Niemand dachte auch nur entfernt daran, ihn zu hängen, Hasard hätte ihn nicht einmal auspeitschen lassen. Aber das wußte dieser Don natürlich nicht, und so wurde seine Angst immer größer, und er versuchte erneut, sich von seinen Stricken loszureißen, um wenigstens über Bord springen zu können.
Da müssen ja schöne Schauergeschichten über El Lobo del Mar in Umlauf sein, dachte Hasard. Ganz besonders bei den Spaniern, die ihn schon lange zu ihrem Todfeind erklärt hatten.
Er sah Sinona noch vor sich, arrogant und überheblich, wie er die „Isabella“ requirieren wollte, und bei diesem Gedanken lachte er leise.
Sinona nahm es jedoch als Beweis dafür, daß er bald hängen würde, und diese unbeschreibliche Angst ließ ihn fast wahnsinnig werden.
„Ich habe noch einen Beutel Perlen an Bord der ‚Kap Hoorn‘ versteckt“, sagte er. „Er befindet sich in meiner Kammer. Niemand weiß es. Den gebe ich Ihnen für mein Leben.“
Hasard sah seine Männer der Reihe nach an, wie sie verächtlich auf den zitternden Kerl blickten.
„Ach, Sie möchten sich freikaufen?“
„So ist es, Senor“, keuchte Sinona.
„Mag einer von euch Perlen?“ fragte Hasard die Seewölfe.
Alle schüttelten die Köpfe.
Da sah Sinona ein, daß seine letzte Stunde geschlagen hatte. Nein, dachte er, dieser schwarzhaarige Teufel kannte keine Gnade. Er hatte ihn beleidigt, und jetzt erhielt er die Rechnung von ihm. Namenlose Angst würgte ihn, er lief grünlich an, und danach wich wieder alle Farbe aus seinem Gesicht.
Nie im Traum hätte er daran gedacht, sich einmal an Bord jenes Schiffes zu befinden, das dem Seewolf gehörte, über den soviel Gerüchte und Legenden kursierten.
„Bindet ihn los und bringt ihn ins Boot“, sagte Hasard. „Und damit Sie nicht mit vollen Hosen von Bord gehen, Sinona, verspreche ich Ihnen, daß Sie nicht hängen werden. Auch Ihre Leute nicht. Wir werden Sie auf der Nachbarinsel aussetzen oder auf einer anderen, die nicht bewohnt ist, damit Sie keinen Schaden mehr anrichten können und die Insulaner um ihre Existenz bringen. Aber zuvor regeln Sie das mit den Brotfruchtpflanzen und sorgen dafür, daß Ihre Leute am Strand die Waffen niederlegen, sonst erleben Sie die Hölle.“
Sie hatten ihn kaum losgebunden, als er vor dem Seewolf auf die Knie fiel und sich bekreuzigte.
„Ich danke Ihnen, Senor!“ rief er. „Ich werde Ihnen das nie vergessen, nie Senor.“
Hasard ließ ihn winseln. Er hörte nicht mehr hin, er wollte auch nichts mehr hören, der Kerl widerte ihn an.
Leise lachend drehte er sich um und ging zum Achterkastell.
Von dort aus sah er, wie der Profos Sinona am Genick packte und vor sich herschob. Er begleitete Sinona mit schauderhaften spanischen Flüchen, von denen „Rübenschwein“ noch das harmloseste war.
Jetzt kann auch Don Alfredo aufkreuzen, dachte Hasard. Dann würde das Großreinemachen weitergehen …
Fußnote
1) Papalagi, sprich: Papalatschi = Stammeshäuptling der Südsee-Inseln, meist ältere Männer.
1.
Bevor das Boot auf den Strand lief, waren die restlichen Spanier verschwunden.
Sie hatten mit angesehen, was da an Bord der „Isabella“ passiert war und daß sich das Blatt ganz überraschend gewendet hatte.
Die meisten begriffen nicht, warum sich die eigenen Landsleute gegenseitig an den Kragen gingen, aber sie wußten auch nicht, daß sie den berühmt-berüchtigten Lobo del Mar vor sich hatten.
Der einzige, der es bisher erfahren hatte, war der Kapitän der gestrandeten spanischen Galeone, und den hatte das Entsetzen fast wahnsinnig werden lassen.
Sinona mußte sich selbst in die Riemen legen und pullen, während der Profos gelangweilt auf der Ducht hockte und an seinen Fingernägeln kaute.
„Nicht so lahmarschig, du verlaustes Rübenschwein“, sagte Ed ab und zu, und jedesmal litt Sinona an plötzlich auftretender Übelkeit. Noch kein Engländer hatte so je mit ihm gesprochen, aber das nahm er gern hin, was dieser narbengesichtige Profos von sich gab. Triefäugige, verlauste spanische Kakerlake hatte er ihn genannt und noch vieles andere mehr.
Sinona pullte, bis ihm der Schweiß in Strömen über das Gesicht lief und er heftig nach Atem rang.
Besser wie ein Verrückter pullen, dachte er, als an der Rahnock der „Isabella“ zu hängen, denn wie er Gerüchten nach wußte, machte der Seewolf kurzen Prozeß mit Spaniern, wenn sie aufmüpfig waren oder ihm nicht paßten. Die Rahen an seinem Schiff sollten nur so strotzen von Gehenkten.
Allerdings hatte Sinona bei dieser Begegnung keinen gesehen, und der Seewolf hatte ihm versprochen, keinen von ihnen zu hängen.
„Schlaf nicht ein, du Kastanienfresser!“ rief Ed. „Und denke gefälligst nicht so dummes Zeug!“
Konnte der Narbenmann etwa seine Gedanken lesen, dachte Sinona erstaunt. Diesen Burschen traute er alles zu, über sie waren die wildesten Gerüchte in Umlauf.
„Bis wir den Strand erreichen, ist mir ein langer, grauer Bart gewachsen“, nörgelte Ed und hielt gleichzeitig Ausschau nach weiteren Spaniern.
Obwohl ein Großteil von ihnen noch bewaffnet war, fiel kein Schuß. Auch vorhin war keiner gefallen.
Jetzt war für Sinona die Plackerei mit dem Pullen zu Ende. Ziemlich erschöpft stand er am Strand und sah sich um.
Carberry warf ihm einen Spaten zu.
„Wo stehen die Brotfruchtbäume?“ fragte er grob.
„Links von den Hütten, Sen … Sir“, verbesserte sich der Kapitän der „Kap Hoorn“, die jetzt als Wrack weiter hinten am Strand lag.
„Hoffentlich bist du bald da, du abgewrackte Riesenwanze“, brummte der Profos.
Noch einmal sah er sich um, aber er konnte niemanden entdecken. Für ihn selbst war kein Risiko dabei, mit diesem großmäuligen Burschen an den Ort zu fahren, wo sie die Brotfruchtbäume ausgegraben hatten. Keiner würde die Hand gegen ihn erheben, denn immerhin hatten sie auf der „Isabella“ fast zwanzig Spanier in der Vorpiek eingesperrt, und die konnte der Seewolf getrost so lange als Geiseln nehmen, bis diese Kerle alle auf einer der Nebeninseln ausgesetzt waren.
Sie gingen an den Hütten vorbei, die von den Insulanern verlassen waren, seit die Spanier hier hausten. Die Polynesier hatten sich irgendwo in den Bergen der Insel Tahiti versteckt und trauten sich nicht mehr hinunter, seit diese Horde gelandet war und die Brotfrüchte plünderten – das Grundnahrungsmittel der Eingeborenen.
Sinona führte Ed noch ein Stück weiter, bis dorthin, wo das Dickicht begann und aus den Hügeln langsam große, bewaldete Berge wurden.
„Hier ist es!“
Es war eine Art Plantage, die die Insulaner hier angelegt hatten. In schnurgeraden Reihen hatten sie kleine Bäume gepflanzt, um sie großzuziehen.
Ed sah zum ersten Male in seinem Leben den Brotfruchtbaum, und er war leicht enttäuscht. Er wußte nicht genau, was er erwartet hatte, aber diese Bäumchen trugen noch keine Früchte, und sie sahen eigentlich gar nicht bemerkenswert aus, fand er.
Eine stattliche Anzahl dieser Jungbäume war ausgegraben worden und sollte verschifft werden – zu den anderen Inseln, auf denen sie noch nicht wuchsen. Sie sollten den