Wir haben dann abends, da nichts auf der Strecke lag, das „schöne alte deutsche Jagdsignal Caddy tot“ geblasen. Ein „gemütliches Beisammensein“ nach der Jagd mit den Besatzern gab es nicht, denn jede Fraternisierung der Amis mit den „Krauts“ war seinerzeit untersagt. Das hat sich bekanntlich bald geändert. Es gipfelte in meinem Fall darin, dass mich ein amerikanischer General, natürlich ein Jäger, unbedingt adoptieren wollte.
Den festlichen Höhepunkt erlebten wir 1952, als wir die Landestagung des BJV in Rothenburg o.d.T. mit unseren Hörnern umrahmen durften. Mit meinen fünfzehn Jahren lernte ich da Jäger kennen, deren ich noch heute mit Hochachtung gedenke, wie z.B. Ulrich Scherping, den untadeligen ehemaligen Oberstjägermeister, oder Wolfgang Baron Beck, dem wir den Erhalt des Reviersystems zu verdanken haben.
Ein Jahr darauf bliesen wir dem damaligen BJV-Präsidenten, Baron Eggloffstein, das letzte Halali. Sein Sarg stand, von uns Bläsern flankiert, auf der Bühne des Münchner Krematoriums. Beim Kommando „Horn ab“ schlug einer von uns, zackig das Horn absetzend, donnernd auf den Sarg. Doch das hat den alten Waidmann nicht mehr erschüttert. Nach der Trauerfeier kam einer der Krematoriums-Angestellten ganz ergriffen zu uns, mit den Worten: „A so a scheans Halleluja hob i no nia g’heart.“ Jagdhornblasen war eben damals für weiteste Kreise etwas Neues.
Zur festlichen Premiere des Films „Der Förster vom Silberwald“ wurden wir Bläser auf der Bühne des Münchner „Filmtheaters am Karlstor“ aufgestellt. Am Rednerpult stand der damalige Landesjägermeister des Landes Salzburg, Baron Mayr-Mellnhof, in dessen Revieren der Film, der auch noch heute eine aktuelle Tendenz hat, gedreht wurde. Das Publikum bestand außer den zahlreichen Honoratioren aus ganz „normalen Leuten von der Straße“. Als uns der Baron nach langer, ausführlicher Rede das Zeichen zum Blasen gab, waren viele der „normalen Leute“ tief und sanft eingeschlummert. Doch bei den ersten Tönen des „Hohen Weckens“ schossen die Schläfer, wie vom wilden Affen gebissen, in die Höhe. Nur mit Mühe konnten wir unsere Fassung bewahren.
Zur Herbstzeit musste ich bald einen Terminkalender führen, denn die „grüne Welt“ brauchte nun für ihre wieder erlaubten Gesellschaftsjagden Bläser. Diese waren noch sehr rar. Es ging von Jagd zu Jagd, sodass meine schulischen Leistungen alle roten Warnlichter im Elternhaus aufblinken ließen. Der Abschluss des Gymnasiums war in „grüner“ Gefahr. Die Wanderjahre eines jungen Jägers mussten vorerst beendet werden.
Der alte Drilling
Hoch in einer alten Weide habe ich mir einen kleinen, notdürftigen Sitz gebaut. Ganz stolz sitze ich hier, mit meinen sechzehn Jahren und mit einem druckfrischen Jugendjagdschein in der Tasche. Weit kann ich über die sommerlichen Wiesen schauen. Es ist Blattzeit, und die Augusthitze flimmert über dem Land. An vielen kleinen Stauden ringsumher hat ein Bock seinen Zorn ausgelassen und die Erlen- und Weidenbüsche haben es arg büßen müssen. Den würde ich mir allzu gerne mal anschauen. Vielleicht kann ich ihn heute mit dem Blatten betören. Drüben beim Nachbarn, beim Baron, sehe ich weit entfernt ein Reh wie suchend durch die Wiesen streifen. Das könnte doch ein Bock sein. Und tatsächlich, das Glas bestätigt meine Hoffnung. Doch er ist noch zu fern für meine verlockende Musik.
„Ach was, ich probier’s einfach!“
Und beherzt blase ich auf mein straff gespanntes Buchenblatt, was das Zeug hält.
„Hurra, er wirft auf!“
Und noch einmal ertönt überlautes Angstgeschrei einer bedrängten Rehgeiß. Da stürmt er schon heran, von wilder Eifersucht getrieben.
„Teufel, Teufel, was bin ich für ein toller Lock-Jäger!“
Doch kurz vor dem kleinen Bach, der die Reviergrenze bildet, stoppt er. Noch ist er beim Nachbarn. Innerlich flehe ich:
„So komm doch herüber!“
Ganz glatte, engstehende, hohe Spieße sind seine Wehr. Jetzt wendet er sich, er möchte wohl wieder zurück. Da wage ich ein zartes, flehendes Fiepen. Und mit einem Sprung setzt der Getäuschte über den Bach. Längst habe ich den Hahn meines Drillings aufgezogen. Wieder verhofft er, jetzt herüben in unserem Revier. Über Kimme und Korn nehme ich Maß, und der Schuss peitscht hinaus. Doch was ist das? Der Beschossene steht wie eine Scheibe. Schnell eine neue Patrone in den Lauf! Den Hahn aufgezogen und – peng! Keine Reaktion! „Herrschaftszeiten, da soll doch der schwarze Samiel dreinfahren!“
Langsam zieht der Bock ein paar Stechschritte weiter und steht wieder wie gemauert. Jetzt aber schnell! Ich fummle eine neue Patrone aus der Tasche, die leere Hülse fällt rasselnd durch die Äste in das Brennnesseldickicht am Boden. Ja, ist denn der taub? Nach dem dritten Schuss wird es ihm dann doch zu mulmig und mit weiten, hohen Fluchten springt er ab. „Sakradi!“ Doch nicht zurück, wo er hergekommen ist, sondern in unser Revier hinein. Jetzt bleibt er nochmals verhoffend stehen, äugt misstrauisch zu dem Donnerbaum zurück. Verzweifelt habe ich wieder nachgeladen. Eigentlich ist er schon viel zu weit, doch mir ist das jetzt ganz egal. Diopter hochstellen, etwas höher gehe ich ins Ziel, und auf den sorgfältig aufs Blatt gezielten Schuss haut es den Enggestellten wie vom Blitz erschlagen zusammen. Zuerst blicke ich erstaunt auf mein Feuerrohr, dann bricht Jubel aus mir heraus.
„Ich bin der Größte, ein wahrer Meisterschütze!“
Dass ich auf diese Entfernung noch treffen konnte! Ich könnte mir selbst auf die Schulter klopfen.
Jetzt hält mich nichts mehr auf meinem luftigen Sitz. Erst lasse ich an der Schnur, mit der ich ihn auch heraufgezogen habe, den Drilling zu Boden gleiten. Dann klettere ich durch’s Geäst hinab, schnappe mir meine Wunderwaffe und muss mich beherrschen, um nicht zu meiner Beute hinzurennen. Diesen Meisterschuss muss ich mir doch gleich anschauen, um meine Heldentat so recht genießen zu können. Doch wie ich dann den Erlegten auch drehe und wende, weder links noch rechts ist auf dem Blatt ein Schussmal zu finden. Da fällt mein Blick, als ich das Gwichtl anschauen will, auf einen winzigen, schweißigen Fleck unterhalb des Hauptes: Die Kugel hatte den Bock genau am ersten Halswirbel getroffen. „Na bravo!“ sage ich mir. Etwas ratlos kratze ich mir den Kopf: „Wie soll ich das nur jemandem erklären?“
Nun, um das verständlich zu machen, muss ich ein wenig ausholen.
Meine Familie hatte einen Freund und Nachbarn, dessen verstorbener Vater Jäger war. Der hatte vor Kriegsende seine wertvollen Waffen, wie so viele andere Jäger auch, eingegraben, um sie vor der „Befreiung“ durch die Besatzer zu retten. Die weniger wertvollen Stücke gab man dann als braver Bürger den Amerikanern, denn einem Jäger hätte man nicht geglaubt, dass er gar nichts abzugeben hat. Anfang der Fünfzigerjahre, als die Deutschen ihr Jagdrecht zurückerhielten, wurden dann auch, o Wunder, die verschwundenen Waffen „exhumiert“ und „wiedergefunden“. Die Bedrohung durch die Todesstrafe auf Waffenbesitz war aufgehoben worden.
Dieser väterliche Freund war selber kein Jäger. Er hatte aber solche Freude an meiner und meines Bruders Jagdbegeisterung, dass er uns großzügig den Drilling seines