„Der Rest des Lebens“, erwiderte Hasard grimmig, „dürfte in einem solchen Fall sehr kurz sein. Haremswächter und Haremsgespielen, die nicht mehr gefallen, pflegt man um Kopfeslänge zu kürzen.“
Berichte dieses Inhalts waren Philip ebenfalls bekannt. Die Brüder wußten, von was sie sprachen. Orientalische Lebens- und Wesensart war ihnen schließlich vertraut genug. In ihren Kindesjahren, als sie mit Gauklern herumgezogen waren, hatten sie einiges aus dieser für Europäer bisweilen unbegreiflichen Welt kennengelernt. Aus jener Zeit rührten auch ihre Sprachkenntnisse. Arabien war ihnen kein Buch mit sieben Siegeln wie den meisten Europäern.
Sie verfielen in Schweigen.
Die Zelle war stockfinster. Wenn sie geglaubt hatten, daß sich ihre Augen nach einer Weile daran gewöhnen würden, so mußten sie einsehen, daß sie sich getäuscht hatten. Nicht der winzigste Lichtstrahl drang in das Verlies. Der Ausdruck Zelle war nicht etwa fehl am Platze, denn der Vergleich mit einem Gefängnis war durchaus angebracht. Allem Anschein nach wurden hier des öfteren Menschen gefangengehalten.
Doch in Gefängniszellen gab es wenigstens Pritschen, auf denen man einigermaßen bequem ruhen konnte. Nichts dergleichen innerhalb dieser vier Wände. Philip und Hasard suchten den Raum vorsichtig tastend ab und stellten fest, daß es außer kahlen Wänden und nacktem Fußboden buchstäblich nichts gab.
Hielt man sie länger hier fest, würden sie gezwungen sein, wie Tiere auf dem Boden zu schlafen. Schlimmer. Tieren gewährte man wenigstens Behaglichkeit in ihrem Stall. Und in der Wildnis hatten Tiere die Freiheit, sich ihren Ruheplatz nach eigenem Ermessen auszusuchen.
„Sie werden uns herausholen“, sagte Philip nach einer Weile. „Plymmie ist sicher schon auf der ‚Santa Barbara‘. Dad wird ganz Sûr auseinandernehmen lassen, wenn es sein muß.“
„Wenn Plymmie es wirklich schafft“, entgegnete Hasard zweifelnd. „Erinnere dich an diese vielen Gerüche im Basarviertel. Da gibt es einige scharfe Gewürze, die eine Hundenase ganz schön durcheinanderbringen können.“
„Plymmie schafft es“, sagte Philip überzeugt. „Da gehe ich mit dir jede Wette ein.“
„Wenn wir noch wetten können …“
Das Gespräch der Jungen wurde unterbrochen, denn unvermittelt waren wieder Schritte zu hören.
Philip und Hasard verharrten regungslos und horchten.
Es waren mehrere Männer, die sich ihrem Verlies näherten. Murmelnde Stimmen waren zu vernehmen. Gleich darauf endeten die Schritte, und auch die Stimmen brachen ab. Jemand schob den Riegel zurück.
Die Söhne des Seewolfs spannten die Muskeln an. Doch im nächsten Moment mußten sie erkennen, daß auch diesmal jeder Gedanke an Flucht überflüssig war. Radjif, der listige Halunke, ging kein Risiko ein.
Die Bohlentür schwang auf, und drei Kerle traten ein. Einer hielt eine Laterne, die mit klarer Flamme brannte. Die beiden anderen blieben bei der Tür stehen, die sofort wieder geschlossen wurde. Breitschultrige Männer mit kahlgeschorenen Köpfen und sichelförmigen Schnauzbärten. Alle drei gehörten nicht zu jenen, die unter dem Kommando des Talmi-Händlers gestanden hatten.
Der mit der Laterne trat auf die Zwillinge zu.
„Bewegt euch“, ordnete er grinsend an. „Geht ein wenig im Kreis herum. Das tut ihr so lange, bis ich euch sage, daß ihr aufhören könnt. Verstanden?“
In der Tür wurde das Guckloch geöffnet. Ein Augenpaar war im Halbdunkel zu erkennen. Die dazugehörige Gesichtshaut war heller als die der Araber und des Mischlings Radjif. Ein Europäer?
Philip und Hasard gaben sich keinen Illusionen hin. Sich jetzt noch zu widersetzen, wäre sinnlos gewesen. Die Kerle kannten Mittel und Wege, ihre Anweisungen durchzusetzen. Und zwar so, daß sie ihnen keine äußerlich sichtbaren Verletzungen zufügten.
Die Jungen gehorchten daher.
Sie begannen, sich in einem engen Kreis zu bewegen. Dabei drängte sich ihnen der Vergleich mit Pferden oder anderen Nutztieren auf, die einem Kaufinteressenten vorgeführt wurden. Die Augen hinter dem Guckloch begutachteten sie. Es war entwürdigend.
Auf der anderen Seite der Tür war wiederum Geflüster zu hören. Der hellhäutige Mann wechselte knappe Worte mit Radjif, der jedoch nicht zu sehen war. Es wurde um die menschliche Ware gefeilscht.
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