brach der Schuss mit der alten Försterpatrone 9,3 x 72R. Der Semmelgelbe versank im taunassen Klee.
Stolz und überglücklich konnte ich die Wartezeit nach dem Schuss kaum ertragen und eilte dann mit raschen Schritten zum Kleefeld. Als ich voller Freude das Haupt des Erlegten emporhob, traf mich fast der Schlag. Ja, beim schwarzen Samiel! Das war ein wunderbar regelmäßiger, blutjunger, beidseitiger Sechserbock, ich konnte das Gwichtl drehen und wenden, wie ich wollte, aus der linken Stange wurde keine Gabel. Die Welt drohte zusammenzustürzen. Ganz benommen schleppte ich den Erlegten in