Ohne komme ich bestimmt an, dachte er grimmig, und zwar schwimmend. Aber wenn der Kahn erst auf dem Grund der Lagune liegt, nutzt er mir nichts mehr.
Er konzentrierte sich voll auf seine Arbeit. Das Boot glitt vorwärts, das Wrack blieb hinter ihm zurück. Das Pullen verursachte wieder Schmerzen in Hasards Brustkorb, aber sie waren nicht mehr so intensiv wie zuvor, als er die Bandage noch nicht gehabt hatte. Er konnte sie ertragen.
Der Schlaf hatte ihn gestärkt, er pullte kräftig und ohne auszusetzen. Zunächst bewegte er sich zügig voran, dann aber begann das Boot schwerer zu werden. Eine unsichtbare Macht schien an seinem Heck zu zerren, das Wasser stieg über Hasards Knöchel und gab der Jolle eine leichte Schräglage.
Die Fahrt wurde immer langsamer, aber der Seewolf hatte die Landzunge erreicht, die er umrunden mußte, um in die Lagune zu gelangen.
Er biß die Zähne zusammen, preßte die Lippen fest aufeinander und ruckste wie ein Besessener an den Riemen. Die Jolle schien jetzt eine Tonne zu wiegen, gierig nahm sie das Seewasser in sich auf. Ihr Heck senkte sich immer tiefer, und bald würde die Bordwand unterschneiden.
Doch die Landzunge glitt vorbei, und Hasard war nun in der Lagune. Etwas rascher, als er angenommen hatte, schrumpfte die Distanz, die ihn noch vom Ufer trennte, zusammen. Die Brandung ergriff das Boot und hob es hoch, und die Geschwindigkeit nahm wieder etwas zu – ohne Hasards Zutun. Es rauschte und gischtete, und mit einem Ruck senkte sich die halb gekenterte, lecke Jolle auf den Strand.
Knapp aufgelaufen, dachte er und richtete sich auf. Er holte die Riemen binnenbords und verstaute sie, durchsuchte noch einmal alles und fand in der achteren Plicht eine Pütz. Sie war heil.
Er stieg aus und schöpfte Seewasser, dann entleerte er es ins Innere der Jolle. Das Wasser stieg bis zum Dollbord an und lief fast darüber hinweg. Hasard ließ die Pütz wieder sinken und betrachtete sein Werk. Er war zufrieden. Er brauchte jetzt nur noch einige Zeit abzuwarten, und die Leckstellen schlossen sich von selbst. Dies war die übliche Methode, um das Holz aufquellen zu lassen und alle Fugen abzudichten.
Noch einmal unterzog er das Boot einer eingehenden Kontrolle und stellte fest, daß es aus guter spanischer Edelkastanie gebaut war. Ein hartes, widerstandsfähiges Holz, das viel Harz erzeugte und sich somit praktisch selbst gegen Fäulnis und Verfall schützte. Edelkastanie war so gut wie englische Eiche, besser als Zypresse, Pinie und Pappel. Ein Boot wie dieses konnte sehr alt werden, ohne nennenswerten Schaden zu nehmen.
In der Tat war es bis auf die Lecks, die Hasard gefunden hatte, völlig unbeschädigt. Er rechnete damit, den ganzen Tag über warten zu müssen, danach aber würde die Jolle seetüchtig sein. Der Vorgang des Aufquellens mußte kontrolliert werden, und er würde auch ständig mit der Pütz Wasser nachschöpfen müssen, bis keins mehr durch die Lecks austrat und auf den Strand lief.
Dies würde in den nächsten Stunden eine seiner Tätigkeiten sein. Er war stolz auf seinen Fund, und er war von Zuversicht erfüllt. Aber er konnte noch mehr tun: Das Wrack mußte gründlich durchsucht werden, vielleicht gab es noch mehr zu holen.
Er sah jetzt ein, daß er doch einen Fehler begangen hatte: er hätte das Floß mitnehmen sollen. Aber es hatte an der Zeit gefehlt. Er war jetzt darauf angewiesen, zu schwimmen, und er konnte nur hoffen, daß er keinen Haien begegnete. Mist, dachte er, das ist mangelnde Übersicht. Gut, daß dich keiner der Kameraden beobachten kann.
Carberry hätte, wenn er ihn jetzt gesehen hätte, wahrscheinlich wieder mal kein Blatt vor den Mund genommen und einen seiner groben Kommentare von sich gegeben. Auch Shane hätte wohl einen Witz gerissen. Ben nicht, der hüllte sich in vielsagendes Schweigen. Aber Ferris konnte seinen vorlauten Mund ebenfalls nicht halten.
Ihr Halunken, dachte Hasard, hoffentlich seid ihr noch mal mit heiler Haut davongekommen. Er ertappte sich dabei, daß er wieder an sie dachte. Ständig sann er darüber nach, was aus ihnen und der „Lady“, der „Isabella“, geworden war. Er sehnte sich nichts mehr herbei, als wieder unter ihnen zu sein.
Aber das würde noch eine Weile dauern. Heute indes, am 26. Juli, hatten die Spanier mit einiger Sicherheit die Schlangen-Insel erreicht und begannen mit der Belagerung.
Wenn doch wenigstens eine Brieftaube käme und mir eine Nachricht brächte, dachte er. Aber das war reine Utopie. Jussufs gefiederte Lieblinge waren auf Santo Domingo nicht „programmiert“, und außerdem ahnte ja keiner, daß er hier festsaß und sich mit den primitivsten Mitteln am Leben erhielt.
5.
In der Vorderbucht der Jolle war ein Loch, und darunter, auf dem Kiel, ein Mastschuh. Dies war ein untrügliches Zeichen dafür, daß das Boot über Besegelung verfügen mußte. Es gab keine andere Möglichkeit: Der Seewolf mußte zum Wrack zurückkehren und dort nach einem Mast und dem erforderlichen Segeltuch suchen.
Er entkleidete sich bis auf eine kurze Hose. Der Verband würde nun naß werden, aber auch das ließ sich nicht ändern. Am bedenklichsten stimmte ihn die Haifischgefahr. Bevor er ins Wasser stieg, suchte er mit seinem Blick wieder alles ab. In der Lagune waren keine Dreiecksflossen und auch keine verdächtigen Bewegungen zu vermerken, aber er wußte noch nicht, wie es draußen, auf der offenen See, aussah.
Bei seinem ersten Abstecher zum Wrack hatte er allerdings keinen einzigen grauen Gesellen bemerkt. Vielleicht hatte er auch weiterhin Glück – fast verließ er sich darauf.
Das Wasser war angenehm warm und lud zu einem Bad ein. Na eben, dachte er grinsend, ich habe ja sonst auch nichts vor. Er watete durch die Brandung und begann zu schwimmen, als die Fluten ihm bis zur Brust reichten.
Während er sich durch gleichmäßige, weit ausholende Bewegungen voranbrachte, hielt er immer wieder Ausschau nach Haien. Leicht konnte es jetzt passieren, daß er überraschend angefallen wurde. Er hatte das Messer bei sich, aber das nutzte ihm herzlich wenig, wenn er es mit mehreren Biestern zu tun hatte. Nur gegen einen einzelnen Hai vermochte er zu bestehen, und auch ein solches Duell würde ihm das äußerste an Zähigkeit und Schnelligkeit abverlangen.
Er war auf alles vorbereitet. Im Kraulstil verließ er die Lagune und stieß zu dem Wrack auf dem Riff vor. Aus der jetzigen Perspektive wirkte es größer als vorher, und seinen Decks schien etwas Unheimliches, Rätselhaftes anzuhaften. Die Aura des Schreckens stieg aus den Schotts und Luken auf, und etwas schien davor zu warnen, daß sich ein Unbefugter die Innenräume ansah.
Aber Hasard war weder ängstlich noch abergläubisch. Es war nicht das erste Wrack, das er durchsuchte, und er war natürlich darauf gefaßt, auf ein paar grausige Entdeckungen zu stoßen. Doch Skelette und Wasserleichen konnten ihn nicht schockieren. Er hatte schon genug davon gesehen, seit er die Meere befuhr. Mit der Zeit härtete man ab und wurde unempfänglich für eine bestimmte Art von Eindrücken. Im übrigen gehörte er nicht wie Old O’Flynn zu den Männern, die Toten Übersinnliches oder magische Fähigkeiten andichteten.
Er langte an seinem Ziel an und kletterte an Bord. Noch einmal blickte er aufs Wasser zurück – keine Haie. Sie sind alle zur Schlangen-Insel geschwommen, dachte er grimmig, vielleicht findet dort das große Festessen statt.
Er kroch über die abschüssige Kuhl der Galeone und mußte sich überall festhalten, um nicht abzurutschen – an der Nagelbank, am Großmast, an der Lukengräting und am Schanzkleid. Eine längliche Kiste am Backbordschanzkleid fiel ihm auf. Er arbeitete sich darauf zu und öffnete sie.
Hier fand er, was er suchte: einen Mast, Schoten mit Blöcken, ein Segel mit einer Spreizgaffel, ein Ruderblatt, eine Pinne und weitere Riemen. Er grinste und dachte: Fein. Alles, was das Herz begehrt, ist vorhanden. Du brauchst nur zuzugreifen.
Am Mast noch angeschlagen waren Vorstag sowie Backbord- und Steuerbordwant. Er konnte mit seinem neuen Fund wirklich zufrieden sein. Mit Sorgfalt