Seewölfe Paket 12. Roy Palmer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Roy Palmer
Издательство: Bookwire
Серия: Seewölfe - Piraten der Weltmeere
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783954395019
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nachzudenken, was das zu bedeuten hatte. Der Comte kreischte immer noch, wagte sich aber nicht mehr zu rühren.

      Vert-de-gris hatte die Hände vom Gesicht genommen, das zu einer fürchterlichen Grimasse verzerrt war. Über dem linken Auge war ein schwarzer Fleck, den eine Kerzenflamme verursacht haben mußte. Er blinzelte mit dem rechten Auge, und ein tiefes Grollen drang aus seiner mächtigen Brust.

      Seine Hände, die groß wie Schaufeln waren, öffneten und schlossen sich. Er trat einen Schritt auf den Kutscher zu, blieb aber wieder stehen, als dieser den Druck der Degenspitze auf den Hals des Comte verstärkte und dieser in noch höheren Tönen zu quieken begann.

      „Bleib mir vom Leib, Glatzkopf!“ sagte der Kutscher mit erhobener Stimme. „Einen Schritt weiter, und dein Comte kann durch den Hals atmen!“

      Der Glatzkopf zersprang fast vor Wut. Der Kutscher sah ihm an, daß er am liebsten keine Rücksicht auf den Comte genommen hätte, aber er war sich offensichtlich darüber im klaren, daß mit dem Tod des Kapitäns auch seine Zeit an Bord der „L’Exécuteur“ abgelaufen war.

      Der Kutscher ruckte mit dem Messer in der linken Hand.

      „Verschwinde, Glatzkopf!“ sagte er zischend. „Hol den Bootsmann. Ich will mit ihm sprechen.“

      Er merkte erst im letzten Augenblick, daß ihm die schmuddelige Perücke übers Ohr rutschte. Die Hand mit dem Messer fuhr hoch, um sie zu halten, aber er schaffte es nicht. Die Perücke fiel auf den Tisch.

      Das Kreischen des Comte verstummte abrupt. Seine kleinen Augen quollen hervor und starrten auf die Perücke, die vor ihm auf dem Tisch lag.

      Mit einer kaum wahrnehmbaren Bewegung zuckte seine Hand vor und hieb die Klinge des Degens zur Seite. Daß die Spitze ein bißchen Haut mitnahm, schien er nicht zu spüren.

      Der Kutscher wurde von der heftigen Bewegung überrascht. Er wollte den Degen wieder herumreißen, als er aus den Augenwinkeln sah, wie sich der Glatzkopf zum Sprung duckte.

      Gleichzeitig griff die Hand des Comte zur Perücke und schleuderte sie dem Kutscher entgegen, der nicht mehr rechtzeitig ausweichen konnte. Sie traf ihn im Gesicht und lenkte ihn für einen kurzen, aber entscheidenden Augenblick ab.

      Der Glatzkopf hatte seine Chance erkannt und nahm sie wahr. Mit einem wahren Panthersatz hechtete er dem Kutscher entgegen, stieß einen hochlehnigen Stuhl um und erwischte den zurückweichenden Kutscher an der Hüfte.

      Der Kutscher verlor den Halt und krachte zu Boden. Krampfhaft hielt er den Degen fest und hieb damit nach dem Muskelprotz, der neben ihm auf den blankgescheuerten Planken gelandet war.

      Der Glatzkopf schrie röhrend auf. Die Klinge des Degens hatte sein Hosenbein am rechten Oberschenkel aufgeschlitzt und eine blutige Schramme im Fleisch verursacht.

      Der Kutscher war sofort wieder auf den Beinen. Er hatte den Comte in diesem Augenblick vergessen. Er wußte, daß der Glatzkopf ihn umbringen wollte. Wenn er nicht schneller war als der Profos, war er in einigen Minuten ein toter Mann.

      Der Glatzkopf stemmte sich an einem Stuhl in die Höhe. Jedenfalls sah es für den Kutscher so aus. Daß es eine Finte war, merkte er fast zu spät. Der Stuhl flog ihm entgegen. Er ließ sich blitzschnell fallen, aber das hölzerne Geschoß traf ihn noch an der Schulter.

      Ein stechender Schmerz raste durch seinen Körper, als er versuchte, sich am Boden herumzudrehen und die Degenspitze auf den Glatzkopf zu richten, der sofort wieder angriff.

      Ein Fuß des Profos’ zuckte vor und traf den Parierkorb des Degens. Die Waffe flog durch die Luft, prallte gegen die Vertäfelung der Kapitänskammer und fiel klirrend zu Boden.

      Ein Grinsen zog das verunstaltete Gesicht des Glatzkopfes in die Breite. Er baute sich vor dem am Boden liegenden Kutscher auf und stemmte beide Fäuste in die Hüften. Das Messer in der linken Hand des Kutschers schien ihn nicht im mindesten zu beeindrucken.

      „Schneid ihm den Hals durch!“ kreischte der Comte, der wie ein Affe in seinem Sessel auf und ab sprang und nicht zu bemerken schien, daß aus der Wunde an seinem Hals immer noch Blut lief.

      Der Kutscher rührte sich nicht. Er wußte, daß er verloren hatte. Nichts konnte ihn jetzt noch retten. Er dachte an die Zwillinge, für die er sich verantwortlich fühlte, und er verfluchte die Sekunde, als ihm die Idee durchs Hirn gezuckt war, sich diesen Karibik-Haien freiwillig zu stellen.

      Übelkeit stieg in ihm hoch, als er daran dachte, was der Seewolf und die anderen Kameraden von der „Isabella“ sagen würden, wenn sie erfuhren, daß er es nicht geschafft hatte, auf die Zwillinge aufzupassen.

      „Jetzt bist du dran, du englischer Hurensohn!“ quetschte der Glatzkopf hervor. „Ich werde dir die Haut in Streifen …“ Seine Worte gingen in ein Gurgeln über.

      Der Kutscher sah, wie die Augen des Glatzkopfes plötzlich nicht mehr klar waren und durch ihn hindurchstarrten. Dann sackte er langsam vornüber, und der Kutscher mußte sich zur Seite wälzen, damit der Muskelberg nicht auf ihn fiel.

      Über dem Profos stand wie aus dem Boden gewachsen der Bootsmann. Er hatte sein rotes Kopftuch umgebunden und hielt die gekürzte Pike in der rechten Hand, mit der der Glatzkopf den Kutscher fast in zwei Stücke gehauen hätte.

      Der Kopf des Kutschers ruckte zum Comte herum. Er war gespannt, wie der verrückte Kapitän auf die Provokation des Bootsmannes reagierte.

      Der Adamsapfel des Comte zuckte auf und ab und bewegte die blutige Strieme an seinem Hals, die dadurch wie eine lebendige Schlange wirkte. Der Kapitän stieß hohe Gickser aus. Für mehr reichte es ihm im Moment nicht. Er war außer sich vor Wut.

      Der Kutscher hatte erwartet, daß der Comte Angst zeigen würde, aber dazu war er wohl zu verrückt. Der dünne Zeigefinger seiner rechten Hand stach auf den Bootsmann zu.

      „Raus!“ kreischte der Comte. „Ich will niemanden in meiner Kammer ohne Perücke sehen! Ich lasse dich aufhängen, Le Requin! Moreau! Wo bleibst du verdammter Kerl? Ich lasse dich auspeitschen, wenn du dich nicht zeigst! Ich …“

      Der Comte verstummte und starrte auf den Bootsmann, der in aller Seelenruhe den Degen vom Boden aufgehoben hatte und langsam auf den Kapitän zuging.

      „Moreau!“ begann der Comte wieder zu kreischen.

      Aber kein Moreau erschien, um ihm zu helfen.

      Der Kutscher richtete sich an der Truhe auf und fluchte unterdrückt, als er sich an einer Glasscherbe die Hand ritzte. Sein Blick glitt zwischen dem Bootsmann, dem Kapitän und dem bewußtlosen Glatzkopf, dem die Perücke beim Sturz wieder vom Kopf gerutscht war, hin und her.

      Das Kreischen des Comte ging in ein Wimmern über. Jetzt war die Angst in seinen Augen. In seinem irren Hirn schien doch noch ein Teil die Wirklichkeit erkennen zu können.

      „Du – du willst mich töten?“ jammerte er.

      „Das werde ich tun, Verräter“, sagte Le Requin mit kalter Stimme, in der nicht eine Spur von Gefühl mitschwang.

      „Ich bin kein Verräter!“ kreischte der Comte. „Ich sorge für meine Leute! Noch nie haben uns die Spanier angegriffen!“

      „Weil du ihnen andere Schiffe zum Fraß vorwirfst, indem du sie verrätst“, erwiderte Le Requin. „Sie wissen inzwischen alle, wer der Verräter ist. Zwölf Schiffe halten auf diese Insel zu, Comte. Und sie werden uns zusammenschießen, wenn du noch lebst. Nur dein Tod kann uns alle vor dem Untergang bewahren.“

      „Nein!“ Die Stimme des Comte überschlug sich. „Ich habe niemanden verraten! Ich will nicht sterben. Ich will nicht …“

      Der Degen bohrte sich ihm in die Brust und riß ihm die letzten Worte von den Lippen.

      Der Bootsmann ließ den Degen los. Der Korb der Waffe wippte sanft auf und ab.

      Der Comte hatte den Mund weit geöffnet, aber er brachte kein Wort mehr über die Lippen. Er starrte ungläubig auf die Klinge, die in seiner Brust steckte, griff aber nicht danach, um sie herauszuziehen.