Seewölfe Paket 20. Roy Palmer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Roy Palmer
Издательство: Bookwire
Серия: Seewölfe - Piraten der Weltmeere
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783954397792
Скачать книгу
sich selbst.

      In der Felsenkneipe herrschte noch trübes Halbdunkel, nachdem die Sonne längst aufgegangen war. Das durch den Eingang hereinfallende Tageslicht reichte noch nicht aus, um die gesamte Kaverne zu erhellen.

      Old Donegal Daniel O’Flynn kroch schlaftrunken aus seinen Decken und klappte angestrengt die Lider auf und zu, bis er halbwegs wach geworden war.

      „Hölle und Verdammnis“, murmelte er. „Muß schon mächtig spät sein. Dabei haben wir letzte Nacht nicht mal gefeiert. Der Mensch ist doch ein Gewohnheitstier. Fehlt einem das traute Weib, das einen auf Trab bringt, horcht man entschieden zu lange die Matratze ab.“ Mit einem Anflug von Sehnsucht dachte er an Mary, geborene Snugglemouse, die bei Gotlinde am Kindbett Wache hielt. Erst im nächsten Moment fiel ihm ein, daß er kein Selbstgespräch geführt hatte.

      Er hob den Kopf und spähte blinzelnd ins Halbdunkel.

      In der Nähe des Eingangs hockte der Stör auf seiner Schlafstatt. Regungslos wie eine Statue saß er da, hatte den Kopf auf die angezogenen Knie gelegt und starrte Löcher in die Luft.

      „He!“ rief Old O’Flynn und räusperte sich, weil seine Stimme heiser klang. „Was ist los mit dir, Mann? Bist du wach, oder schläfst du im Sitzen? Warum sagst du nichts, wenn ich was sage?“

      Der Stör blieb stumm.

      Old Donegal runzelte besorgt die Stirn. Mit einem Fluch schleuderte er seine Decken beiseite und rappelte sich auf. Während er zu seinem Logiergast hinüberhumpelte, rieb er sich den Schlaf aus den Augen.

      Kopfschüttelnd blieb er neben dem Starrenden stehen. Als er sich nicht einmal rührte, klopfte er ihm auf die Schulter.

      „Sag mal, bist du anwesend oder nicht?“

      „Nicht mehr lange“, antwortete der Stör mit Grabesstimme.

      „Nicht mehr lange? Was soll das heißen? Erst verkriechst du dich bei mir, und ich muß dir versprechen, daß ich dich nicht verrate, und dann willst du plötzlich wieder weg? Ich hab ja ’ne Menge Verständnis, aber fang nicht an, mich zum Narren zu halten.“

      „Ich werde dir nicht mehr lange zur Last fallen.“ Der Stör sagte es weinerlich, ohne den Kopf zu wenden. Er schien bereits in eine ferne Welt entrückt zu sein.

      „Himmel noch mal“, entgegnete Old Donegal stöhnend. „Was soll denn das nun wieder? Du fällst mir nicht zur Last. Das habe ich dir schon letzte Nacht gesagt, als du von Bord geschlichen bist. Ich bin Strohwitwer, habe ich dir gesagt, und ich kann ein bißchen Gesellschaft ganz gut vertragen. Aber wenn du nicht mit deinem Gejammer aufhörst, gehst du mir auf den Geist.“

      „Ich werde dir nicht länger zur Last fallen“, wiederholte der Stör monoton. „Nein, ich werde überhaupt niemandem mehr zur Last fallen. Ich bringe meiner Umwelt nur Unglück. Thorfin habe ich schon zum Krüppel gemacht. Wenn ich mir vorstelle, daß seine Kinder nun einen Krüppel zum Vater haben! Ich kann Gotlinde nie wieder unter die Augen treten.“

      „Schwachkopf“, knurrte Old O’Flynn.

      Aber der Stör ließ sich in seinem Weltschmerz nicht beirren.

      „Nein“, sagte er verbiestert, „ich habe meinen Entschluß gefaßt. Ich werde mich einem Gottesurteil stellen. Dann werde ich sehen, ob ich es wert bin, weiterzuleben. Aber daran glaube ich nicht. Wer so dämlich ist wie ich, der taugt nicht für diese Welt.“

      „Also gut“, sagte Old Donegal geduldig, als hätte er eine kranke Kuh zu kurieren. „Und wie hast du dir das mit dem Gottesurteil vorgestellt?“

      „Ich werde mich die Rutsche hinunterstürzen. Wenn mich die Haie unten in der Bucht zerfleischen, ist es die gerechte Strafe für mich. Ich rechne fest damit, daß sie mich zerfleischen. Etwas anderes habe ich nicht verdient.“

      Minutenlang kriegte Old Donegal den Mund nicht wieder zu. Dann bückte er sich, packte den Langgesichtigen energisch am Kragen, zog ihn auf die Beine und schüttelte ihn durch. Im nächsten Moment hielt er inne, denn der Stör schien keine einzige Muskelfaser mehr im Leib zu haben. Seine Glieder schlenkerten wie die einer Puppe, sein Kopf wackelte beängstigend vor und zurück.

      „Sag mal“, herrschte Old Donegal den Lebensmüden an. „Hast du überhaupt kein bißchen Mumm mehr in den Knochen?“

      „Nein“, erwiderte der Stör in bestürzender Gleichgültigkeit. „Wenn Thorfin mich zu fassen kriegt, bringt er mich sowieso um. Ich kann es ihm nicht mal übelnehmen. Was soll es also? Ich kann die Sache ebensogut selbst erledigen.“

      „Soviel Unsinn wie in diesen fünf Minuten hast du noch nie auf einmal gequatscht“, sagte der alte O’Flynn ungehalten. „Jetzt paß mal gut auf. Wir beiden werden erst mal einen ordentlichen Happen frühstücken, damit du wieder auf andere Gedanken kommst. Dann hilfst du mir, die Pinte aufzuklaren, und anschließend reden wir noch mal über die Geschichte.“

      Der Stör sah ihn aus wäßrigen Augen an.

      „Tu nicht so, als ob ich zu was nütze wäre. Das willst du mir bloß einreden, damit ich mich nicht dem Gottesurteil stelle.“

      „Klar doch.“ Old Donegal nickte grimmig. „Ich bin ja auch ein unaufrichtiger Lump, der anderen nie seine ehrliche Meinung sagt. Fang nur an, mich zu beleidigen.“

      Der Stör verzog bestürzt das lange Gesicht.

      „Siehst du!“ heulte er los. „Jetzt hab ich schon wieder was falsch gemacht. Es hat wirklich keinen Zweck mit mir. Ich habe kein Recht, weiterzu…“

      Old Donegal holte aus und versetzte ihm eine schallende Ohrfeige.

      „Jetzt halt’s Maul. Bring das Feuer in Gang und hol frisches Wasser. Ich bereite inzwischen den Speck zum Braten vor.“

      Der Stör rieb sich die Wange, schnaufte herzerweichend und schlurfte los. Der alte O’Flynn beschloß, ihn an diesem Tag nicht mehr aus den Augen zu lassen.

       5.

      An Bord des Schwarzen Seglers wurde gesägt und gehämmert, als gelte es, einen Wettstreit mit den Männern der Ramsgate-Werft aufzunehmen. Thorfin Njal hatte sich auf das Achterdeck bringen und die behelfsmäßige Trage so postieren lassen, daß er die Arbeiten auf dem Hauptdeck überblicken konnte. In Minutenabständen trieb er die Männer immer wieder an, gefälligst schneller zu arbeiten.

      Die neue, solidere Trage näherte sich ihrer Vollendung, als die Sonne bereits über die Felsformationen der Schlangen-Insel gestiegen war.

      „Wir kriegen Besuch“, sagte der Boston-Mann unvermittelt und wandte sich zu dem Wikinger um.

      Thorfin verzog unwillig das Gesicht. So sehr er auch den Hals reckte – über die Achterdecksverschanzung konnte er nicht spähen. Eine Störung war jetzt ohnehin höchst unwillkommen, so kurz vor dem großen Augenblick, in dem er seinen Nachwuchs und sein geliebtes Weib sehen würde.

      „Weiblicher Besuch“, fügte der Boston-Mann nach einer Weile hinzu, und dabei grinste er.

      Thorfin kniff die Augen zusammen, und seine Brauen bildeten eine düstere Linie.

      „Du willst mich bloß auf die Folter spannen“, knurrte er. „Gotlinde kann noch nicht wieder auf den Beinen sein. Welche Lady sollte uns also beehren?“

      „Warte ab“, sagte der hagere Engländer kurz angebunden.

      Auch die Männer auf dem Hauptdeck hatten das Boot bemerkt, das sich dem Viermaster näherte. Sie ließen Hämmer und Sägen fallen, eilten zum Schanzkleid und spähten auf die Wasserfläche hinaus.

      Dem Wikinger platzte zum soundsovielten Male der Kragen.

      „He, ihr Schnarchsäcke!“ brüllte er. „Wer hat was von Pause gesagt? Wollt ihr wohl weiterarbeiten! Bewegt euch gefälligst oder ich …“ Er brach ab, als er sah, wer dort über die Jakobsleiter aufenterte.

      Rot