Der Temperaturanzeiger zeigte Nirat-Son, dass es innerhalb der letzten Qriidia-Stunde noch wesentlich kälter geworden war. In dem Display seiner Schutzbrille blinkte ein Warnsignal auf, das ihn darauf hinwies, dass es unerlässlich war, die Heizfunktion seines Thermoanzugs an die Gegebenheiten anzupassen. Außerdem wurde ein Überblick über den Energiestatus des Anzugs eingeblendet.
Nirat-Son regulierte die Heizfunktion und konzentrierte sich anschließend wieder auf die Anzeigen seines Ortungsgerätes. Er hatte nach Signaturen der technischen Geräte gesucht, aber nichts gefunden. Weder von den Hand-Trasern noch von den Funkgeräten oder den Ortungsgeräten. Gerade bei letzteren war die Abschirmung in Bezug auf elektromagnetische Emissionen noch stark verbesserungsfähig, was andererseits aber auch die Ortung und vor allem die eindeutige Identifikation erheblich erleichterte. Aber nichts dergleichen zeigte sich bei den Anzeigen.
Nirat-Son musste sich gegen eine besonders heftige Windböe stemmen, die ihn beinahe zu Boden gerissen hatte. Der Sturm würde in Kürze vielleicht eine Intensität erreichen, die einen Aufenthalt im Freien zu einer ziemlich gefährlichen Angelegenheit machten. Aber Nirat-Son dachte nicht daran, jetzt aufzugeben und zum Beiboot zurückzukehren. Er hatte einen Auftrag bekommen. Einen Befehl. Und für einen Tanjaj war der Befehl eines Vorgesetzten mittelbar der Wille
Gottes. Etwas, das unbedingt erfüllt werden musste, denn der Aarriid war der Stellvertreter des Höchsten und seine Tanjaj-Offiziere und Priester wiederum waren die Stellvertreter des Stellvertreters.
Es war für Nirat-Son nahezu undenkbar, ohne die Erfüllung seines Auftrags zu seinem Tanjaj-Nom zurückzukehren, mochte er dabei auch gezwungen sein, ein hohes persönliches Risiko einzugehen.
Wenigstens die Signatur der Anzüge müsste zu orten sein – und wenn deren Energiestatus auf Null steht, müsste das Material sofort auffallen!, dachte Nirat-Son. Es sei denn, sie sind gar nicht mehr hier und jemand hat sie – gefangen genommen!
Dieser Planet barg ohne Zweifel unbekannte Gefahren, die offenbar auch der ersten qriidischen Expedition zum Verhängnis geworden waren.
Ob die schnabellosen Eingeborenen etwas damit zu tun hatten, war in Nirat-Sons Augen sehr unwahrscheinlich, da ihr technischer Standard nach allem, was man darüber wusste, von einem primitiven Niveau geprägt war.
Vielleicht suche ich einfach nach der falschen Sache!, ging des Nirat-Son durch den Kopf, während er die Einstellungen seines Ortungsgerätes veränderte.
Und dann wurde er fündig.
Er fand kalkhaltiges, organisches Material.
Der Schrecken fuhr dem Tanjaj in die Krallenarme.
Knochen!
Er ging ein paar Schritte, bis er einen Hügel erreichte. Eine kleine Schneeverwehung hatte sich gebildet.
Mit den in widerstandsfähigen Thermohandschuhen steckenden Pranken, die die kälteunempfindlichen Krallen freiließen, wenn man sie ausfuhr, begann der Qriid zu graben und wurde schnell fündig.
Es dauerte nicht lange und er hatte den ersten Knochen freigelegt.
Und die Analyse ließ nicht den Hauch eines Zweifels daran, dass es sich um Qriid-Knochen handelte. Mit Hilfe des Ortungsgerätes erfasste Nirat-Son den genetischen Code und verglich ihn mit der Gen-Datenbank seiner Einheit. Es konnte danach kein Zweifel mehr daran bestehen, dass er Re-Lims Knochen vor sich hatte.
2
Nirat-Son machte sich auf den Rückflug. Er stellte sein Antigravaggregat so ein, dass er dicht über den Boden schwebte, um nicht vom Sturm einfach weggeschleudert zu werden. In seinem Kopf rasten die Gedanken nur so. Was war mit den Tanjaj aus Re-Lims Gruppe geschehen? Die wahrscheinlichste Variante war wohl, dass sie ebenfalls den ellipsoiden Vielbeinern zum Opfer gefallen waren.
Trotzdem blieben für Nirat-Son noch einige drängende Fragen vorerst unbeantwortet.
Warum hatten Re-Lim und seine Tanjaj-Brüder nicht ihre Antigravpaks benutzt, um in die Luft zu steigen? Nach allem, was Nirat-Son bisher erlebt hatte, verfügten die Vielbeiner zwar über eine Reihe erstaunlicher Fähigkeiten, aber fliegen schien nicht dazu zugehören. Re-Lims Männer hätten sich also auf diese Weise vielleicht retten können!, dachte er.
Dass sie es nicht getan hatten, musste einen Grund haben.
Vielleicht hatten sie vergeblich versucht, einem angegriffenen Tanjaj-Kameraden zu helfen und dabei ihre eigene Sicherheit vernachlässigt. Das hätte durchaus der Kampfdoktrin der Tanjaj-Mannschaften entsprochen. Das eigene Leben zählte nichts, die Erfüllung des Auftrags hatte in jedem Fall Vorrang.
Aber während des ersten Zusammentreffens mit Vielbeinern im Wrack des Qriid-Beiboots der ersten Expedition war offensichtlich geworden, dass man sie mit Traser-Feuer sehr effektiv bekämpfen konnte.
Einem Tanjaj hatte jener Angriff das Leben gekostet.
Aber keinesfalls der gesamten Gruppe!
Und das, obwohl man innerhalb eines Raumschiffwracks nicht einfach den Antigrav aktivieren und wer weiß wie weit in die Höhe schnellen konnte, um sich dem Zugriff dieser kleinen Monstren zu entziehen.
Der Angriff auf Re-Lims Gruppe hatte sehr wahrscheinlich bereits stattgefunden, als eines dieser Biester bei uns am Raumschiffwrack auftauchte!, wurde es Nirat-Son klar. Schließlich war es kurz nach diesem Vorfall bereits nicht mehr möglich gewesen, Kontakt aufzunehmen.
Aber wer ist für das Verschwinden der Traser, Funkgeräte und anderen Geräte verantwortlich?, fragte sich der Tanjaj-Rekrut.
Dass es von der Kleidung keinerlei Spuren mehr gab, erschien Nirat-Son schon eher plausibel. Wahrscheinlich hatten die Vielbeiner die Kleidung der skelettierten Tanjaj chemisch vollständig zersetzt. Schließlich verfügten sie über die Fähigkeit, eine starke Säure zu produzieren, mit deren Hilfe sie sogar die Außenhaut eines Beibootes hatten durchdringen können.
3
Während seines Antigravfluges nahm Nirat-Son bereits Kontakt mit seinem Tanjaj-Nom auf und gab diesem einen knappen Bericht für das, was er das Schicksal von Re-Lims Gruppe betreffend herausgefunden hatte. Die Daten seines Ortungsgerätes übersandte er an seine Tanjaj-Brüder, die es offenbar geschafft hatten, ohne weitere Verluste zum Beiboot zurückzukehren.
„Mögest du mit Gottes Hilfe zurückkehren“, sagte Bras-Kon über Funk. „Bis jetzt verzeichneten wir keinerlei weitere Aktivitäten von Vielbeinern.“
„Ich danke dir für die Auskunft, Tanjaj-Nom.“
„Ich habe bereits eine Meldung an das Mutterschiff gemacht. Man sagte mir Unterstützung zu. Offenbar hat man eine Etage über uns in der Befehlshierarchie eingesehen, dass dieser Planet vielleicht doch nicht ein so einfach und problemlos zu besetzendes Wasserreservoir ist, wie man zunächst geglaubt hat.“
„Wenn die Vielbeiner ausgerottet sind, sehe ich allerdings keine weiteren Probleme“, sagte Nirat-Son mit einem Optimismus, der aus einer offiziellen Glaubensdoktrin geboren war, nach der es auf die Dauer nur hinhaltenden Widerstand der Mächte des Heidentums gegen die Errichtung der universellen Göttlichen Ordnung geben konnte. Tief in seinem Inneren empfand Nirat-Son in diesem Fall jedoch Zweifel und so war seine Äußerung mehr eine Art suggestiver Selbstbeschwörung.
Unter Tanjaj war das durchaus üblich.
Und tatsächlich hatte die Geschichte den Glaubenskriegern Recht gegeben. Schließlich hatte Gott ihnen immer wieder letztlich doch den Sieg geschenkt und dafür gesorgt, dass sich das Imperium noch immer in einem steten Prozess der Expansion befand.
„Mut