„Hasard!“ schrie der Alte. „Warum schaffst du mir diese Bande nicht vom Hals?“
„Weil es sich um eine Flotte handelt!“
„Aber ich laß’ mich nicht anblöden!“
Der Seewolf wandte sich um und blickte zu den Schiffen. „Männer! Wir haben hier keine Zeit zu verlieren! Wer Donegal jetzt noch einmal unterbricht, der segelt zurück zur Schlangen-Insel, verstanden?“
Sie murmelten ihr „Aye, aye“ und steckten zurück, denn sie wußten, daß er es ernst meinte. Im übrigen war es ohnehin nicht ganz fair, Old O’Flynn ständig anzustänkern. Wie er Don Juan schilderte, war nämlich keineswegs eine Übertreibung. Er schätzte den Spanier völlig richtig ein, und er war stolz darauf, daß es Arne von Manteuffel gelungen war, einen solchen Kämpfer für den Bund der Korsaren gewonnen zu haben.
„Also, wo war ich stehengeblieben?“ fuhr er in seinem Bericht fort. „Richtig: Dieser Don Juan, das ist ein Kerl wie Samt und Seide, vom rechten Schrot und Korn! Den können wir brauchen! Und ich versichere euch, er ist voll auf die Seite des Bundes umgeschwenkt! Er hat jetzt keine Zweifel mehr! Er kämpft mit uns gegen den Verband – und das ist natürlich letztlich auf die Intrige des Gouverneurs zurückzuführen! Diese fette Qualle, dieser Don Antonio, hatte ihm einen Frauenmord anhängen wollen!“
„Und das ist ihm wohl auch gelungen, oder?“ rief Hasard.
„Ja! Don Juan ist jetzt ein Geächteter! So hat er den Weg zu Arne gefunden, und der hat ihm auch geholfen, die Crew der beschlagnahmten Schebecke aus der Gewalt der Schergen des Gouverneurs zu befreien und dann die Schebecke selbst im Hafen von Havanna zurückzuerobern!“
„Hochinteressant!“ feuerte Hasard den Alten an. „Weiter!“
„Nun, Arne hat Don Juan bei unserer Begegnung ja endgültig reinen Wein über alles eingeschenkt, was die Verwandtschaft mit dir betrifft und so. Auch die Zwillinge hat er ihm vorgestellt. Don Juan war ganz schön von den Socken.“
„Was ist weiter geschehen?“ wollte der Seewolf wissen.
„Wir haben uns wieder verabschiedet und sind noch in der Nacht ostwärts gesegelt, um euch den Anmarsch des Kampfverbandes zu melden“, erwiderte der Alte. „Hinter uns hat es ganz schön gekracht! Ein klares Zeichen dafür, daß Don Juan und Arne bereits voll eingestiegen sind!“ Plötzlich lachte er und rieb sich die Hände. „Fein, die Dons haben also die Schebecke am Hintern und werden sie nicht mehr los! Ich schätze, Don Juan und Arne spielen fleißig das bewährte Ruderanlagenzerschießen! Das wäre nämlich genau das, was ich an ihrer Stelle tun würde! Und Arne ist ja auch nicht auf den Kopf gefallen! Oder? Leute, es geht rund, und auch wir gehen jetzt in die vollen, nicht wahr?“
„Wie darf ich das auffassen?“ fragte Hasard.
„Daß ich mit euch segle, ist doch klar!“
„Irrtum! Du kehrst zur Schlangen-Insel zurück!“
„Nein!“ brüllte der Alte, und seine Schläfenadern schwollen bereits wieder bedrohlich an. „Das kommt gar nicht in Frage! Was soll ich da? Die ‚Wappen‘ ist doch dort!“
Seine Einwände nutzten ihm nichts, bei Hasard biß er auf Granit. „Du segelst zur Schlangen-Insel!“ rief Hasard noch einmal. „Das ist ein Befehl! Du wirst nach Westen hin Aufklärung fahren – für den Fall, daß es einzelnen Schiffen des Gegners gelingen sollte, nach Osten durchzubrechen und Kurs auf die Schlangen-Insel zu nehmen!“
„Das schaffen die Hunde nie!“ brüllte der Alte.
„Das hab’ ich auch gesagt!“ pflichtete der Wikinger ihm mit Stentorstimme bei.
„Ruhe!“ schrie Hasard. „Wir müssen mit jedem Eventualfall rechnen, das habe ich schon mal gesagt! Wenn der Feind durchbricht, gilt es, die Schlangen-Insel so schnell wie möglich zu alarmieren! Keiner kann diesen Dienst besser versehen als du, Donegal, das mußt du einsehen! Und wenn du es nicht einsiehst, ist es mir auch egal!“
„Aye, Sir!“ rief der Alte, aber man sah ihm an, wie schwer es ihm fiel.
„Ich sage es euch noch mal klipp und klar!“ rief der Seewolf seinen Männern zu. „Bei dem Verhältnis von sechs Schiffen des Bundes gegen zehn spanische Kriegsschiffe ist durchaus damit zu rechnen, daß nicht alles so verläuft, wie wir uns das erhoffen! Wie ich die Dinge sehe, steht uns der härteste Kampf bevor, den wir jemals ausgefochten haben!“
„Wir haben schon ganz andere Schlachten geschlagen!“ rief Carberry aufgebracht. „Hast du das vergessen?“
„Nein! Aber es stand seinerzeit weniger auf dem Spiel!“
„Wir hauen die Dons in Stücke!“ brüllte Smoky. „Hölle, es wäre doch gelacht, wenn wir ihnen mit Höllenflaschen und Pulverpfeilen nicht Feuer unter dem Hintern machen würden!“
„Allein darauf dürfen wir uns nicht verlassen!“ schrie Hasard. „Wir müssen voraussetzen, daß sie gut armiert sind und jede Menge Munition an Bord haben! Wir wünschen uns, daß Don Juan und Arne so viele Galeonen und Karavellen wie möglich außer Gefecht setzen, aber wir wissen nicht, ob sie es schaffen! Wir dürfen auf keinen Fall etwas voraussetzen, von dem wir keine Bestätigung haben! Und noch etwas! Der Gegner könnte leicht Verstärkung aus einem der Häfen an der Nordküste von Kuba erhalten! Habt ihr an diese Möglichkeit schon gedacht? Stellt euch vor, der Kriegsverband verdoppelt sich! Was dann?“
„Hör bloß auf mit der Unkerei!“ brüllte Old O’Flynn.
„Das tust du doch sonst immer!“ rief Hasard ihm zu. „Aber diesmal gilt es, besonders vorsichtig zu sein! Nur das will ich euch klarmachen, sonst nichts! Donegal, ist dir etwas über die Black Queen bekannt?“
„Ja! Daß sie die größte Hurentochter und das ausgekochteste Höllenweib aller Zeiten ist!“
„Wo steckt sie zur Zeit?“
„Ich habe keine Ahnung“, erwiderte der Alte. „Aber ich drücke uns die Daumen, daß wir es rauskriegen! Und dann gnade Gott oder sonstwer diesem Satansbraten!“
Er wußte nicht, daß die Schebecke Don Juans den Zweimaster der Black Queen am Abend des 20. Juli zusammengeschossen und zum Sinken gebracht hatte – und auch nicht, daß die Schwarze mit ihrer Meute von Kerlen zuvor an dem Kampfverband der Spanier Fühlung gehalten hatte. Über diese Ereignisse war ihm nicht einmal in Ansätzen etwas bekannt – erst später sollte der Bund von dem Zweimaster und seinem Ende erfahren.
Der Seewolf hatte vorerst genug gehört, Old O’Flynn hatte nichts mehr zu berichten. Ernst verabschiedeten sich die Männer voneinander, und Hasard winkte noch zu seinen Söhnen hinüber. Dann ging die „Empress of Sea II.“ gemäß Hasards Order auf Ostkurs. Der Verband segelte weiter in Richtung Westen, einem Schwarm stolzer Schwäne gleich, deren Konturen im heraufziehenden Dämmerlicht verblaßten wie die Pinselstriche auf einem unfertigen Gemälde.
3.
Zur selben Zeit hockte ein gedemütigter, niedergeschlagener, ratloser Gouverneur Don Antonio de Quintanilla auf dem Rand der Koje in der Gästekammer des Achterkastells an Bord der „San José“. Das Flaggschiff des Kriegsverbandes war jetzt sein Gefängnis. Man hatte ihn unter Kammerarrest gestellt, und vor dem Schott stand ein bewaffneter Posten. Er war von seinen eigenen Landsleuten verdammt worden, war ihnen ausgeliefert und würde noch die Konsequenzen, einen Prozeß in Havanna oder anderswo, über sich ergehen lassen müssen.
Das Bordgericht der „San José“ hatte ihn unter Arrest gestellt, und Don Garcia Cubera, der Kapitän und Verbandsführer, hatte den Befehl sofort ausführen lassen. Nur zu gern, wie Don Antonio grimmig registrierte, und auch berechtigterweise mit Genugtuung, wenn man sachlich sein wollte,