„Hier?“
„Wenn es die Möglichkeit gibt, einen Pfarrer zu holen, warum nicht?“ sagte Burl Ives.
Dieser Punkt war schnell geklärt. Domingo Calafuria sagte, man brauche nur zu dem zwanzig Meilen weiter westlich gelegenen Fischerort zu segeln. Dort gebe es einen Pfarrer.
„Wir können euch mitnehmen“, schlug der Seewolf vor.
„Wohin?“ fragte Ives.
„Bis zum spanischen Festland“, erwiderte Hasard.
Ives schüttelte den Kopf. „Das hat wenig Sinn. Spanien und England liegen nach wie vor in Feindschaft miteinander, und man würde uns dort vielleicht sogar als Spione festnehmen. Nein, das halte ich für keine gute Lösung. Trotzdem, vielen Dank.“
„Ja“, sagte Farah. „Auch ich danke Ihnen von Herzen, Mister Killigrew. Ihnen und Ihren Männern.“
„Wie gesagt, wir haben nur unsere Pflicht getan.“
„Mehr als das“, sagte Ives.
Ben räusperte sich.
„Wir könnten Ihnen vorschlagen, mit uns zurück nach England zu segeln“, sagte er. „Aber wir sind selbst noch nicht sicher, was wir tun werden. Vielleicht überqueren wir auch den Atlantik und suchen die Karibik auf.“
„Darüber müssen wir noch mit der Crew abstimmen“, fügte der Seewolf hinzu.
„Ich möchte auch nicht zurück nach England“, sagte Farah.
„Lieber nach Italien?“ fragte Burl Ives.
„Ja.“
„Dann weiß ich, was wir tun“, sagte der Kapitän. „Wir bleiben noch eine Weile hier im Dorf. Hier sind wir unter Freunden. Irgendwann kommt ein Schiff, das uns nach Italien mitnimmt. Wir haben ja Zeit genug.“
„Wir wünschen euch für die Zukunft alles Gute“, sagte der Seewolf.
Später setzte er zur Schebecke über und inspizierte das Schiff. Die Arbeiten waren abgeschlossen. Ferris Tucker meldete, daß der Dreimaster wieder voll seetüchtig und manövrierfähig sei. Der Weiterreise stand nichts mehr im Wege.
Am Nachmittag verabschiedeten sich die Mannen von den Fischern und den beiden Engländern.
„Wir werden euch nie vergessen“, sagte Domingo Calafuria, der vor der versammelten Menge eine Rede hielt. „Euer Andenken wird immer in unseren Herzen sein.“
Don Juan de Alcazar sprach auch noch einige Sätze in seiner Muttersprache, die sehr patriotisch und eindrucksvoll klangen. Asuncion Calafuria, ihre Tochter und die anderen Frauen vergossen ziemlich viele Tränen.
Dann war es soweit. Die Arwenacks schüttelten ihren neugewonnenen Freunden die Hände, gingen an Bord, lichteten den. Anker und setzten die Segel. Bei strahlendem Sonnenschein glitt die Schebecke aus der Bucht. Am Ufer standen die Spanier, Burl Ives und das Mädchen. Sie winkten Hasard und seinen Männern nach, bis sie die Schebecke an der Kimm nicht mehr erkennen konnten.
Die Arwenacks segelten nach Westen. Kurs auf Gibraltar lag an. Sie wollten jetzt so schnell wie möglich in den Atlantik – wenn es nicht weitere Zwischenfälle gab, die sie erneut aufhielten.
Der Seewolf hoffte inständig, daß die Weiterfahrt ruhig verlaufen würde. Aber eine Garantie gab es nicht. Die See und die Menschen, die sie befuhren, waren unberechenbar …
ENDE
1.
„Ein Schiff ohne Anker ist wie ein Teufel ohne Hörner“, sagte der Profos Edwin Carberry an diesem Morgen im Februar 1598, als die südliche Küste von Mallorca achteraus im morgendlichen Dunst versank.
Die Schebecke segelte, mit Steuerbordhalsen auf Backbordbug liegend, bei halbem Wind auf südwestlichem Kurs.
Der Seewolf lachte über diesen Vergleich.
„In etwa hast du recht, Ed. Ohne Anker sind wir schlecht dran, und der Ersatzanker ist nur eine Notlösung. Also müssen wir uns zwei neue Anker besorgen.“
Der Profos sah seinen Kapitän an und grinste unmerklich. Ansonsten war der „Sir“ immer glattrasiert, aber seit knapp vier Tagen traf das nicht mehr zu. Er hatte Stoppeln im Gesicht, kräftige schwarze Bartstoppeln, die zu beiden Seiten des Kinns mit feinen Silberfäden durchwirkt waren. Diese Silberfäden und die leicht angegrauten Schläfen ließen ihn noch kühner und verwegener erscheinen. Sie rundeten sein Bild sozusagen vollendet ab.
„Ist was?“ fragte Hasard, dem das Grinsen nicht entgangen war, auch wenn der Profos es zu verbergen suchte. „Du grinst über meinen Bartwuchs, oder täusche ich mich?“
„Ich doch nicht, Sir“, sagte der Profos, und er hatte wieder seinen unschuldigen Blick drauf. „Na ja“, gab er gleich darauf zu, „es ist einfach ungewohnt. Aber der Bart steht dir verdammt gut, Sir. Ich überlege gerade, ob ich mir nicht ebenfalls einen Bart wachsen lassen soll. Aber bei mir wird das nur wieder ein wildes Gestrüpp, und dann kennt mich keiner mehr, und jeder glaubt, ich wollte mich hinter dem Gebüsch verstecken. Willst du in England der königlichen Lissy mit Bart unter die erlauchten Augen treten?“
„Nicht unbedingt, es ist für mich auch eher so eine Art Versteckspiel. Wir haben an Steuerbord die spanische Küste und müssen wohl oder übel an ihr entlangsegeln, bis wir Gibraltar hinter uns haben und den Atlantik erreichen.“
„Ah, jetzt begreife ich“, sagte der Profos nachdenklich. „Fast jeder Don kennt dich hier und ist wild auf die Kopfprämie, die Seine Allerkatholischste Majestät ausgesetzt hat. Man soll dich nicht gleich erkennen, falls wir auf die ehrenwerten Señores stoßen.“
„Sehr richtig“, gab Hasard zu. „Man muß ihnen ja nicht auf die Nasen binden, daß El Lobo del Mar in ihren Gewässern kreuzt. Sie würden uns mit allen verfügbaren Schiffen jagen, wenn sie das wüßten. Es besteht durchaus die Möglichkeit, daß wir mit einer ihrer Kriegsgaleonen zusammentreffen, oder daß sie Kontrollen vornehmen. Wenn sie mich erkennen, dann sind wir alle geliefert.“
„Man würde uns an den nächsten Galgen hängen, aber alle“, meinte der Profos stirnrunzelnd.
„Das ginge wenigstens noch schnell“, sagte Don Juan de Alcazar und lächelte dünn. „Viel wahrscheinlicher bringt man uns mit der Garotte um, jener kühlen Würgeschraube, mit der die Todesstrafe langsam durch Erdrosseln vollstreckt wird. Es soll ein sehr unangenehmer Tod sein.“
„Jedenfalls befinden wir uns in des Teufels Gewässern“, ließ sich Dan O’Flynn vernehmen. „Wir haben eine kritische Strecke vor uns, die wir am besten in einem Rutsch unter vollem Preß durchsegeln. Wir können unsere Schnelligkeit gegen die Dons ausspielen.“
„Falls es nicht gleich etliche Kriegsschiffe sind“, bemerkte Hasard trocken. „Dann nutzt uns das auch nicht mehr viel.“
„Wenn wir in einem Rutsch durchsegeln, brauchen wir auch keinen Anker“, tönte Carberry, „den besorgen wir uns dann woanders.“
„Vielleicht in Marokko an der Barbareskenküste, was?“ fragte Hasard lachend. „Da können wir uns mit der Schebecke noch weniger blicken lassen. Für die Kerle wären wir ein gefundenes Fressen. Die würden uns mit tausend Freuden die Haut abziehen.“
„In Streifen, von unseren Affenärschen“, mußte der Profos natürlich noch hinzufügen, weil er seinen Lieblingsspruch schon lange nicht mehr gebraucht hatte.
„Ja, so ähnlich ganz bestimmt.“
Der Seewolf schien heute glänzender Laune zu sein. Immer wieder erschien ein undeutbares Lächeln auf seinem Gesicht, das sich die anderen nicht erklären konnten.