Ed Carberry zeigte keine erkennbare Regung.
Nur die schaufelförmigen Fäuste hob er kurz und schnell und tupfte dem Portugiesen kettenklirrend vor die Brust. Es sah harmlos aus, doch der Stoß hätte ausgereicht, einen indischen Wasserbüffel zu Fall zu bringen.
So stieß de Carvalho einen erschrockenen Laut aus, als er sich plötzlich von den Füßen gehoben fühlte und der Länge nach rückwärts segelte. So lang, wie er war, klatschte er ins seichte Wasser.
Carberrys Gefährten konnten nicht mehr anders, sie brüllten vor Vergnügen.
Wutentbrannt bauten sich die acht Portugiesen vor ihnen auf, während de Carvalho sich fluchend aufrappelte. Einer der Senhores, die vor weniger als einer Stunde ihr Schiff verloren hatten, versetzte Carberry mit dem Knauf seiner Pistole einen Stoß vor die Brust.
„Dafür wirst du bezahlen, du verfluchter Hurensohn!“ zischte der Portugiese.
Ed Carberry zeigte auch diesmal keine Reaktion. Er geriet nicht einmal ins Wanken. Von oben herab blickte er den Mann nur geringschätzig an.
Tropfnaß stürmte Laurindo de Carvalho heran und zerrte seinen Landsmann zur Seite. Der Blick, mit dem der Einäugige den Profos maß, war so tödlich wie ein Dolchstoß – abgesehen von der Wirkung. De Carvalho zitterte vor Wut. Wie es schien, hatte ihn das unfreiwillige Bad schlagartig ernüchtert.
„Dieser Mann“, schrie der Einäugige mit sich überschlagender Stimme, „wird auf der Stelle hingerichtet!“ Während er die Worte ausspie, wippte er heftig auf den Zehenspitzen.
Edwin Carberry stieß nur ein verächtliches Knurren aus.
Seine Gefährten preßten die Lippen zusammen. Sie wurden von dem Gefühl beschlichen, daß der Profos es möglicherweise doch zu weit getrieben hatte. Denn sie waren sich darüber im klaren, daß Hasard – wenigstens im Moment – keine Möglichkeit hatte, ihnen zu helfen.
Carberrys Reaktion steigerte de Carvalhos Wut zum Überkochen.
„Einen Säbel!“ keifte der Einäugige. „Bringt mir sofort einen Säbel! Ich werde die Exekution selbst durchführen!“
Der Portugiese, der zuvor dem Profos gegenübergestanden hatte, packte Kapitän Einauge an der Schulter.
De Carvalho schüttelte ihn ab wie eine lästige Fliege.
„Laurindo“, sagte der andere beschwörend, „sei jetzt vernünftig, verdammt noch mal! Es bringt uns doch nichts ein, wenn wir jetzt den Kopf verlieren. Unüberlegtes Handeln können wir uns nicht mehr leisten, nach dem, was passiert ist. Und vergiß nicht, der Raja erwartet von dir, daß du dich mit ihm berätst, bevor du etwas unternimmst.“
Ed Carberry und die anderen beherrschten das Spanische gut genug, um auch Portugiesisch zu verstehen. So kriegten sie jedes Wort mit.
„Das interessiert mich nicht“, fauchte de Carvalho, allerdings schon einen Grad leiser. „Dieser aufgeblasene Holzklotz wird für seine Unverschämtheit büßen. Mit seinem Leben!“
„Aber das muß doch nicht sofort sein, Laurindo“, sagte der andere Portugiese. „Sprich erst mit dem Raja. Wir wollen doch hier auf der Insel keine unnötigen Schwierigkeiten. Denk daran, daß der Raja auch uns mächtig einheizen kann, wenn wir etwas tun, ohne daß er die Entscheidung getroffen hat.“
De Carvalho preßte die Lippen aufeinander. Dann drehte er sich um, damit die Männer von der „Isabella“ seinen nachdenklich gewordenen Gesichtsausdruck nicht sehen konnten.
„Also gut“, sagte er halblaut. „Ich sehe ein, daß du recht hast, Luiz. Aber vergessen werde ich diesen Vorfall ganz bestimmt nicht.“
Luiz Cardona, ehedem zweiter Offizier auf der jetzt versenkten Karacke, deutete mit dem Daumen über die Schulter. „Wir wollen die englische Galeone, Laurindo. Vergiß das nicht. Unbesonnenheiten können wir uns nicht leisten. Du hast selbst gemerkt, daß nicht alles so glatt läuft, wie du es dir vorgestellt hast. Oder warst du allen Ernstes überzeugt, der englische Kapitän würde sein Schiff mir nichts dir nichts herausrücken?“
De Carvalhos Auge funkelte.
„Er begeht den größten Fehler seines Lebens, wenn er es nicht tut. Aber jetzt Schluß damit. Wir werden die britischen Bastarde erst einmal in den Palast bringen. Dann sehen wir weiter.“
Cardona lächelte zufrieden.
„So gefällst du mir schon besser, Laurindo.“ Er wandte sich den anderen zu und rief einen Befehl in der Sprache der Inselbewohner.
Sofort entstand Bewegung unter den Indonesiern. Sie bildeten eine Marschformation, die sie nur von den Portugiesen gelernt haben konnten. Die Gefangenen wurden in die Mitte dieser Formation genommen, flankiert von den Portugiesen. Laurindo de Carvalho übernahm die Spitze der insgesamt mehr als hundert Mann starken Kolonne.
Zwei Indonesier blieben mit dem Auslegerboot als Wächter am Strand zurück.
Die Formation bewegte sich auf einem Pfad dem Palmenwald zu. Der weiche Erdboden dämpfte nun die Schritte. Laut und vernehmlich war nur das Kettenklirren der Gefangenen. Unter den Baumkronen lastete die Luft jetzt, am Vormittag, drükkend heiß.
„Was wird Hasard unternehmen?“ flüsterte Dan O’Flynn, der neben dem Profos marschierte.
„Egal, was es sein wird, er heizt diesen Rübenschweinen garantiert ein. Darauf kannst du Gift nehmen.“ Ed Carberry bemühte sich, ebenfalls zu flüstern, was ihm bei seinem Reibeisenorgan nicht ganz leicht fiel.
„Das Schwierige ist nur“, fuhr Dan leise fort, „daß sie tagsüber nicht ungesehen an die Insel heran können. Wenn wir eine Galgenfrist bis zur Dunkelheit kriegen, haben wir nicht mehr viel zu befürchten. Sonst …“ Er sprach nicht weiter.
„Wie ich diese Burschen kenne“, Ed Carberry deutete mit einer Kopfbewegung zu den vorausmarschierenden Indonesiern, „werden sie erst mal ein stundenlanges Palaver veranstalten.“
„Hoffentlich.“
„Sag mal“, zischte der Profos, „hat dieser portugiesische Stint mich einen Holzklotz genannt oder nicht?“
„Allerdings“, erwiderte Dan, „das hat er.“
„Hm. Also habe ich mich nicht verhört. Dafür werde ich ihm die Haut in Streifen von seinem Wanst ziehen, sobald ich dieses verdammte Kettengeklimper losgeworden bin.“
„Ruhe!“ schnauzte der Portugiese, der rechts neben ihnen ging. „Haltet euer dreckiges Maul, oder ich stopfe es euch!“
Der Profos setzte zu einer passenden Antwort an, aber Dan brachte ihn rechtzeitig mit einer Handbewegung zur Besinnung. Zur Zeit, davon war Dan O’Flynn überzeugt, hatte es wirklich keinen Sinn, die Portugiesen unnötig zu reizen.
Der Pfad stieg jetzt an und führte in zunehmend engeren Windungen durch den Wald. Schließlich blieben die Palmen zurück, und die Marschformation erreichte eine steinige Anhöhe, die aus erkalteter Lava bestand – fast ein Plateau, jedoch nur von geringen Ausmaßen, denn es senkte sich sehr bald wieder in östlicher Richtung.
Für einen kurzen Moment hatten die Männer der „Isabella“ aber Gelegenheit, einen Blick über die Insel zu werfen. Im Schatten des alles überragenden Vulkans erstreckte sich tropischer Regenwald in hügeliger Weite. Fleckenartig war der Wald von Lichtungen größeren und kleineren Ausmaßes durchsetzt, Lavafelder hatten den Wald auf weiten Teilen der Insel völlig unter sich begraben.
Weiter entfernt, schon zum Fuße des Vulkans hin, gab es eine grüne Ebene. Es war anzunehmen, daß die Menschen dort Bodenfrüchte anbauten. Daß sie ihre Existenz als Jäger bestritten, war dagegen unwahrscheinlich, denn jagdbares Getier gab es auf der Insel sicherlich nicht. Bestenfalls Schlangen oder größere Vögel, doch davon konnten Hunderte von Menschen auf Dauer nicht satt werden. Hirsche oder Wildschweine hatten die Insulaner noch nicht einmal im Traum gesehen.