„Ich, äh, war nicht dabei“, erwiderte do Velho. „Ich habe zu der Zeit die Insel erkundet.“
„Ja. Gedrückt hast du dich.“
Do Velho ließ die Arme baumeln. „Du wirst bereuen, was du gesagt hast. Ungestraft beschimpft und bedroht man keinen Kapitän oder Offizier.“
„Weitere Vorschläge!“ fuhr Vicente ihn an.
Der Mann aus Porto wollte sich an Vicente heranschleichen, aber Carlos hielt ihn zurück. Ignazio war ein diensteifriger Typ und der sturen Borddisziplin bedingungslos unterworfen. Für ihn zählte nur, was der Capitán sagte und tat. Er dachte nicht daran, daß Vicente der eindeutig Überlegene war und er Lucio do Velho innerhalb der nächsten Sekunden wahrscheinlich abservieren würde. Es lohnte sich also nicht, sich mit Vicente anzulegen.
Do Velho entging es nicht, wie Carlos den Mann aus Porto bremste. Do Velho schaute zu Carlos, aber der wich seinem Blick aus.
„Hör zu“, erklärte der Capitán jetzt. „Ich bin bereit, ein neues Experiment zu beginnen. Allein. Ich tauche. Wenn ich uns nichts Eßbares besorgen kann, werde ich zumindest eins der Beiboote aus den Zurrings lösen und an die Oberfläche befördern. Ich tue es noch heute nacht, wenn du willst, Vicente.“
Vicente grinste höhnisch. „Was für hervorragende Vorschläge! Aber völlig unbrauchbar. Ich habe auch das probiert, die Boote haben sich jedoch verkeilt und sind teils beschädigt, teils unter Kanonentrümmern begraben.“
„Wenigstens eins muß zu verwenden sein“, beharrte do Velho auf seiner Meinung. „Wir müßten nur alle vier tauchen.“
„Das könnte dir so passen.“
„Es ist ein ehrliches Angebot, Vicente.“
„Nein!“ brüllte der erregte Mann. „Du willst uns nur erledigen, unter Wasser! Sonst hättest du doch längst versucht, an ein Boot heranzukommen! Aber du weißt, das es sinnlos ist!“
Do Velho sprach eindringlich, fast bittend. „Überlege doch. Wir haben auf eins unserer Schiffe gewartet. Ich habe es gar nicht für nötig befunden, viel zu unternehmen. Früher oder später muß jemand erscheinen, der uns hier wegholt.“
„Ach? Unser Verband etwa?“
„Ja …“
„Der Verband ist vom Seewolf zum Teufel gejagt worden“, sagte Vicente wild. „Vorletzte Nacht. Oder hast du auch das Donnern der Kanonen schon wieder vergessen?“
„Keineswegs. Nur ist auch ein Killigrew nicht in der Lage, sich vier Schiffe vom Hals zu schaffen. Und vier sind es gewesen, die von Formosa herübergesegelt sind, wie wir es schon vorher vereinbart hatten: die ‚Bartolomeu Diaz‘, die ‚Vasco da Gama‘, die ‚Sao Paolo‘ und die ‚Bahia Blanca‘. Im Morgengrauen haben sie die ‚Isabella‘ gestellt und vernichtet.“
„So? Warum sind sie dann anschließend nicht herübergesegelt, um uns aufzulesen?“
Do Velho antwortete: „Der Comandante da Odemira weiß nicht, wo wir stecken. Er hat die abfackelnden Masten der ‚Sao Fernao‘ nicht mehr sehen können. Das ist unser Pech. Jetzt müssen wir das Ende der langwierigen Suche abwarten. Aber wir können nicht nur mit dem Hauptverband rechnen, sondern auch mit der ‚Santa Luzia‘, unserem sechsten Schiff, das vor vier Tagen nach Nordosten abgelaufen ist, um die Nansei-Shoto-Inseln auf Feindbewegungen hin zu untersuchen.“
„Wir können also ganz sorglos sein?“ fragte Vicente lauernd.
„Ja, unbedingt.“
„Du bist ein Lügner“, zischte der Stückmeister. „Ich hab’s immer gewußt. Wir müssen hier verrecken, aber ich will dich zuerst sterben sehen, bevor es uns erwischt. Ich töte dich, du Hurensohn.“
Er wollte einen Ausfall zu do Velho hin unternehmen, doch dieser griff sich plötzlich an die Brust und sank zusammen.
„Dios“, stöhnte er immer wieder. „Mein Gott, was ist nur – Himmel, warum helft ihr mir nicht?“
„Das Herz“, murmelte Ignazio.
„Nein!“ stieß Carlos hervor. „Er ist ein großartiger Simulant, aber uns legt er nicht mehr herein. Ich übernehme die Sache.“ Bevor Vicente eingreifen konnte, hatte er sein Messer gezückt und stürzte sich auf den Kapitän.
Do Velho war auf die linke Körperseite gesackt und krümmte sich. Carlos hatte ihn erreicht – da zuckte er wie eine große, kräftige Schlange, schwang wieder hoch und knallte dem Mann beide Fäuste gegen den Kopf.
Carlos verlor sein Messer. Vicente stieß einen wilden Schrei aus und rückte mit erhobenem Säbel vor, aber Lucio do Velho, der Gerissene, versetzte Carlos einen Stoß und beförderte ihn auf den Stückmeister der „Sao Fernao“ zu.
Carlos prallte gegen Vicente. Vicente wimmelte den untersetzten Mann ab und trat an ihm vorbei. Diese kurze Verzögerung hatte do Velho gereicht. Er hatte seinen Degen gezückt und stellte sich dem Untergebenen, der sein Todfeind geworden war.
Carlos hatte Mühe, sich vom Plateau aufzurappeln.
Ignazio, der Mann aus Porto, stand wie vom Donner gerührt und schien nicht zu begreifen.
Vicente drosch mit dem Säbel auf den Kapitän ein. Er wollte ihm den Schädel spalten, eine blutige Kerbe in die Schulter hauen, die Klinge im Herzen des Widersachers versenken, aber nichts davon klappte. Geschickt wehrte do Velho jede Attacke ab. Er baute eine Verteidigung auf, studierte Vicentes Kampftaktik, fand seine Fehler heraus – und duckte sich in einem Augenblick, den er für den geeigneten hielt.
Vicente dachte, der Kapitän wolle einem Streich ausweichen.
Er hatte sich getäuscht.
Do Velho stand flach über den Boden gekauert, sein Kopf, Arm, Oberkörper waren eine Einheit, die plötzlich nach vorn schoß. Die Degenklinge traf Vicente. Vicente zog den Säbel erfolglos über do Velhos Kopf hinweg. Er hatte sich zu spät auf die neue Situation und auf das Verhalten des Gegners eingestellt.
Vicente spürte ein Stechen im Unterleib, als Lucio do Velho seine Waffe bereits wieder an sich gerissen hatte. Wallende Nebel senkten sich über den Stückmeister Vicente. Er verlor die Kontrolle über sich, die Schmerzen packten ihn, rüttelten an seinem Leib und zwangen ihn zu Boden.
Carlos stand und wollte sich erneut auf den Kapitän stürzen, aber in diesem Moment handelte Ignazio. Plötzlich hatte Carlos ein Messer zwischen den Schulterblättern stekken. Er röchelte, taumelte und schaute ungläubig drein. Zwei, drei stolpernde Schritte tat er noch auf Lucio do Velho zu, dann fiel auch er.
Auf dem Bauch blieb er liegen. Sein Gesicht war nach unten gewandt.
Vicente lag gekrümmt und hatte seinen Säbel aus der Hand verloren. Das Leben war ein Atemhauch, der aus seinem Körper entfloh und vom Wind davongetragen wurde.
Ignazio stand mit baumelnden Armen und starrte seinen Kapitän an.
„Ausgezeichnet“, sagte do Velho kühl. „Ich werde dafür sorgen, daß du eine Belobigung erhältst, mein Freund. Du hast dich vorbildlich verhalten.“
Er sah an dem Mann aus Porto vorbei und schien etwas entdeckt zu haben. Plötzlich steckte er den Degen weg und lief über das Plateau.
„Da!“ rief er. „Ich hab’s ja gesagt! Da kommt ein Schiff!“
Ignazio wandte den Kopf. Im ersten Augenblick hielt er das, was do Velho von sich gegeben hatte, für ein Hirngespinst. Dann entdeckte auch er das Licht in der Ferne.
„Aus Nordosten nähert sich das Schiff“, murmelte Ignazio. „Wenn das die ‚Santa Luzia‘ ist und die Mannschaft unser Rufen hört, sind wir wirklich gerettet.“
Lucio