Gomez Guevara – so hieß der verhinderte Meuchelmörder. Sein Messer hatte Cubera nur an der Schulter verletzt, und es war ihm letztlich zum Verhängnis geworden, denn der Erste Offizier der „San José“ hatte es nach der Tat auf den Planken des Achterdecks gefunden. Das Beweisstück hatte den Kerl überführt und zum Geständnis gezwungen. Er war gehängt, wieder von der Rah geschnitten und ohne Leichenrede in die See geworfen worden, wie es jedem Mörder oder versuchten Mörder gebührte.
Don Antonio erschauerte unwillkürlich, als er daran dachte. Immer wieder wurde er daran erinnert. Er konnte nicht mehr schlafen, und er wußte nicht, ob er sitzen oder stehen sollte. Er glaubte, seine eigene Angst zu riechen. Seine dicken, beringten Finger tasteten nach dem fetten Hals, und für einen winzigen Augenblick hatte er das Gefühl, auch um seine Kehle schnüre sich bereits die tödliche Schlinge zusammen.
Gewiß, seine Mittäterschaft hatte sich nicht nachweisen lassen. Dennoch: Guevara hatte ihn schwer belastet. Guevara war sein Kammerdiener gewesen, und es lag auf der Hand, daß er, Don Antonio, den Mordauftrag erteilt hatte.
Natürlich stritt er alles ab, und so stand Aussage gegen Aussage. Das Bordgericht konnte ihm also nichts anhängen. Aber Cubera würde ihn vor ein Gericht des Königs stellen, und der Prozeß würde keine Farce sein wie viele Verhandlungen, die in der Residenz von Havanna stattgefunden hatten, wenn es Don Antonio darum gegangen war, sich lästiger, aufmüpfiger oder unbequemer Zeitgenossen zu entledigen. Cubera war vorgewarnt und wußte, daß sich der dicke Mann wie ein Aal wand. Ein neutrales, unbestechliches Gericht mußte zusammentreten – und er würde dafür sorgen, daß es einen gerechten und unantastbaren Schuldspruch gab.
Don Antonio war davon überzeugt, daß ihm das gelang. Noch einmal hatte er das Verhängnis abwenden können, aber jeder Mann an Bord war davon überzeugt, daß er, der Gouverneur, dem Kommandanten nach dem Leben getrachtet hatte. Gründe für ein solches Handeln gab es genug, und auch die Tatsache, daß Guevara Cubera angegriffen und außenbords geworfen hatte, sprach für sich.
Was also tun? Fliehen? Don Antonio schauderte allein bei dem Gedanken daran zusammen. Schwimmen konnte er nicht. Ein Boot konnte er nicht entwenden, außerdem wußte er nicht, wie er es fortbewegen sollte, wenn es erst einmal im Wasser lag. Segel, Riemen – all das waren ihm widerwärtige Begriffe, er wollte mit der Seefahrt nichts zu tun haben. Und wie sollte er im übrigen auch den Wachtposten überwältigen?
Er saß in der Falle, es gab keinen Fluchtweg. Diese Erkenntnis machte ihn regelrecht krank, und auch der süße Portwein half ihm nicht über seinen Kummer weg. Die kandierten Früchte schmeckten ihm auch nicht mehr, aber er stopfte sie sich trotzdem ununterbrochen in den Mund. Irgend etwas mußte er tun, sonst wurde er noch wahnsinnig.
Dabei hatte alles so schön begonnen. Don Antonio war als sicherer Sieger an Bord des Flaggschiffes gegangen und hatte alle Privilegien für sich beansprucht, von der Kapitänskammer bis zum Waschzuber, der eigens für ihn hatte beschafft werden müssen. Nicht den geringsten Zweifel hatte er daran gehegt, daß alles nach seiner Pfeife tanzte, daß das Gefecht gegen die Engländer mit einem glorreichen Sieg für die spanische. Krone endete und daß er, Don Antonio, sämtliche Schätze der englischen Hundesöhne geflissentlich vereinnahmen würde. Das waren seine Pläne – und nur deshalb hatte er sich entschlossen, mitzusegeln.
Aber das Leben war voller Ecken und Kanten, und er bereute zutiefst seinen Entschluß, die Residenz verlassen zu haben. Jetzt konnte er nicht mehr zurück, und er hatte alle gegen sich.
Ausgerechnet auf einen Mann wie diesen Cubera hatte er stoßen müssen, der hart wie Eisen und unbeugsam war. Jeder Versuch Don Antonios, den Befehl über den Verband an sich zu reißen, war auf den erbitterten Widerstand dieses Kommandanten gestoßen, der sich nur seiner Obrigkeit, der Admiralität, verpflichtet fühlte und sonst niemand anderem Rechenschaft ablegte.
An einem gewissen Punkt des Kriegsmarsches auf die Schlangen-Insel angelangt, hatte Don Antonio den Verdacht zu hegen begonnen, die Black Queen habe ihn in eine Falle gelockt oder wolle ihm einen üblen Streich spielen. Denn was hatten die nächtlichen Angriffe auf den Verband zu bedeuten, bei dem nun schon mehrere Schiffe Schaden erlitten hatten?
Der Verdacht hatte Angst hervorgerufen, und Don Antonio hatte Don Garcia Cubera gedrängt, umzukehren und nach Havanna zurückzusegeln. Doch auch in diesem Punkt blieb der Kommandant stur: Er behielt seinen Kurs bei und war mehr denn je davon überzeugt und darauf bedacht, den Angriff auf die englischen Piraten durchzuführen.
Es war ein altes Prinzip von Don Antonio de Quintanilla, daß ein Mann so rasch wie möglich verschwinden mußte, wenn er unbequem zu werden begann. Viele Männer hatten im Laufe der Jahre, die er seinen Posten als Gouverneur versah, die Residenz von Havanna betreten und nie wieder verlassen, höchstens mit den Füßen zuerst. Im Kerker hatte er so manchen Gegner weichgeklopft, und unter den Qualen des peinlichen Verhörs waren auch die härtesten Kerle lammfromm geworden. Hatte ein Mann dann seine Geheimnisse preisgegeben – welcher Art sie auch immer sein mochten –, konnte er getrost den Weg ins Jenseits nehmen. Starb er nicht an den Folgen der Folter, half Don Antonio gern mit einer Prise Gift nach.
Aber nicht nur im Kerker, auch in den prunkvollen Sälen und Gemächern seines Allerheiligsten hatten schon Männer ihr Leben gelassen. Zuletzt Don Ruiz de Retortilla, der Stadtkommandant von Havanna.
Don Antonio verzog das Gesicht, wenn er an ihn zurückdachte. Dieser Narr, dachte er. Er hatte versucht, seinem Gouverneur zu drohen und ihn zu erpressen. Er hatte sich dadurch sein eigenes Grab geschaufelt.
Don Juan de Alcazar hatte einen ähnlichen Weg gehen sollen. Er war, so hatte Don Antonio es dargestellt, der Mörder der Señora Samanta de Azorin. Daß in Wirklichkeit ein gedungener Mörder des Don Antonio und Don Ruiz die Señora auf dem Gewissen hatten, wußte niemand.
Aber Don Juan war geflohen, und seitdem wußte kein Mensch mehr, wo er sich versteckt hielt. Don Antonio gab sich Mühe, nicht mehr an ihn zu denken, aber gerade durch Cubera wurde er immer wieder an diesen hartnäckigen und unbestechlichen Mann erinnert, der seine Prinzipien vor alles andere setzte. Auch Cubera war so ein Mensch, der Kühnheit, Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit und den Kampf fürs Vaterland an die Stelle persönlicher Interessen stellte.
Zum Teufel, der ist imstande und läßt sich für die Krone töten, dachte Don Antonio. Unbegreiflich! In seinen Augen waren solche Männer Narren oder Idioten, denn sie brachten es im Leben zu nichts, höchstens zu einem Orden, den sie mit ins Grab nehmen konnten.
Doch man mußte das Leben genießen. Genuß war nur durch Reichtum gesichert, und reich wurde man weder durch Prinzipien noch durch Heldenmut. Spanien hatte Gold und Silber im Überfluß – warum also nicht wenigstens einen Teil davon für den Gouverneurspalast von Havanna beiseite schaffen?
Don Antonio hatte es getan. Er lebte im Luxus und verfuhr nach einem einfachen Grundsatz: Was dein ist, ist auch mein, und was mein ist, bleibt mein.
Reichtum und Besitz – und all das sollte durch einen fanatischen Capitán namens Cubera aufs Spiel gesetzt werden? Nein, auf gar keinen Fall durfte er sich geschlagen geben. Er mußte reagieren und sich zur Wehr setzen. Wenn er Cubera nicht beseitigen konnte, mußte es einen anderen Weg geben, sich zu befreien und für den nötigen Respekt seitens des Achterdecks zu sorgen. Er, Don Antonio, beging einen gewaltigen Fehler, wenn er sich jetzt von seiner Niedergeschlagenheit und seinem Selbstmitleid übermannen ließ.
Was sollte er unternehmen? Er verlieh sich einen innerlichen Ruck und zwang sich dazu, angestrengt nachzugrübeln. Wieder verschwanden drei, vier kandierte Früchte in seinem Mund, und er spülte kräftig mit Portwein nach.
Plötzlich fiel ihm etwas ein. Hatte er nicht eine Waffe in seinem Gepäck? Hatte er kurz vor dem Verlassen der Residenz nicht ausdrücklich befohlen, auch eine Pistole in seinen Sachen zu verstauen, damit er, der Hochwohlgeborene und Erlauchte, im Falle höchster Gefahr nicht ganz wehrlos dastand?
Er wollte bereits zu dem Glöckchen greifen, mit dem er seine Dienerschaft herbeizuklingeln pflegte, zog die Hand aber rechtzeitig genug wieder zurück. Guevara, sein Kammerdiener, war ja nicht mehr am Leben. Benachrichtigte er die übrigen Lakaien, schöpfte die Wache selbstverständlich