Der Hauptmann, von Hasard recht übel zugerichtet, hatte auch wieder das Bewußtsein erlangt und protestierte.
„Das kostet euch die Köpfe“, nuschelte er, denn da, wo ihn Hasards Faust getroffen hatte, befanden sich die Lippen, und die waren gebläht wie die Nüstern eines Pferdes, deshalb sprach er auch so merkwürdig.
„Hör auf zu knurren“, sagte Ben Brighton hart. „Sei froh, daß es keine Toten gegeben hat.“
„Ich stehe im Rang eines Hauptmannes der königlichen …“
„Du stehst im Laderaum eines Dreimasters“, berichtigte Ben trokken. „Und wenn ich noch ein Wort höre, dann stehst du bis zum Hals im Wasser, du Hauptmann.“
„Der ist nur noch Nebenmann – von den anderen“, meinte Ed.
Dann ging er, um die nächste Ladung gefallener Helden zu holen. Ben blieb solange auf der „Hornet“ zurück und gab acht, daß sich keiner der Kerle im Aufentern versuchte und sie auch kein großes Geschrei veranstalteten.
„Ihr seid morgen wieder frei“, sagte er, „in ein paar Stunden also. Wir lassen eine Wache an Bord zurück, und wenn ihr plärrt, werden euch diese Leute ein paar Pützen eiskaltes Wasser auf die Rüben gießen.“
„Bluff ist das, Bluff“, nuschelte der Hauptmann von unten herauf. „Ihr werdet gerade Wachen zurücklassen, wenn ihr mit dem Schiff abhauen wollt. Das könnt ihr eurer Großmutter erzählen.“
„Ich habe nicht gesagt, daß das unsere Männer sind, du Hauptmann“, wurde er von Ben belehrt. „In Plymouth gibt es genug Schnapphähne, die eine so leichte Arbeit unerkannt übernehmen. Versucht es nur, und ihr werdet euer Wunder erleben.“
Daraufhin wurde der Hauptmann sehr zurückhaltend, denn diese Möglichkeit hatte er nicht in Erwägung gezogen. Dann war es mit dem großen Gebrüll und Spektakel also nichts, das er nach Abzug der Seewölfe zu seiner Befreiung veranstalten wollte.
Er ging von der Voraussetzung aus, daß sie eine Weile brauchen würden, um die Segel zu setzen und auszulaufen. Veranstalteten sie in dieser Zeit aber genügend Geschrei, würde man es bis über den Hafen hören und wäre gewarnt. Vielleicht gelang es dann dem Marquess, die Kerle noch abzufangen.
Bens Bluff hatte Erfolg, denn es muckte niemand mehr auf.
Nach kurzer Zeit erschien der nächste Transport und wurde nach unten verfrachtet. Achtzehn Mann waren jetzt im Laderaum, gleich darauf erschienen die restlichen ebenfalls. Einige konnten noch ganz gut laufen. Als sie ebenfalls unten in der Finsternis herumstanden, wiederholte Ben seine Warnung noch einmal. Es kam keine Antwort mehr.
Ed, Ben, Finnegan, Paddy und Roger legten anstelle der Gräting nur die Luken auf, einzelne dicke Bohlen, während Batuti grinsend zwei Pützen Wasser hievte und an Deck stellte, so daß alles deutlich zu hören war.
Eine dritte Pütz hängte er etwas weiter an den Tampen einer Nagelbank. Der Wind bewegte die Pütz hin und wieder und ließ sie als undefinierbares Geräusch erklingen, es konnte auch ein Mann sein, der dieses Geräusch verursachte, wenn er auftrat.
„Und einen schönen Gruß noch an den durchlauchten Edelmann“, sagte Carberry. „Erklärt ihm, ihr seid bei der Glätte ausgerutscht und in den Raum gefallen. Oder sagt ihm, daß er ein Rübenschwein ist. Gehen wir jetzt?“
„Ja, nichts wie weg“, erwiderte Ben. Dann wandte er sich an zwei imaginäre Gestalten.
„Hier ist euer Geld“, sagte er so laut, daß man es auch im Raum darunter verstehen konnte. „Wenn es hell wird, verschwindet ihr. Und wenn die Kerle brüllen, dann wißt ihr ja, was ihr zu tun habt.“
„Die lassen wir absaufen, Mister“, sagte Paddy Rogers. „Wasser ist ja genug da. Wird uns ein Vergnügen sein.“
„Gut, dann stellt euch da hinten in den Windschatten.“
„Tun wir, Mister.“
Die Seewölfe verließen grinsend die „Hornet“. Als sie wieder auf dem Kai standen, drang aus dem Laderaum kein Ton. Die Kerle hatten Angst, daß sie zu Eiszapfen wurden, sobald man von oben Wasser durch die Ritzen goß.
Den Profos freute dieser Bluff mächtig, und er grinste richtig niederträchtig und hinterhältig, als sie zurückkehrten.
Dort bot sich ihnen jetzt im Licht der Sturmlaterne und beim ersten Grau des beginnenden Tages ein eindrucksvolles Bild.
Der ehemalige Schmied von Arwenack stand da, einen mächtigen Hammer in den Fäusten, die mit aller Kraft ausholten. Sie schlugen in einem rasenden Wirbel wie die Fäuste eines Zyklopen, der alles kurz und klein hämmerte, als befände er sich in wilder Raserei. Die Geräusche von Eisen auf Eisen waren dabei nicht zu vermeiden und weithin zu hören.
Die schweren Glieder der Kette wurden platt und platter. Dann drehte Big Old Shane den Hammer mit seiner scharfkantigen Seite um und setzte einen weiteren harten Schlag drauf. Ein zweiter folgte, dann zersprang die schwere Kette. Wenn ein paar Männer sie nicht von der einen Seite gehalten hätten, wäre sie mit voller Wucht an die Bordwand der „Isabella“ geknallt.
Den anderen Teil hielten ebenfalls kräftige Fäuste fest. Ein paar gingen an Bord und holten das Ungetüm ein. Der Amboß wurde zurückgebracht, und dazwischen sägten Tucker und Smoky verbissen und kraftvoll das Stück Poller mit der Pier heraus.
„Gut festhalten“, sagte Ferris, als das Holz nachgab, „sonst geht ihr mitsamt der Kette in den Bach.“
„Den Scheiß bezahlen wir später mit links“, versicherte der Profos.
„Das kostet nicht mal soviel wie eine Sauferei bei Plymson. Laßt mich jetzt mal ran. Wollen mal das Kielschwein rausrupfen!“
Etliche Männer hielten die Kette. Während sie in ihren Fäusten hing, riskierte jeder einen Blick auf den Hafen.
„Thorfin ist gleich draußen“, sagte Hasard, der den Schwarzen Segler „Eiliger Drache über den Wassern“ wie ein unheimliches Totenschiff aus dem Hafen geistern sah. Keine einzige Lampe brannte an Bord, alles spielte sich geisterhaft still und dunkel ab.
In einigen Häusern auf der anderen Seite wurden die ersten Lichter entzündet. Die Knechte und Mägde standen auf und gingen an ihre Arbeit, die im Dunkel begann und im Dunkel endete.
Carberry stürzte sich zusammen mit Ferris auf den Poller, an dem die Bohlenreste der Pier hingen.
„Hiev auf!“ rief er. „Hiev auf!“
Als Hasard sich noch mit aller Kraft in die Kette legte, gab das Holz einen kreischenden Ton von sich. Dann krachte es, als würde ein Baum stürzen und zerschmettert, und dann war der kranke Zahn gezogen.
In aller Eile wurde die Kette an Deck geschleppt. Auf dem Kai blieb nur ein Loch zurück, ein recht großes und zerfetztes, das so aussah, als hätte hier ein Riese mit wütenden Zähnen ein Stück aus einem alten Kuchen gebissen.
„Seine Lordschaft wird sich wundern“, sagte Hasard trocken. „Sehr wundern sogar“, fügte er leise hinzu.
Dann ging er an Bord und nahm seinen Platz auf dem Achterdeck ein, auf dem Achterdeck eines neuen Schiffes, das bisher noch kein Salzwasser geleckt hatte. Es war ein herrliches Gefühl, und er war auf die Eigenschaften gespannt, die jedes Schiff hatte.
„Jetzt sind wir frei“, sagte Ben, „frei wie der Albatros auf dem Meer, und wir haben ein prächtiges Schiff unter den Beinen. Und der Marquess kann uns gestohlen bleiben.“
Ja, sie waren wieder frei, Männer, die ihre eigene Entscheidung trafen und die kein hochfahrender und eitler Geck mehr bevormundete.
Diese Freiheit würde allerdings noch ein Nachspiel haben, aber das war allen egal, daran dachte jetzt niemand. Verzweifelte Situationen erforderten eben verzweifelte Maßnahmen.
Auf der Kuhl rannte der Profos vor lauter Eifer