All die anderen waren dem Mädchen gegenüber von kaum geringerer Zuneigung erfüllt. Der Kutscher ebenso wie Smoky, der bullige Decksälteste, Blacky, der schwarzhaarige Kämpfer, Pete Ballie, der stämmige Rudergänger, und Gary Andrews, der hagere Fockmastgast. Furchterregend wirkte Matt Davies, der anstelle der fehlenden rechten Hand einen Eisenring mit spitzgeschliffenem Haken trug. Jeff Bowie trug eine ähnliche Hakenprothese links. Das fröhliche Lachen der beiden Männer zerstreute Moanas anfängliches Schaudern. Und sie blickte in die gütigen braunen Augen des Stückmeisters Al Conroy und in das schmale Gesicht des versonnen lächelnden Bob Grey. Will Thorne, der Segelmacher, stand neben Big Old Shane, dem riesenhaften Schmied von Arwenack, der trotz seiner wilden grauen Bartpracht sichtbare Freundlichkeit erkennen ließ. Bill, der schwarzhaarige Moses, hatte seinen Platz im Ausguck beibehalten. Doch er winkte zur Kuhl hinunter, als er sah, wie Moana mit beinahe ehrfürchtigen Blicken die Höhe der Masten maß.
Auch die Söhne des Seewolfs waren zur Stelle und ebenso Siri-Tong, die dem Mädchen entgegeneilte und ihm beide Hände auf die schmalen Schultern legte.
Moana sperrte den Mund auf, als plötzlich ein durchdringendes Kreischen ertönte. Mit elegantem Schwung segelte Sir John, der karmesinrote Ara-Papagei, von der Fock-Marsrah nach unten und landete zielsicher auf der Schulter von Hasard junior. Dort glättete er sein Gefieder, plusterte sich auf und wiegte sich aufgeregt von einer Seite zu anderen.
„Affenarsch!“ krächzte er mit erschreckender Deutlichkeit. „Lausiger Affenarsch!“
Siri-Tong holte tief Luft. Dan O’Flynn sah aus, als wolle er sich mit einem Satz auf den vorlauten Vogel stürzen. Und auch den übrigen Männern gefror das Lächeln.
Sir John schien durch die plötzliche Stille ermuntert.
„Miese Kakerlake!“ fuhr er fort. „Bilgenratte!“
Hasard junior warf seinem Zwillingsbruder einen amüsierten Blick zu, und Philip junior deutete mit einer Kopfbewegung zu Edwin Carberry, der sich inmitten der Crew betreten abwandte, um die gelinde Röte zu verbergen, die sein Narbengesicht plötzlich überzog. Durch nichts konnte sich der Profos herausreden. Er und kein anderer war verantwortlich für den enormen Wortschatz des gefiederten Sir John.
Doch bevor einer der Männer eingriff, löste Moana das Beklemmende der Situation auf ihre Weise. Sie nickte Siri-Tong und Dan O’Flynn zu, lachte, ließ die beiden stehen, ging Sir John entgegen und verneigte sich vor ihm, indem sie die Unterarme vor der Brust kreuzte. Dabei sagte sie etwas, das wie eine Begrüßung klang. Und als solche hatte sie vermutlich auch die Worte des karmesinroten Schwätzers verstanden, bei denen die Männer der Crew am liebsten zwischen den Decksplanken versunken wären.
Beifälliges Gelächter wurde laut. Sir John blinzelte, und dann schloß er wohlgefällig die Augen, als Moana ihn hinter dem Kopf kraulte.
„Ich werde mich erst einmal um die Kleine kümmern“, entschied Siri-Tong. Aus ihren Worten klang deutlich, daß sie keinen Widerspruch duldete.
„Aber …“, wandte Dan O’Flynn ein. Er verstummte sofort wieder, als er den knappen Seitenblick der Roten Korsarin spürte.
Hasard beobachtete lächelnd, wie Dan rot anlief.
„Es gibt gewisse Gelegenheiten“, erklärte Siri-Tong energisch, „in denen einer Frau am besten mit der Gesellschaft einer Frau geholfen ist. Das ist hier in der Südsee nicht anders als in der nebligsten Ecke von Cornwall. Zum Dahinschmachten wirst du noch Zeit genug haben, Mister O’Flynn!“
Dan knirschte mit den Zähnen, denn aus den schmunzelnden Mienen der anderen las er Spott.
Hasard ergriff seinen Unterarm.
„Schluck es hinunter, Dan. Siri-Tong hat schon recht, wenn du ehrlich bist.“
Dan nickte krampfhaft.
Siri-Tong wandte sich ab und nahm Moana bei der Hand. Gemeinsam gingen sie auf die Kapitänskammer zu.
Etwas geschah, als sie erst zwei Schritte hinter sich gebracht hatten.
Fast schien es, als hätte Arwenack den Zeitpunkt seines großen Auftritts sorgfältig vorgeplant. Einige der Männer waren noch lange danach überzeugt, daß der Schimpanse im Grunde ein gerissener Halunke war, der genau wußte, welchen Moment er sich aussuchen mußte, um allen anderen die Schau zu stehlen.
So turnte er mit plötzlichem Kekkern vom Großmast hinunter, überbrückte die letzten sechs Fuß mit einem Sprung und hüpfte scheinbar unbeholfen über die Decksplanken – vor aller Augen. Jeder an Bord der „Isabella“ wußte, daß diese Unbeholfenheit nur gespielt war. Es gehörte zu Arwenacks gut einstudiertem Gehabe, mit dem er bei Fremden eine Mischung von Mitleid, Zuneigung und Zärtlichkeit hervorrief.
Daß er mit seinem Erscheinen bei Moana indessen eine völlig andere Reaktion bewirkte, ahnte der listige Schimpanse nicht im entferntesten.
So prallte er erschrocken zurück, als er sah, wie sich die Polynesierin mit ehrfürchtiger Miene zu Boden warf. Mehrmals hintereinander richtete Moana ihren Oberkörper auf, hob dabei die Arme mit nach vorn gerichteten Handflächen und murmelte etwas, das die Männer der „Isabella“ entfernt an die Gebete der Menschen im Orient erinnerte.
Arwenack rieb sich mit der flachen Hand über die Augen, klappte die Lider zu, öffnete sie wieder und bleckte voller Verwirrung die mächtigen Zähne.
Als Moana schließlich in nicht endender Ehrfurcht auch noch die Decksplanken küßte, platzte dem jungen O’Flynn der Kragen.
Er stürzte los, an Siri-Tong vorbei, und war im Begriff, dem Schimpansen einen Fußtritt zu versetzen.
„Jetzt reicht es, du Mistvieh! Verschwinde!“
Mit einem Entsetzenslaut nahm Arwenack gerade noch rechtzeitig Reißaus. Er flüchtete in Richtung Vorkastell, hüpfte über mehrere Taurollen und war im nächsten Moment verschwunden.
Dan drehte sich um und half dem Mädchen fürsorglich auf die Beine. Siri-Tong und die anderen standen noch immer wie versteinert.
Moana starrte den jungen Mann entsetzt an. In ihren Augen las er, daß sie nicht begreifen konnte, was er getan hatte.
„Das ist ein ganz normaler Affe“, sagte er, „ein ganz normales Mistvieh. Verstehst du?“
Sie verstand nicht.
Hilflos blickte Dan in die Runde. Aber auch die anderen wußten nicht, wie man das in die Zeichensprache übersetzen konnte.
Siri-Tong gab sich einen Ruck, nahm Moana wieder bei der Hand und führte sie zur Kapitänskammer. Diesmal ohne Hindernisse.
Für Hasard war es nicht besonders schwierig, zwei und zwei zusammenzuzählen. Da war dieser reichlich fette Gibbon-Affe gewesen, den der Inder auf der Schulter getragen hatte. Und dann die Tatsache, daß Moana beim Anblick eines Affen auf die Knie fiel. Zwar sah ein Schimpanse anders aus als ein Gibbon, aber das Mädchen hatte Arwenack zweifellos in die gleiche Tierfamilie eingestuft.
Hasard hatte das unbestimmte Gefühl, daß er sich mit diesem Charangu, der sich selbst König nannte, näher befassen mußte.
Ben Brighton war der gleichen Meinung wie Hasard. Der Ankerplatz der „Isabella“ war in Ordnung. Noch näher an das Korallenriff heranzugehen, erschien zu riskant.
Daß es einen etwas längeren Aufenthalt geben würde, hatte für den Seewolf einen weiteren Grund – abgesehen von dem mysteriösen Geschehen um das Mädchen Moana.
Sie hatten die Bewohner der Insel Hawaii vor einer wilden Meute französischer Freibeuter gerettet. Deren Anführer Malot war jedoch mit der Galeone „Saint Vincent“ entkommen. An