Seewölfe Paket 20. Roy Palmer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Roy Palmer
Издательство: Bookwire
Серия: Seewölfe - Piraten der Weltmeere
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783954397792
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Dann eilte er weiter. Er begegnete keinem Menschen mehr und erreichte bald den Stadtrand an der Atares-Bai.

      Nur ein Augenpaar beobachtete ihn aus dem Dickicht eines Waldes. Es gehörte einem hageren, schwarzhaarigen Mann mit dichtem Vollbart. In dieses Bartgestrüpp fuhr der Mann sich jetzt mit dem Finger und kratzte sich angelegentlich. Was er von dem schwarzen Riesen mit den Ketten halten sollte, wußte er nicht. Er spürte nur instinktiv, daß es empfehlenswert war, sich nicht zu zeigen.

      Das rettete ihm das Leben. Er hieß Luiso Muscas und hatte sich schon immer auf die große Kunst verstanden, in jeder Situation zu überleben. Er war von Beruf Stadtstreicher und aß, wenn ihm jemand ein Stück Brot abgab, trank an Bächen und Brunnen und schlief, wo er sich gerade aufhielt, wenn die Dunkelheit hereinbrach. Er rollte sich wieder im Gebüsch zusammen und beschloß, weiterzuschlummern.

       9.

      Eine Stunde nach Mitternacht wurde Don Antonio de Quintanilla auf höchst brutale Weise aus dem Schlaf gerissen. Jemand hämmerte mit den Fäusten gegen die Tür seines Gemaches. Entsetzt fuhr er hoch und rief mit schriller Stimme: „Wer da? Wache! Was ist los?“

      „Ich bin die Wache, Señor!“ rief der Posten, der draußen stand.

      „Was fällt dir ein?“ schrie Don Antonio. „Ich werde dich auspeitschen lassen, du Hund! Nichts kann so wichtig sein, daß man mich deswegen aus dem Schlaf reißt!“

      „Doch, Señor! Befehl vom Stadtkommandanten – ich soll Sie alarmieren! Der Gefangene ist geflohen!“

      „Was?“ Mit einem Satz war Don Antonio auf den Beinen – eine erstaunliche Leistung für einen Mann seiner Körperfülle. In Windeseile kleidete er sich an, ohne seine Lakaien zu rufen, denn das wäre nur ein Zeitverlust gewesen.

      Dann eilte er hinaus. Er verzichtete auf seine Kutsche und hastete in Begleitung von vier Soldaten zu Fuß zum Stadtgefängnis. Nie hatte er sich derart verausgabt.

      Don Ruiz de Retortilla, der seinerseits vom Kerkerkommandanten benachrichtigt worden war, war ebenfalls zur Stelle. Fassungslos verfolgten sie, wie die Toten geborgen wurden.

      „Sechs Tote“, sagte der Kerkerkommandant mit erbitterter Miene. „Der Sargento hat sie gefunden, als er zufällig aufstand und nach dem Rechten sah. Irgendwie muß er so was wie eine Ahnung gehabt haben. Er hat auch die Zelle leer vorgefunden.“

      „Wie konnte das geschehen?“ fragte Don Antonio.

      „Er hat die Kette aus der Mauer gebrochen“, antwortete der Kommandant.

      Jetzt brauste Don Antonio auf. „Was? Nicht einmal das Stadtgefängnis ist sicher? Das ist Ihre Schuld, Señor! Dafür sind Sie verantwortlich!“

      „Sie vergessen, über welche enormen Kräfte diese Bestie verfügt, Don Antonio“, sagte Don Ruiz.

      Ja – Caligula war ein wilder Riese, der Eisen mit den bloßen Händen zu biegen vermochte. Don Antonio geriet ins Schwitzen. Er blickte zu den Toten, und in seinen Gedanken sah er den Schwarzen, wie er sich in der Residenz versteckte und auf ihn wartete. Caligula würde sich an ihm rächen, das war sicher.

      „Wir müssen ihn wieder einfangen!“ stieß er keuchend hervor. „Riegelt sofort die ganze Stadt ab! Er darf nicht entwischen!“

      „Das ist bereits geschehen“, sagte Don Ruiz.

      In der Tat – die Stadtgarde rückte an. Schritte trappelten durch die Gassen von Havanna, die ganze Stadt wurde wach. Jedes Haus wurde durchsucht, bis eine Meldung eintraf, daß Caligula doch entwischt war. So blieb die Faktorei Arne von Manteuffels verschont.

      Ein Trupp Soldaten war am südlichen Stadtrand auf eine Gestalt gestoßen, die sich im Dickicht des bis hart an die Mauern der Häuser reichenden Waldes bewegte.

      „Halt!“ brüllte der Führer des Trupps. „Da ist er! Legt an! Knallt ihn nieder, wenn er Widerstand leistet!“

      „Nicht schießen“, sagte eine Stimme im Gebüsch. „Ich bin nicht der, den ihr sucht.“

      Eine bärtige Gestalt trat mit erhobenen Händen aus dem Gestrüpp.

      „Nehmt die Waffen runter“, sagte der Führer. „Ich kenne den Kerl. Er ist Luiso Muscas, einer der Stadtstreicher, die sich hier rumtreiben. Luiso, was hast du hier zu suchen?“

      „Nichts. Ich habe nur geschlafen.“

      „Und woher weißt du, daß wir jemanden suchen?“

      „Ich habe einen Kerl gesehen und mir einiges zusammengereimt.“

      „Wie sah er aus?“

      „Groß, schwarz, bärtig – und nackt. Er hat Ketten mit sich rumgeschleppt, soviel habe ich im Mondlicht erkannt.“

      „Das ist er!“ stieß der Führer des Trupps hervor. „Los, einer läuft sofort zurück in die Stadt und meldet das dem Gouverneur!“

      „Jawohl, Señor“, sagte einer der Soldaten. Im Eilschritt kehrte er zum Gefängnis zurück, wo Don Antonio einen provisorischen Kommandoposten eingerichtet hatte und den Oberbefehl über die Aktion führte.

      „Wer ist denn der Kerl?“ fragte Luiso die Soldaten.

      „Caligula. Dieser Neger, der in Havanna schon fast ein Dutzend Menschen umgebracht hat“, erwiderte der Führer.

      „Der?“ Erst jetzt begriff Luiso, welcher Gefahr er ausgesetzt gewesen war. Er geriet ins Taumeln. „Mann, hab’ ich ein Glück gehabt:“

      „Das kannst du sagen“, erwiderte einer der Männer der Garde. „Er tötet nämlich jeden, der sich ihm in den Weg stellt oder ihm einfach nur in die Finger gerät. Dir hätte er auch das Genick gebrochen.“

      Don Antonio tobte, als er erfuhr, daß Caligula Havanna bereits verlassen hätte. Er hieb mit beiden Fäusten auf die Tischplatte im Raum des Kerkerkommandanten.

      „Verdammte Schweinerei!“ brüllte er. „Ihm nach! Setzt alles in Bewegung! Reiter müssen her! Sofort! Beeilung!“

      „Die Reiter treffen gleich ein“, sagte Don Ruiz. „Ich habe sämtliche Patrouillen in Bewegung gesetzt, die wir haben. Und sie sollen auch Hunde mitnehmen.“

      Don Antonio fuhr zu ihm herum. Es zuckte in seinem Gesicht. „Sehr gut. Bluthunde?“

      „Ja. Sehr weit kann der Schwarze zu Fuß ja nicht gelangen. Die Reiter und die Hunde holen ihn ein.“

      „Ausgezeichnet.“

      „Jetzt ist nur noch die Frage zu klären, ob Sie ihn lebend oder tot haben wollen, Señor“, sagte der Kerkerkommandant.

      Don Antonio überlegte nur kurz.

      „Tot“, sagte er dann. „Die Hunde sollen ihn zerfetzen.“ Er mußte eben auf die Schätze der englischen Piraten verzichten. Caligula war eine zu große Gefahr, er hatte schon zu viele Menschen auf dem Gewissen. Ehe er nicht selbst vernichtet war, bangte Don Antonio um seine eigene Existenz. Der Preis für die Schätze war zu hoch. Caligula mußte sterben.

      Lauf, Neger, lauf – Caligula hetzte durch den nächtlichen Wald, entlang der südwestlichen Bucht von Havanna. Die Schmerzen setzten ihm wieder zu, aber er legte keine Rast ein. Er hatte beschlossen, bis zur Südküste von Kuba zu laufen und zur Insel zu schwimmen, wenn es nötig war. Nichts konnte ihn mehr stoppen.

      Natürlich hatte er mit dem Gedanken gespielt, in den Palast des Gouverneurs einzudringen. Doch das Unternehmen war zu riskant. Die Residenz war zu gut bewacht, er konnte niemals bis zu Don Antonio vordringen.

      Dabei wäre es das ideale gewesen, den fetten Kerl als Geisel gefangenzunehmen. Mit ihm als Faustpfand hätte Caligula öffentlich und mit erhobenem Haupt Havanna verlassen können. Keiner hätte gewagt, ihn zu behelligen. Und er hätte auch die Schätze, über die Don Antonio mit Sicherheit in seiner Residenz verfügte, mitgehen lassen.

      Die