„Du sagst es, Sir.“ Der Profos nickte.
„Da bin ich anderer Ansicht“, sagte der Kutscher erbittert.
„Du weißt ja immer alles besser!“ schnappte der Profos.
„Allerdings“, entgegnete der Kutscher spitz, „mein Gehirn ist ja auch nicht von billigem Fusel vernebelt, nicht wahr?“ Er wechselte den Blick zu Hasard. „Wie gesagt, Sir, wir haben vier Fässer mit miesem Sprit an Bord, den man wegschütten sollte …“
„Niemals!“ brüllte der Profos. „Nur über meine Leiche!“
„Ed!“ mahnte Hasard. „Nicht so laut. Und wegen der vier Wodka-Fässer zur Leiche zu werden, lohnt sich nicht. Fassen wir zusammen: Der Wodka hat zumindest Macs Sicht getrübt, sonst wäre er nicht gegen den Pfosten gerannt. Als Proviant ist er wohl nicht zu bezeichnen. Und der Kutscher meldet, die Vorräte reichten noch knapp zwei Tage. Das heißt, wir müssen schleunigst zusehen, irgendwo Proviant zu übernehmen. Möchte mal wissen, wie die Russen das gehalten haben. Die müssen doch vor dem gleichen Problem gestanden haben. In Varna hätten sie sich versorgen können.“
„Nicht unbedingt“, sagte jetzt Ben Brighton und lächelte hintergründig. „Ich schätze, die haben von der Hand in den Mund gelebt und sich dort bedient, wo sie was klauen konnten. Ihre Vorratswirtschaft beschränkte sich darauf, Wodka an Bord zu haben. Ziemlich bezeichnend für diese Rabauken, finde ich.“
„Das wäre eine Erklärung“, sagte Hasard. „Na gut, wir bleiben in Sichtweite der Küste. Sobald ein Hafen gesichtet wird, laufen wir ihn an und decken uns mit Proviant ein – gegen klingende Münze, versteht sich. Bis dahin schnallen wir den Gürtel enger. Alles klar, Freunde?“
Der Profos räusperte sich.
„Ja, Ed?“
„Schlage zum Frühstück einen Schluck Wodka vor, Sir“, sagte der Profos.
Der Kutscher stieß einen wütenden Zischlaut aus. Dieser Profos war unmöglich. Der war noch schlimmer als Mac Pellew.
„Auf nüchternen Magen, wie?“ fragte Hasard ein bißchen ironisch.
„Wer einen schwachen Magen hat, scheidet natürlich aus“, erklärte der Profos.
Jetzt war es der Kutscher, der Todesverachtung zeigte.
„Nur über meine Leiche!“ verkündete er wie zuvor Carberry. „Außerdem habe ich den Schlüssel zur Proviantlast. Und den rücke ich nicht heraus – basta!“
„Daß du ein alter Knicker bist, weiß hier jeder“, knurrte der Profos.
„Und wer der übelste Trunkenbold ist, dürfte auch bekannt sein!“ fauchte der Kutscher.
„Herrschaften, jetzt ist Schluß!“ sagte Hasard scharf. „Kutscher, gib mir den Schlüssel.“
„Glaubst du etwa, ich laß mir den Schlüssel von diesem Saufsack klauen, Sir?“ fragte der Kutscher empört.
„Ich glaube überhaupt nichts. Her mit dem Schlüssel!“ Hasard streckte die Rechte aus.
Widerwillig übergab ihm der Kutscher den Schlüssel. Er fühlte sich gekränkt, daß ihm der Kapitän nicht vertraute.
Der Profos grinste bis zu den Ohren, aber das verging ihm. Denn Hasard sagte: „Ich bitte um Verständnis, Kutscher. Ich will Mister Carberry gar nicht erst in Versuchung führen. Bei mir ist der Schlüssel gut aufgehoben und absolut sicher vor trickreichen Langfingern. Nicht wahr, Ed?“ Und er grinste den Profos freundlich an.
Der sah ziemlich vernagelt aus und brummte: „Versteh gar nicht, für was man hier alles gehalten wird.“ Und in einem Anflug von Selbstverleugnung fügte er hinzu: „Von mir aus könnt ihr das Zeug vergammeln lassen oder euch in die Haare schmieren! Mich kratzt das nicht.“
„Eben sagtest du was anderes, als der Kutscher vorschlug, den Wodka wegzuschütten“, erinnerte Hasard.
„Darüber müßte auch abgestimmt werden“, erklärte der Profos unbeeindruckt. „Und da würde ich dagegen stimmen, weil man nicht etwas wegschüttet, das dem Wohle der Allgemeinheit dient.“
„Nicht dem Wohle, sondern der Trunkenheit und dem Laster“, sagte der Kutscher.
„Jetzt fängt der auch noch an zu predigen!“ maulte der Profos. „Ist hier Bibelstunde, oder was?“
„Wäre für deine Läuterung gar nicht schlecht“, erwiderte der Kutscher. „Sich in die Bibel zu vertiefen, hat schon so manchem Sünder geholfen, wieder den rechten Weg zu finden.“
„Dann lies sie fleißig und laß dir helfen“, entgegnete der Profos. „Ich empfehle dir Römer zwölf, Vers zwanzig, der da lautet: So nun dein Feind hungert, so speise ihn; dürstet ihn, so tränke ihn!“ Der Profos räusperte sich. „Vor allem letzteres lege ich dir warm ans Herz, und ich wiederhole: Dürstet ihn, so tränke ihn!“
Der Kutscher war sprachlos, und das wollte etwas heißen.
Der griesgrämige, verbeulte Mac Pellew lebte auf: „Wahr gesprochen, mein lieber Edwin! Uns dürstete, aber er tränkte uns nicht. Statt dessen führte er lästerliche Reden und drohte wegzuschütten, wonach uns dürstete.“
Der Kutscher hatte sich von seiner Verblüffung erholt. Jetzt wetterte er los: „Wonach euch dürstet, ist Schnaps, ihr schlitzohrigen Halunken! Wenn es um den geht, stellt ihr sogar die Bibel auf den Kopf. Schämen solltet ihr euch!“
„Das empfehle ich auch“, erklärte Hasard. „Im übrigen gebe ich dem Kutscher recht. Außerdem: wenn euch dürstet, könnt ihr Wasser trinken – von nichts anderem ist in dem zitierten Römer-Vers die Rede, und das wißt ihr beide sehr genau.“
„Aye, Sir“, murmelte der Profos.
„Aye, Sir“, murmelte auch Mac Pellew, und er sah dabei so grämlich aus, daß bei seinem Anblick sogar ein Bruder Lustig zum Trauerkloß geworden wäre.
Er drehte sich um und schlurfte in Richtung der kleinen Kombüse.
Hinter ihm sagte Dan O’Flynn tiefsinnig: „Unser Mackilein ist heute morgen wieder in Höchstform – eine richtige Frohnatur, voll schäumender Lebenslust und wie immer zum Scherzen aufgelegt. Man könnte direkt heulen!“
Die Mannen grinsten, und sie grinsten noch mehr, als Mac sich noch einmal umdrehte und seiner Verachtung Ausdruck gab, indem er Dan O’Flynn einen „pinseligen Pickelhering“ nannte.
„Besser das“, rief Dan O’Flynn erheitert, „als eine lila-gehörnte Miesmuschel!“
„Phh!“ äußerte Mac, und hinter ihm krachte das Kombüsenschott zu, daß die beiden Masten wackelten.
„Jetzt schmollt er drei Tage“, sagte Dan O’Flynn.
So begann also der Morgen dieses sonnenreichen Tages, und er fand eine halbe Stunde später seine Krönung, als es den beiden Jungmannen Hasard und Philip gelang, mit ihren Blinkern einen Mordsburschen von Stör zu angeln und an Bord zu ziehen.
Es war ein sogenannter Hausen aus der Stör-Familie, und er hatte eine Länge von fast vier Yards, was die Arwenacks für enorm hielten, obwohl der Kutscher es mal wieder besser wußte und kundtat, daß solche „Fischlein“ die Kleinigkeit von acht bis neun Yards Länge erreichten.
Es grenzte an ein Wunder, daß die Angelschnur nicht gerissen war. Allerdings hatte der Stör selbst dabei geholfen, sich an Bord der Dubas zu befördern. Er hatte sich aus dem Wasser geschnellt, und diesen Moment hatten die Zwillinge genutzt, ihn mit einem ruckartigen Zug an der Angelleine binnenbords zu holen.
Immerhin reichte die Beute für mehrere Mahlzeiten, und die Arwenacks brauchten ihre Gürtel noch nicht enger zu schnallen. Zum Frühstück gab’s Kaviar – den Beluga-Kaviar, den der Kutscher mit Zitrone schmackhaft zubereitete und