„Ja, ich weiß“, sagte der Kutscher ungerührt. „Aber die Finsternis ist hauptsächlich auf einen Mangel an Licht zurückzuführen.“
Daraufhin kratzte sich Ed erst einmal den Schädel, fand dann aber, daß der Kutscher doch verdammt recht hatte. Der war eben ein schlaues Kerlchen und gebildet und blickte immer voll durch.
Das war überhaupt der Weisheit letzter Schluß, fand der Profos. Das mußte er später unbedingt als seinen eigenen geistigen Erguß weitergeben, den geistigen Diebstahl verzieh ihm der Kutscher. Vielleicht hatte er ihn auch längst wieder vergessen.
Die ersten Segel wurden gesetzt. Zu Carberrys Bedauern ging das alles ohne Gebrüll ab, er konnte keine Affenärsche lautstark nach oben scheuchen, keine Kanalratten hin und her jagen und keine quergeriggten Heringe anbrüllen. Das war auch so ein Ding. Da ging das schöne Schiff erstmals in See, unbefleckt wie eine Jungfrau und war noch nicht einmal durch saftige Flüche eingeweiht. Na, das würde er aber bald nachholen, und zwar in aller Gründlichkeit.
Die Leinen waren los. Am Ruder stand Pete Ballie und probierte es so vorsichtig aus, als könne gleich etwas zerbrechen.
Ganz langsam schob sich der Bug vom Kai weg und drückte weiter. Ein Windstoß wehte herüber und blähte die Segel. Mit dem Windstoß blies ein wenig Schnee über die Decks.
Hesekiel Ramsgate stand ebenfalls auf dem Achterdeck neben dem Seewolf und sah stolz auf sein Werk, das weich wie Butter in sein Element ging, das sich durch das Wasser schob und die erste Welle vor den Bug zauberte. Ein leichtes Rauschen erklang, und an den Bordwänden begann es zu gurgeln.
„Hast du Al Conroy gesagt, daß er die Drehbassen vorn und achtern laden soll, Ben?“ fragte Hasard.
„Hat er vorhin getan, als wir die Kerle wegbrachten. Sie sind alle geladen.
Aber glaubst du …“
„Kann sein“, murmelte Hasard, „die haben ja schließlich auch Wachen auf ihren Schiffen. Und wir segeln ziemlich dicht daran vorbei. Thorfin müssen sie jedenfalls bald bemerken.“
„Sollen wir dann feuern, falls sie …“
„So schnell werden sie nicht sein, und ich hoffe, es geht auch ohne zu feuern. Aber aufhalten lasse ich mich jetzt nicht mehr. Zuerst geben wir natürlich nur ein paar Warnschüsse ab.“
Während die „Isabella“ schneller wurde, standen einige Seewölfe in der Kuhl zusammen und beobachteten den Hafen. Noch war alles ruhig, nur ein paar Laternen brannten. Die Galeonen des Marquess, der angeblich den eiligen Geheimauftrag so schnell zu erledigen hatte, waren von hier aus noch nicht zu sehen, doch sie mußten jeden Moment ins Blickfeld geraten, denn nun wurde aus der Dunkelheit diesiges Grau mit einem Himmel voller dunkler Schlieren.
Während sie abwarteten und angestrengt vorausblickten, entspann sich zwischen dem Profos und Paddy Rogers, der etwas lahm im Denken war, ein kleines Gespräch. Ed hatte sich diesen Satz eingehämmert, er fand ihn prächtig und mußte ihn unbedingt weitergeben.
„Weißt du eigentlich, weshalb es nachts so dunkel ist, Paddy?“ fragte er den bulligen untersetzten Mann, der seine Verletzung wieder gut ausgeheilt hatte.
Naturgemäß dachte Paddy eine Weile nach, um nicht die falsche Antwort zu geben, denn vielleicht wollte ihn der Profos auch nur mal wieder aufs Glatteis führen.
„Na, weil die Sonne dann eben weg ist.“
„Hm“, knurrte Ed, dem diese Antwort nicht so richtig gefiel. „Das natürlich auch, das ist mit ein Grund. Aber hauptsächlich ist es dunkel, weil der Lichtmangel – äh – sozusagen auf einen Haufen Finsternis zurückzuführen ist.“
Au, verdammt, dachte er, jetzt hatte er sich diesen Satz hundertmal eingehämmert und prompt brachte er ihn durcheinander.
„Ja, das stimmt“, sagte Paddy, „da muß ich dir unbedingt recht geben. Ein Haufen Finsternis kann ohne weiteres das Licht verdrängen, da ist was Wahres dran.“
„Man kann es auch so ausdrücken“, meinte Ed und suchte krampfhaft nach dem verlorengegangenen Satz, „daß eine gewisse Dunkelheit einen Haufen Licht in Finsternis verwandelt. Oder umgekehrt“, fügte er etwas lahm hinzu.
Das ging nun schon mal gar nicht in Paddys Hirnkasten. Das erste hatte er ja so gerade noch mit Mühe und Not kapiert, aber jetzt begriff er gar nichts mehr, und so dachte er krampfhaft nach. Aber weil der Profos auf eine Antwort wartete, mußte er sie ja auch geben, nahm sich aber vor, seinen Freund Jack noch mal ausführlich zu befragen.
„Ja, so isses“, sagte er, „genau so und nicht anders. Nicht nur weil einfach die Sonne weg ist, da hängt auch noch der Haufen Dings mit drin, das ist ganz sicher.“
„So, jetzt weißt du es“, sagte Ed und ließ einen total verwirrten Mann zurück, der überhaupt nichts mehr wußte, den Profos aber als hochgebildeten Mann schätzte. Wer mit solchen Worten umgeht, der muß ja was auf dem Kasten haben, dachte er.
Der Wind blies immer noch stetig, und zum ersten Male begann sich die „Isabella“ vor dem Herrn der See sanft und fröhlich zu verneigen, als wollte sie um seine Gunst bitten. Und in gewisser Weise war das ja auch so. Die Galionsfigur in der Gestalt der „Isabella von Kastilien“ verneigte sich und näßte ihr Haar. Gleich darauf tauchte sie tief ihren herrlichen Körper ins Wasser.
Danach waren die Ruhe und das sanfte Dahingleiten vorbei, denn weit voraus war Gebrüll zu hören. Kein Zweifel, daß man jetzt den Schwarzen Segler entdeckt hatte und eine Lumperei vermutete.
Das Gebrüll wurde lauter. Vermutlich hatte man jetzt auch die „Isabella“ aus dem Ausguck bemerkt, die wie ein Schatten über das Wasser glitt.
Hasards Lippen wurden ganz schmal. Seine blauen Augen blickten starr geradeaus. Dann trat er an die achtere Schmuckbalustrade und stützte beide Hände darauf.
„Jeden Fetzen hoch!“ rief er laut. „Alle Mann auf Stationen!“
„Aye, aye, Sir!“ rief der Profos, und dann scheuchte er seine Kanalratten, Affenärsche und Pfeffersäcke wie die Affen nach oben.
Die Arwenacks gaben ihr Bestes, und das waren tausendmal geübte Handgriffe, schnelles und sicheres Zupacken, denn jetzt ging es anscheinend ums Ganze.
Das Schiff nahm Fahrt auf, immer schneller. Sie hofften nur, daß der Durchbruch gelang und die Seesoldaten nicht ihre Breitseiten abfeuerten.
Die erste Bewährungsprobe stand bevor.
6.
Harte Stimmen, Getrappel und das Brüllen von Männern riß den Marquess aus dem Schlaf. Die übliche Bordetikette, auf der er immer so pingelig bestand, wurde geräuschvoll durchbrochen, und eine Ordonnanz riß, ohne anzuklopfen, das Schott seines Salons auf. Dazu brüllte noch ganz unvorschriftsmäßig eine Stimme wie die Trompeten von Jericho: „Der Seewolf ist abgehauen!“
Dem Marquess blieb ob dieser Unbotmäßigkeit nicht einmal die Luft weg, denn ihm fuhr ein so eisiger Schreck durch die Knochen, daß er fast in seine Koje zurückgefallen wäre.
„Auslaufen, hinterher, verfolgen!“ kreischte er voller Wut. „Sucht die Soldaten, die sind ermordet worden. Boote abfieren, Kanonen ausrennen und ohne Befehl feuern. Schnellschnell!“
Erst danach drängte ihm das Blut kraftvoll zum Herzen und ließ die Pumpe wie verrückt jagen.
Mein Gott, dachte er immer wieder, das gab es doch nicht! Dieser Seeräuber konnte sich doch nicht über seine Anordnung hinwegsetzen, das Siegel erbrechen, die Soldaten umbringen, einfach lossegeln. Vielleicht eröffnete er jetzt erbarmungslos das Feuer auf das Geschwader.
Der Marquess war vor heller Aufregung und Panik kaum in der Lage, sich richtig anzukleiden. Ständig verhedderte er sich, und dann ließ der feine Herr ellenlange Flüche vom Stapel, die er beim gemeinen Decksvolk gehört hatte, und tobte und brüllte in seiner Kammer herum.
Wenn