Seewölfe Paket 20. Roy Palmer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Roy Palmer
Издательство: Bookwire
Серия: Seewölfe - Piraten der Weltmeere
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783954397792
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      Der Spott ihrer ehemaligen Kumpane war ihnen auf jeden Fall sicher. Wüstes Gelächter begleitete sie, bis Casco die Bande wieder zur Ordnung rief und sie ermahnte, sich nicht durch zuviel Lärm zu verraten.

      „Es ist soweit, Kameraden“, sagte er grinsend. „Wir werden unseren Kapitän wohl oder übel von unserem Entschluß in Kenntnis setzten müssen.“

      Die grelle Vormittagssonne übergoß die endlosen Wassermassen der Karibischen See mit gleißendem Licht. Der tiefblaue und wolkenlose Himmel vermittelte ein Bild des Friedens und der Ruhe.

      Doch der Schein trog. Zumindest die Black Queen, die in ihrer Koje lag und finsteren Gedanken nachhing, würde jenen Vormittag des 23. April 1594 nie vergessen, denn er sollte ihr die schwärzesten Stunden ihres bisherigen Lebens bescheren.

      Ja, was konnte es für eine Frau wie sie, die sich bereits auf dem besten Wege, befunden hatte, die gesamte Karibik zu beherrschen, Schlimmeres geben, als bis an die Grenzen ihrer Kraft erniedrigt und gedemütigt zu werden! Sie war die Black Queen, die Schwarze Königin, vor der man noch vor Monaten gezittert und gekuscht hatte, wo immer sie erschienen war. Die Männer hatten lüsterne Stielaugen gekriegt, wenn sie auf einer der zahlreichen Inseln an Land gegangen war – halbnackt, nur mit einem Lendenschurz bekleidet, der von einem handbreiten Ledergürtel festgehalten wurde und ihren athletischen Körperbau betonte. Trotz ihrer enormen Muskelkraft waren ihre weiblichen Reize unverkennbar gewesen, was mit Sicherheit nicht nur an den goldenen Ohrringen und der kostbaren, ineinander verschlungenen Halskette lag, die sie stets trug.

      Dieses Bild der Black Queen gehörte jedoch der Vergangenheit an. Die schwere Schußverletzung, von der sie beinahe dahingerafft worden wäre, hatte ihr schwer zugesetzt und ihr Aussehen gewaltig verändert. Sie war dürr geworden, ihre einst so festen Brüste waren faltig und schlaff, die muskulösen Oberarme dünn und kraftlos, und ihr Gesicht wirkte spitz und eingefallen. Nichts erinnerte mehr an die sonst so vollen und sinnlichen Lippen. Die Augen lagen tief, in den Höhlen, die Haut war fahl und voller Falten.

      Die Queen war zwar zäh wie eine Katze, sonst hätte sie die schwere Verwundung nicht überlebt, und sie würde auch nach und nach wieder gesunden, das war bereits jetzt schon abzusehen, aber all das zählte nicht für Casco und seine Kumpane. Sie blickten weder in die Vergangenheit noch in die Zukunft. Nur die Gegenwart zählte für sie, und das sollte der Black Queen zum Verhängnis werden.

      Nach ihrem kurzen Rundgang, der sehr anstrengend für sie gewesen war, hatte sie sich wieder hingelegt. Sie fühlte sich jedoch verpflichtet, während der Abwesenheit Caligulas wenigstens ab und zu nach dem Rechten zu sehen, damit die Kerle an Bord nicht glaubten, sie könnten tun, was sie wollten.

      Die Sache zwischen Casco und Pablo hatte sie nicht sonderlich berührt. Auf einen Kerl mehr oder weniger an Bord kam es sowieso nicht an, zumindest ihr nicht. In diesem Punkt hatte sich die schwarze Piratin nicht verändert. Ihr Charakter, ihre Gefühle, ihr Empfinden sowie all ihre Haß- und Rachegedanken waren die gleichen geblieben, auch wenn sich ihr Körper nachteilig verändert hatte.

      Auch ihr Erzfeind war derselbe geblieben: Philip Hasard Killigrew, der Seewolf und Kapitän der „Isabella IX.“. Ihn und seine Männer, die die Schlangen-Insel zu ihrem Stützpunkt gewählt hatten, mußte sie zur Strecke bringen, koste es, was es wolle. Um dieses Ziel zu erreichen, hatte sie zunächst Cariba losgeschickt und dann Caligula. Sollte auch der nicht zurückkehren, war sie bereit, selbst nach Havanna aufzubrechen. Notfalls würde sie auf allen vieren dorthin kriechen. Ohnmächtige Wut und kalter Haß schnürten ihr zuweilen die Kehle zu, wenn sie in ihrer Koje lag und gegen die Decke starrte.

      Die Queen wälzte sich etwas zur Seite und griff nach einem kostbaren Zinnbecher, der randvoll mit Rum gefüllt war. Doch bevor sie den Becher an die Lippen führen konnte, wurde plötzlich das Schott zu ihrer Kammer weit aufgerissen.

      Die Frau, die damit nicht gerechnet hatte, zuckte unwillkürlich zusammen und setzte den Becher, ohne von dem Rum getrunken zu haben, hart auf den kleinen Tisch zurück. Ein Schluck der braunen Flüssigkeit schwappte über und verbreitete einen herben Geruch.

      Casco, Silo und fünf weitere Männer stürmten in die Kapitänskammer. An ihren Gürteln hingen Säbel und Entermesser, außerdem hatte jeder von ihnen eine schußbereite Steinschloßpistole in der Hand.

      „Was ist los?“ keifte die Queen und fuhr mit schmerzverzerrtem Gesicht in ihrer Koje hoch. „Was wollt ihr hier? Ich habe euch nicht gerufen!“

      Casco trat dicht an die Frau heran und richtete den Lauf seiner Pistole auf ihre Brust.

      „Natürlich hast du uns nicht gerufen, Queen“, sagte er mit einem triumphierenden Grinsen. „Wir sind freiwillig erschienen.“ Mit einer raschen Bewegung beugte er sich etwas vor und griff nach der wertvollen doppelläufigen Pistole der Queen sowie nach ihrem ungewöhnlich geformten Entermesser. Beide Waffen lagen griffbereit am Fußende ihrer Koje, und jeder wußte, daß sie damit meisterhaft umzugehen verstand.

      Casco drückte Silo die Waffen in die Hand.

      „Was hat das zu bedeuten?“ fragte die Queen scharf. Sie lag halb aufgerichtet in ihrer Koje. Eine düstere Ahnung stieg in ihr auf und ließ sie vor Wut zittern.

      „Eine klare Frage verdient eine klare Antwort“, sagte Casco. „Du bist nicht mehr unser Kapitän, Madam. Wir, das heißt der größte Teil der Mannschaft, haben beschlossen, das Schiff selbst zu übernehmen, weil wir es satt haben, unser halbes Leben lang in dieser Scheißbucht herumzugammeln und auf bessere Zeiten zu warten. Der Kahn ist bereits voll in unserer Hand, daran kannst weder du noch Caligula etwas ändern. Also – steh auf und bereite uns keine Schwierigkeiten.“

      Die Black Queen schluckte hart. Eigentlich hatte sie schon begriffen, was los war, als die Kerle in ihre Kammer stürmten. Aber jetzt erst begriff sie die volle Bedeutung der Vorgänge.

      „Das ist Meuterei!“ schrie sie und konnte dabei nicht verbergen, wie sehr sie die Erregung anstrengte. „Dafür werdet ihr hängen, das verspreche ich euch!“ Sie kochte vor Wut, denn noch vor kurzem hatte sie diese Kerle nach Belieben getreten wie räudige Hunde. Und sie hatten wie Hunde vor ihr gekuscht. Jetzt aber standen sie in ihrer Kammer, um zu meutern. Das alles war unfaßbar für sie. Für einen Augenblick schien es, als würde sie an ihrer Wut ersticken. Auf den Gedanken, daß es ein Fehler gewesen war, Caligula von Bord zu lassen, kam sie nicht.

      „Du wirst niemanden mehr hängen, Queen“, sagte Casco höhnisch. „Im Gegenteil, du wirst froh sein, wenn wir dich laufen lassen. Deine Zeit ist vorbei, auch wenn du es nicht wahrhaben willst. Jetzt sind wir am Zuge, daran wirst du nichts ändern. Was Caligula betrifft, wirst du vergebens auf ihn warten, denn er treibt es jetzt mit den Hafenhuren von Havanna. Wir könnten das natürlich auch tun, aber wir haben uns für den besseren Weg entschieden. Das Schiff gehört ab sofort uns, ebenso alle Schätze, die sich an Bord befinden. Du bist nicht mehr der Kapitän und hast uns nichts mehr zu befehlen.“

      Die Queen stöhnte vor Zorn und Haß. Mit einer blitzschnellen Bewegung griff sie nach dem Zinnbecher mit Rum und schleuderte ihn Casco mit einem wilden Schrei entgegen.

      Der Kreole konnte nicht mehr ausweichen. Der Becher prallte gegen seine breite Brust und fiel polternd auf die Planken. Der Rum tropfte von seinem nackten Oberkörper und versickerte hinter seinem breiten Gürtel.

      Casco lachte brüllend.

      „Du warst schon wesentlich besser, Queen“, sagte er. „Jetzt aber bist du nichts weiter als ein kraftloses altes Weib!“

      Die Queen schwang die Beine aus ihrer Koje. Es zerriß sie fast vor Wut.

      „Jedes dieser Worte wirst du bereuen, Casco. Ich schwöre dir, daß du tausend Tode sterben wirst, und ich selbst werde es sein, die dich stückchenweise den Haien zum Fraß vorwirft. Du wirst noch darum winseln, an die Rah gehängt zu werden, aber niemand wird dir diesen Wunsch erfüllen. Das ist ein heiliger Eid, Casco, und ich werde ihn erfüllen. Selbst wenn du mich töten solltest, wirst du nicht entrinnen. Caligula wird wissen, was er zu tun hat.“

      Casco und seine Kumpane hatten für diese Worte jedoch nur ein schwaches Grinsen übrig.