„Wir beschlossen spontan, uns für die Hilfsbereitschaft erkenntlich zu zeigen“, spann de Carvalho seinen Faden weiter. „Wir setzten unsere Karacke instand, und beim nächsten Angriff der Flotte Fatahillahs brachten wir ihr eine vernichtende Niederlage bei. Denn die Segler, die sie hier verwenden, sind Schiffen europäischer Bauart natürlich nicht im entferntesten gewachsen. Ja, und dieser Erfolg war dann der Anfang der Geschichte, die meine Freunde und mich an diese Insel fesselte. Der König hatte nämlich beschlossen, mich als eine Art Kriegsminister einzustellen, und meine Freunde erhielten ebenfalls führende Posten. Um diesem Vorschlag ein wenig mehr Gewicht zu verleihen, gab mir der Raja seine Tochter zur Frau. Da es sich um ein wahrhaft engelsgleiches Geschöpf handelt, fiel mir die Entscheidung leicht. Im übrigen leben meine Freunde und ich hier mit Privilegien, von denen man in Europa kaum eine Vorstellung hat.“ Er hielt inne und grinste von neuem. Er spürte, daß er von einem seltsamen Teufel geritten wurde. „Eigentlich könnten wir jetzt noch einen Schluck von diesem edlen karibischen Tropfen zu uns nehmen.“
Ben Brighton unterdrückte einen glucksenden Laut. Dann schenkte er ein, und sie prosteten sich abermals zu. Diesmal verdrehte der Portugiese das Auge und ließ ein wohliges „Aaaah“ hören. Ben sah den Seewolf verblüfft an, doch Hasard lächelte nur. Karibischer Rum hatte seine besondere Wirkung, und die war nun einmal bei jedem Menschen verschieden.
„Gut“, sagte Hasard, „nach dieser aufschlußreichen Geschichte fehlt uns nur noch ein Grund dafür, weshalb Sie uns so hinterlistig hereingelegt haben. Ein Seekriegsgericht würde Sie dafür vermutlich zum Tode verurteilen.“
De Carvalho schloß das Auge, wobei er sanft den Kopf von einer Seite zur anderen bewegte. Dazu setzte er wieder sein breites Grinsen auf.
„Ich sagte schon, hier gelten andere Gesetze. Und statt ‚hinterlistig‘ sollten Sie das Wort Taktik gebrauchen. Meine Karacke, die hier übrigens keinen Namen mehr trug, weil das nicht üblich ist, befand sich in einem äußerst schlechten Zustand. Aber woher sollte ich ein neues Schiff vergleichbarer Bauweise nehmen? Geld gibt es auf Seribu nicht und irgendwelche Bodenschätze schon gar nicht. Deshalb ist Ihre Galeone für mich ein Geschenk des Himmels, Gentlemen. Ich denke, damit habe ich alles gesagt, was zu sagen ist.“
„Sie wäre ein Geschenk des Himmels“, verbesserte Ben Brighton, „wenn Sie sie kriegen würden.“
Laurindo de Carvalho zog die Augenbraue hoch.
„Oh, mir scheint, in dem Punkt mißverstehen wir uns. Sie verkennen den Grund meines Besuches an Bord. Nennen wir es ein Geschäft Zug um Zug. Da meine ursprüngliche Taktik leider nicht funktioniert hat, wird es so ablaufen: Sie übergeben mir das Schiff und erhalten dafür die sechs Männer zurück, die sich in meinem Gewahrsam befinden. Ich werde sogar so zuvorkommend sein, Ihnen und Ihrer gesamten Mannschaft seetüchtige Auslegerboote zur Verfügung zu stellen. Damit erreichen Sie mühelos Java, wo Sie sich selbst weiterhelfen können.“
Philip Hasard Killigrew blieb noch immer ruhig. Nur in seinen seeblauen Augen glomm ein gefährliches Feuer.
Er stand auf.
„Ich habe es gehört, Senhor de Carvalho. Sie begehen nur einen Denkfehler. Zu einem Zug-um-Zug-Geschäft gehören immer zwei. Und ich erwidere nur eins: Ihre Forderung ist die größte Unverschämtheit, die ich jemals gehört habe.“
Der Portugiese sprang mit einem Ruck auf. Im selben Moment mußte er sich an der Tischkante festhalten, denn er drohte das Gleichgewicht zu verlieren und hintenüberzukippen. Sein Gesicht rötete sich, und er schwankte.
„Seien Sie vorsichtig mit Ihren Äußerungen!“ schrie er. „Wenn Sie mir das Schiff nicht bis Sonnenuntergang übergeben, wird der erste Ihrer Männer sein Leben aushauchen!“
Der Seewolf schüttelte den Kopf.
„Anders herum wird ein Schuh draus, de Carvalho“, sagte er eisig. „Sie geben auf der Stelle die Gefangenen frei. Andernfalls schießen wir Ihre hübsche Insel in Grund und Boden.“
„Versuchen Sie es!“ bellte Kapitän Einauge. „In dem Fall werde ich den ersten Mann vor Ihren Augen hinrichten lassen! Ich bin gespannt, wie Ihnen das gefallen wird.“
„Verlassen Sie mein Schiff!“ befahl der Seewolf schneidend. „Ich rate Ihnen, sich zu beeilen, bevor ich es mir anders überlege.“
„Wagen Sie es nicht, Hand an mich zu legen!“ keifte der Portugiese. „Wagen Sie es nicht, wenn Ihnen das Leben Ihrer Männer lieb ist!“
„Verschwinden Sie“, sagte Hasard nur, „und zwar schnell.“
De Carvalho schoß einen haßerfüllten Blick auf den Seewolf ab. Dann drehte er sich abrupt um und stelzte mit unsicheren Schritten hinaus.
Hasard und Ben Brighton folgten ihm. An Deck sahen sie das Grinsen der Männer, die den Portugiesen auf seinem schwankenden Weg zum Schanzkleid beobachteten. Und jeder von ihnen wünschte sich, daß de Carvalho die Jakobsleiter verfehlte und ein erfrischendes Bad nahm. Doch wider Erwarten erreichte er das Auslegerboot trocken. Wütend schleuderte er die Bambusstange mit dem weißen Tuch ins Wasser und herrschte die Indonesier in einer Sprache an, die die Männer auf der „Isabella“ nicht verstanden.
Sobald sie zu ihren Gefährten hinüberblickten, die noch immer in Ketten am Strand ausharrten, war ihre momentane Schadenfreude dahin. Die Rumseligkeit des Einäugigen half ihnen nicht dabei, die Gefangenen zu befreien.
6.
Laurindo de Carvalho sprang mit einem Satz aus dem Boot und stapfte durch das seichte Wasser. Es kümmerte ihn dabei nicht, daß seine wertvollen Stiefel feucht wurden. Wutschnaubend baute er sich vor der Reihe der Angeketteten auf.
„Damit ihr wißt, woran ihr seid, ihr gottverdammten englischen Bastarde! Euer ehrenwerter Kapitän ist um euer Leben keine Spur besorgt.“ De Carvalho schwankte. Wie schwer seine Zunge war, bemerkte er selbst nicht. Und ebensowenig bemerkte er die konsternierten Blicke seiner portugiesischen Landsleute, die links und rechts neben den Gefangenen Stellung bezogen hatten. „Dieser noble Sir Hasard denkt nämlich nicht im Traum daran, sein Schiff herauszugeben. Dafür will er euch lieber opfern.“ De Carvalho wippte auf den Zehenspitzen, wodurch sich sein Schwanken noch verstärkte.
Edwin Carberry zog verächtlich die Mundwinkel nach unten. Herausfordernd schob er sein mächtiges Rammkinn vor. Die Ketten, die sie ihm verpaßt hatten, spürte er kaum – abgesehen davon, daß sie ihn in seiner Bewegungsfreiheit einengten. Wie seine Gefährten, trug er einen eisernen Ring um den Hals. Ketten waren in Ösen an diesem Ring befestigt und mit den eisernen Ringen an den Handgelenken verbunden.
Außerdem trug jeder der Männer von der „Isabella“ einen weiteren Ring dieser Art um ein Fußgelenk. Beim Profos war es das linke, und er war durch eine etwa einen Yard lange Kette mit Dan O’Flynn verbunden, dem sie den Ring um das rechte Fußgelenk gelegt hatten. Auf diese Weise waren jeweils zwei Mann aneinandergekettet. Geschlossen waren die Eisenringe mit einem Splint, den man zwar nicht mit bloßen Händen herausziehen konnte, für den aber ein oder zwei Hammerschläge genügten, um ihn hinauszutreiben.
„Einer stinkenden Kanalratte wie dir würde ich das Schiff auch nicht übergeben“, grollte der Profos. „Ich an Hasards Stelle hätte dir einen Tritt in den Hintern gegeben, daß du in hohem Bogen über das Schanzkleid gesegelt wärst.“
Laurindo de Carvalho erbleichte. Er ballte seine gepflegten Hände zu Fäusten.
Dan O’Flynn, Matt Davies und die anderen konnten sich ein gedämpftes Lachen nicht verkneifen, obwohl ihnen ganz und gar nicht fröhlich zumute war. Nachdem er aus der Bewußtlosigkeit erwacht war, spürte Dan noch immer die brennenden