Seewölfe Paket 7. Roy Palmer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Roy Palmer
Издательство: Bookwire
Серия: Seewölfe - Piraten der Weltmeere
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783954394968
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Lo hatte ihm ein wenig über Tiger erzählt, über die schönen Tiere aus Bengalen und die blasser gezeichneten Exemplare eines fernen, kalten Landes, das er Sibirien genannt hatte. Gewaltige Raubkatzen, die einem ausgewachsenen Mann mit einem einzigen Tatzenhieb den Arm vom Rumpf trennen oder den Kopf abreißen konnten. Sie lebten nicht in Rudeln wie die Löwen Afrikas, sondern meistens als Einzelgänger, nur zur Paarungszeit zu zweit beziehungsweise nach der Geburt der Jungen einige Wochen lang als traute Familie.

      Eigentlich gingen sie dem Menschen aus dem Weg, hatte der Mönch von Formosa zu berichten gewußt, aber es gäbe auch sogenannte „Menschenfresser“, Tiere, die unangenehme Erfahrungen mit Menschen gemacht hatten und ihnen deswegen nachstellten. Vor einem Element hatten jedoch alle Tiger Angst: vor dem Wasser.

      Das Grollen kehrte wieder.

      Die Männer fuhren unwillkürlich zusammen.

      „Verdammt“, stieß Carberry aus. „Lassen wir uns von diesem Himmelhund etwa einschüchtern? Weiter, sage ich.“

      „Ja“, meinte nun auch der Seewolf. „Dringen wir wenigstens bis zur ersten Lichtung vor. Ich stelle es euch aber frei, zum Boot zurückzukehren. Ed und ich kommen auch allein ganz gut voran.“

      „Ach was“, antwortete Matt Davies. „Erstens haben wir die Hosen nicht voll, und zweitens würden wir euch auch mit vollen Hosen nicht im Stich lassen.“ Er sagte das im Brustton voller Überzeugung, äugte aber doch zu Sir John, der auf der Profosschulter immer kleiner zu werden schien.

      Noch einmal wälzte sich das Brüllen des Tigers durch den Dschungel, diesmal ganz nah.

      Sir John schlüpfte von der Schulter aus in Carberrys Wams. Er kuschelte sich zusammen und verharrte reglos. Nichts auf der Welt hätte ihn bewegen können, diesen sicheren Platz wieder zu verlassen.

      „Augenblick“, flüsterte Pete Ballie.

      „Was ist?“ zischte Gary. „Du machst mich ganz kribbelig.“

      „Wieso geht der Papagei in Dekkung?“

      „Instinkt“, erwiderte Matt Davies.

      „Meinetwegen“, sagte Pete. „Aber meistens fliegt er auf, wenn es brenzlig wird.“

      Hasard und Carberry blieben am Kopf der Gruppe stehen, als Pete dies sagte. Sie fühlten sich veranlaßt, den Blick zu heben.

      „Du meinst, Sir John ist nicht weggeflogen, weil die Gefahr von oben kommt?“ raunte der Profos seinem Kapitän zu. „Ach wo. Tiger klettern doch nicht auf Bäume.“

      „Woher weißt du das?“ fragte Hasard.

      „Hat Sun Lo das nicht gesagt?“

      „Mir nicht.“

      Carberry stand plötzlich wie vom Donner gerührt.

      „Sir“, würgte er hervor. „Ich – ich sehe ihn.“

      Hasard hatte den Urheber der unheimlichen Laute nun auch entdeckt. Die vier anderen folgten seinem und Carberrys Blick – und da sahen auch sie das Tier. Zwischen Blättern hindurch gewahrten sie es auf dem niedrigen Ast eines gewaltigen, urweltlich wirkenden Baumes.

      Majestätisch, reglos, den Blick unverwandt auf den kleinen Trupp gerichtet, ein Bild vollkommener Harmonie zwischen Schönheit des Körpers, Kraft und samtfarbener Streifenzeichnung, so bot sich die große Katze ihren Augen dar.

      „Der Herr des Waldes“, murmelte Hasard. Er konnte den Blick nicht von diesem einzigartigen Tier nehmen. Man mußte von dieser Kreatur überwältigt sein. „Duldet er uns – oder will er uns verjagen?“

      Carberry gab Gary Andrews einen Wink. Gary hob daraufhin die mitgebrachte Muskete. Batuti öffnete jedoch den Mund, um zu protestieren.

      Und Hasard sagte nun auch: „Nein, nicht schießen. Er hat uns nichts getan.“

      „Er kann uns alle töten“, widersprach Carberry.

      „Aber ihm steht die gleiche Würde, der gleiche Respekt zu wie einem Zweibeiner“, sagte der Seewolf. „Erst wenn wir angegriffen werden, wehren wir uns unserer Haut.“

      Der Tiger öffnete das Maul und zeigte ihnen seine spitzen, dolchartigen Reißzähne. Zehn, höchstens fünfzehn Yards entfernt lag er auf dem schweren Baumast, und das Grollen, das er von sich gab, dröhnte wie Donner in den Ohren der Männer.

      Hasard stellte einen Vergleich mit dem Anführer der malaiischen Freibeuter an. Würde und Gewandtheit, Stolz, Kraft, ein Ausdruck der Unbesiegbarkeit – trafen alle diese Attribute tatsächlich auch auf den Mann von Malakka zu?

      „Da“, stieß Batuti aus. „Tiger steht auf.“

      Und wirklich, der Herrscher über den Dschungel richtete sich lautlos auf – zu seiner vollen Größe, die den Männern der „Isabella“ erst jetzt richtig bewußt wurde. In fließender Bewegung drehte sich das Tier, verließ den Ast, glitt den Baumstamm hinunter und wurde vom Dickicht verschluckt.

      „Mann“, keuchte Pete Ballie. „Jetzt pirscht er sich an, um uns zu vertilgen.“

      Hasard erwiderte: „Haltet die Waffen schußbereit. Wir kehren zum Boot zurück. Schaut euch ständig nach allen Seiten um.“

      „Wir hören schon, wenn der Bruder naht“, meinte Matt Davies. „Er faucht ja laut genug.“

      „Das glaubst du auch bloß“, entgegnete Gary. „Von jetzt an verhält er sich mucksmäuschenstill, sage ich dir.“

      „Herr der Tiere“, versetzte der Gambia-Neger gedämpft. „Meister der Jagd.“

      Sie hatten den Weg zum Beiboot der Galeone halb zurückgelegt, da zerriß ein Donnerhieb die Stille. Hasard setzte sich sofort wieder an die Spitze seiner Gruppe und stürmte los. Als er aus dem Dickicht brach und das Flußufer erreichte, sah er einen bleichen Jeff Bowie im Boot stehen. Das Boot schwankte, Jeff trachtete es durch ausgleichende Beinarbeit in eine ruhigere Lage zu bringen.

      „Hölle, Jeff!“ rief der Seewolf. „Warst du das?“

      „Ja, Sir. Wir hatten doch ein paar Höllenflaschen mitgenommen. Ich habe schnell eine davon gezündet, als dieser – dieser Teufel im Gebüsch auftauchte.“

      „Der Tiger?“

      „Ja, das muß wohl ein Tiger gewesen sein“, sagte Jeff verdattert. „Ich habe die Flasche nach ihm geschleudert, dann war er weg wie der Blitz.“

      Hasard ließ sich die Stelle zeigen, an der Bowie die große Raubkatze gesichtet hatte. Die Explosionsflasche hatte das Dickicht im Umkreis von etwa fünf Yards geplättet und einen kleinen Krater in den weichen Boden gerissen. Schwarze Erde haftete an den Mangrovenblättern, es sah aus, als habe ein fürchterlicher Kampf stattgefunden.

      Von dem Tiger aber keine Spur.

      Hasard grinste. „Eine gute Reaktion, mein Freund. Es hätte dich um ein Haar erwischt. Ich hätte dir aber auch niemals verziehen, wenn du unserem guten Jeff zu Leibe gerückt wärst.“

      Bei der Rückfahrt zur „Isabella“ beteuerte Jeff immer wieder, der Tiger habe ihn anspringen wollen, er habe alle Anstalten dazu getroffen, unverkennbar.

      „Also doch ein Menschenfresser“, sagte der Seewolf. „Das gibt mir zu denken. Falls Rempang ganz unbewohnt ist, hat der Tiger bestimmt mit dazu beigetragen.“ Sie hatten das Dickicht verlassen und pullten auf die See hinaus. Hasard richtete sich auf und gab Ben Brighton ein Zeichen. Ben hatte nach der Explosion der Flasche bereits ein zweites Boot bemannen lassen und wollte gerade aufbrechen, um den Kameraden zu Hilfe zu eilen.

      9.

      Zurück an Bord der „Isabella“ erstatteten die Landgänger ihren Kameraden Bericht.

      „Ich glaube, nicht einmal ein halbes Dutzend Schüsse könnten den Tiger stoppen“, sagte der Seewolf abschließend. „Eine Höllenflasche vielleicht, aber das