Genau in diesem Augenblick regte sich am Ufer doch etwas, aber es war Nuno Goncalves’ ausgesprochenes Pech und ein unverzeihliches Vergehen seines Ausgucks, davon nichts zu bemerken.
2.
Dans scharfe Augen hatten sich auch diesmal nicht trügen lassen. Er hatte die Gestalten auf dem Achterdeck der Galeone auch ohne ein Spektiv beobachten können, und weder er noch Hasard und die anderen vier hatten sich vom Fleck gerührt, bevor die Männer nicht vom Schanzkleid verschwunden waren.
Jetzt glitt der Seewolf über den schmalen Sandstreifen und erreichte das Flachwasser. Er schlich hinein und duckte sich so tief wie möglich.
Carberry, Ferris Tucker, Smoky, Blacky und Dan folgten seinem Beispiel. Sie alle waren nur mit kurzen Hosen bekleidet, die Messer steckten in den Gurten. Es war die einzige Möglichkeit, zur Galeone hinüberzutauchen, nur auf diesem Weg erreichten sie ungesehen das Schiff. Ein Boot wäre unweigerlich von dem feindlichen Ausguck entdeckt worden, und sei es noch so klein.
Im Dickicht verweilte ein regloser, ernst dreinblickender Sun Lo.
„Ich wünsche euch viel Erfolg“, flüsterte er. „Der Allgeist verleihe euch die Macht, es ohne Blutvergießen zu vollbringen.“
Der Seewolf und seine fünf Männer waren ganz ins Seewasser eingetaucht und begannen zu schwimmen. Ihre Köpfe waren undeutliche, zerlaufende Male in den schwärzlichen Fluten. Wenig später waren sie nicht einmal mehr als Schemen zu erkennen – die Männer waren getaucht und bewegten sich unter Wasser auf die Galeone zu.
Sun Lo drehte sich um und verließ seinen Posten.
Nein, niemals würde er gegen Philip Hasard Killigrews Anweisung handeln. Dazu war er nicht fähig. Der Seewolf hatte ihm auferlegt, zur „Isabella VIII.“ zurückzukehren. Und das tat Sun Lo nun auch.
Nur in einem Punkt verhielt er sich anders, als der Seewolf es von ihm annahm. Er mußte lächeln, als er daran dachte.
„Meine Schüler warten auf mich“, sagte er in seiner weichen, melodiösen Sprache. „Es gibt in dieser Nacht noch eine Menge zu tun für uns.“
Hasard und seine Männer nahmen in diesem Moment ihre Köpfe wieder aus dem Wasser und achteten darauf, sowenig Geräusche wie möglich zu verursachen. Sie schöpften Luft, es gurgelte nur ein bißchen im Wasser, dann waren sie wieder unter der Oberfläche verschwunden.
Als sie zum zweitenmal aufstiegen und ihre Lungen vollpumpten, befanden sie sich unter dem Heck der Galeone. Wuchtig ragte der breite Spiegel über ihnen auf. Die Galerie und der darüber befindliche Teil des Schiffes waren reichlich mit Schnitzwerk verziert. Die Spanier und Portugiesen hatten einen unerschütterlichen Hang dazu, ihre Schiffe so auszustatten.
Im Mondlicht konnte der Seewolf die Schriftzüge am Heck erkennen. „Sao Paolo“ hieß die Galeone. Sie hatte ein mächtiges Steuerruder aus schönstem Pinienholz, das zum Hochklettern einlud.
Hasard grinste. Er wies auf das riesig wirkende Ruderblatt, glitt darauf zu und traf Anstalten, sich daran emporzuziehen.
Carberry hatte unausgesetzt nach oben geschaut und warnte seinen Kapitän in diesem Moment durch einen Wink. Er selbst ließ sich unter Wasser sinken. Dan, Blacky, Smoky und Ferris taten das gleiche. Hasard fand gerade noch die Zeit, sich in dem Winkel in Sicherheit zu bringen, den das Ruderblatt mit dem Heck des Schiffes bildete. Hier verharrte er mit angehaltenem Atem.
Oben – unsichtbar für den Seewolf – war eine Gestalt erschienen, und zwar ganz achtern auf dem erhöhten Teil des Hecks. Es handelte sich um eine der Deckswachen, die der portugiesische Profos auf Goncalves’ Geheiß hin eingeteilt hatte.
Dieser Mann warf einen knappen, prüfenden Blick aufs Wasser hinunter, bemerkte die kleinen Wellenringe jedoch nicht, die die fünf Männer der „Isabella“ hinterlassen hatten. Auch Hasard entdeckte er nicht, denn der befand sich unterhalb der Heckgalerie für ihn im toten Blickfeld.
Folglich zog sich der Wachtposten wieder zurück. Er setzte seinen Rundgang fort, ohne im geringsten beunruhigt zu sein.
Hasard sah die Freunde neben sich auftauchen. Durch eine Gebärde gab er ihnen zu verstehen, sie sollten sich still verhalten. Er legte sich behutsam auf den Rücken und schob sich auf dem Wasser mit dem Kopf zuvorderst am Ruder der Galeone entlang.
Auf diese Weise erlangte er den Ausblick auf die gesamte Heckpartie. Er überzeugte sich, daß die Deckswache ihnen tatsächlich nicht mehr zum Verhängnis werden konnte, und verharrte fast eine Minute lang in seiner Lage.
Dann klomm er endlich am Ruder empor. Ohne jegliche Hilfsmittel wie Enterhaken oder Taue erreichte er die Hennegatsöffnung, stellte die Füße hinein und stemmte sich hoch. Er streckte die Hände nach oben und konnte die Verzierungen der Heckgalerie berühren.
Ferris enterte hinter ihm das Steuerruder der „Sao Paolo“. Hasard wartete sein Erscheinen noch ab, dann bückte er sich ein wenig, stieß sich schwungvoll ab und klammerte sich an der Galerie fest.
Es gelang ihm, sich hochzuhieven und über die Balustrade zu klettern. Leise wie eine Raubkatze setzte er auf und blickte wie gebannt auf die Bleiglasfenster des Achterschiffes. Dahinter glomm der rötliche, dämmrige Schein von Öllampen. Der Seewolf registrierte die Bewegung von Gestalten.
Hasard kauerte wie festgenagelt da.
Bei dem Raum konnte es sich nur um die Kapitänskammer handeln. Demzufolge waren die Männer, die sich gerade darin aufhielten, entweder der portugiesische Capitán mit ein oder zwei Besatzungsmitgliedern oder ein paar Offiziere.
Wenn sie jetzt auf die Galerie hinaustraten, sah es für den Seewolf und seine Begleiter übel aus.
Waren die Portugiesen schnell, dann konnten sie Hasard mit Leichtigkeit überwältigen und die fünf anderen vom Ruder wegschießen. Ferris, Blacky, Smoky, Ed und Dan befanden sich im Moment auf dem Präsentierteller.
Hasard wagte kaum zu atmen.
Ferris’ Rotschopf erschien hinter der Handleiste der Balustrade, es folgten Kopf, Oberkörper, Bauchpartie – und die Beine. Ferris sank neben Hasard auf alle viere und verhielt sich genauso mucksmäuschenstill.
Wenig später waren auch der Profos und die drei anderen eingetroffen. Hasard pirschte sich an das eine Bleiglasfenster des Hecks heran, schob sich langsam hoch und schaute in die Kapitänskammer. Ihm war jetzt, da er die Männer hinter sich wußte, bedeutend wohler zumute.
Etwas verschwommen erkannte er die Gestalten der Portugiesen im Schein der Öllampe. Der Vorteil war, daß er im Dunkeln stand, sie ihn also nicht sehen konnten. Er hingegen verfolgte ziemlich genau, was sie taten, und konnte sie jetzt auch sprechen hören.
Sie hatten sich über Land- oder Seekarten gebeugt, die sie auf dem Pult des Capitáns ausgebreitet hatten.
„… wäre es das beste, bis zur Flußmündung zu segeln und dort zu beginnen“, sagte der eine gerade.
„Si, Senhor“, antwortete sein Gegenüber, ein augenscheinlich junger und schlanker, beinah schlaksiger Mann. „Hoch am Wind liegend können wir uns vielleicht sogar ein Stück den Fluß aufwärts arbeiten.“
„Falls die Wassertiefe es zuläßt“, wandte der dritte ein.
„Immer Bedenken, was, Bootsmann?“ sagte der Schlanke zu dem Mann.
„Die kriegt man im Laufe der Jahre.“
„Es bleibt dabei“, sagte nun der erste Sprecher – der Kapitän der „Sao Paolo“. „Gleich im Morgengrauen laufen wir die Flußmündung an. Sie wird unser Ausgangspunkt und unsere Orientierungshilfe sein. Ich denke, von dort aus können wir ausgezeichnet operieren.“
Übergangslos wandte er sich vom Pult ab und schritt auf die Tür zu, die auf die