Seewölfe Paket 12. Roy Palmer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Roy Palmer
Издательство: Bookwire
Серия: Seewölfe - Piraten der Weltmeere
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783954395019
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Teller vor sie hingestellt hatte.

      Der Kutscher sah einen gebratenen Vogel vor sich liegen. Er hatte bisher noch keine Möwe gegessen, aber wenigstens sah es einigermaßen genießbar aus.

      Le Requin wollte gerade seinen Vogel aufschneiden, als die helle Stimme des Kapitäns ihn innehalten ließ.

      „Lieber Le Requin“, sagte der Comte, rülpste und sprach dann weiter: „Würden Sie mir die Ehre erweisen und persönlich eine neue Flasche Wein für mich holen?“

      Der Bootsmann legte Messer und Gabel mit ruhigen Bewegungen auf den Tisch und erhob sich. Der Kutscher hatte genau gespürt, wie ein kurzer Blick ihn streifte, dann nickte Le Requin, drehte sich um und verließ die Kapitänskammer.

      Es war offensichtlich, daß der Comte den Bootsmann los sein wollte. Die Karaffe, die vor ihm auf dem Tisch stand, war zu mehr als der Hälfte gefüllt.

      Dem Kutscher schlug das Herz plötzlich bis zum Hals hinauf. Er war weiß Gott kein Angsthase, aber die ganze Atmosphäre dieses Raumes, der ihn an eine Gruft erinnerte, trieb ihm den Schweiß aus den Poren.

      Der Kapitän begann plötzlich zu stöhnen. Sein Gesicht verzerrte sich. Wütend stampfte er mit dem Fuß auf.

      Der kleine Mann mit der Schürze, der die Kammer wieder verlassen hatte, nachdem die Möwen serviert waren, wieselte durch die Tür, schenkte Wein nach und träufelte aus einer winzigen Flasche ein paar Tropfen in die dunkelrote Flüssigkeit.

      Wie ein Verdurstender schüttete der Comte den Wein in sich hinein. Sein Gesicht blieb noch für Minuten verkniffen, dann löste es sich, und in seine Augen trat ein tückisches, gemeines Glitzern.

      Er beugte sich vor und fixierte den Kutscher.

      „Sag dem englischen Schwein, was ich von ihm wissen will“, sagte er. Es hörte sich an wie das Zischeln einer Schlange.

      Ehe der Kutscher den Kopf drehen konnte, weil er merkte, daß der Comte den Profos angesprochen hatte, spürte er etwas Kaltes an seinem Hals. Er erstarrte. Langsam senkte er den Blick und sah die Schneide eines Messers im Schein der Kerzen blitzen.

      „Was hat Le Requin mit euch vor?“ fragte der Muskelprotz mit gequetschter Stimme. Irgend etwas stimmte mit seinem Kehlkopf nicht. Dem Kutscher gingen noch andere Gedanken durch den Kopf, aber der Schmerz an seinem Hals brachte ihn wieder zur Besinnung. Er merkte, wie ihm Blut am Hals hinunter in den Kragen lief.

      „Ich – ich weiß es nicht!“ stieß er hervor. „Ich weiß nicht einmal, warum sie mich allein an Bord zurückgelassen haben.“

      „Er weiß nichts, Vert-de-gris“, sagte der Comte lächelnd. „Was für ein Glück, daß er kein Schwätzer ist. Sonst hätte er uns um unser Vergnügen gebracht, nicht wahr?“

      Der Glatzkopf grinste unter seiner Perücke, die ihm in die Stirn gerutscht war, und nickte.

      „Soll ich die Schaukel …“

      Der Comte winkte ab und verzog gelangweilt das Gesicht.

      „Das haben wir doch erst letzte Woche gehabt“, sagte er. „Vert-de-gris, du willst doch nicht anfangen, mich zu langweilen?“

      Der Glatzkopf schüttelte so heftig den Kopf, daß ihm seine Perücke über die Ohren rutschte. Da er das Messer nicht vom Hals seines Opfers nehmen wollte, fiel die Perücke zu Boden. Hastig bückte sich der Profos danach. Es schien ihm in diesem Moment egal, daß er den Kutscher dabei aus den Augen lassen mußte.

      Im nächsten Augenblick wußte der Kutscher auch, warum.

      Das rötliche Gesicht des Comte verzerrte sich zu einer Maske des Wahnsinns. Seine rechte Hand zuckte zurück und schleuderte das Glas auf den Glatzkopf, der sich gerade wieder aufrichtete.

      „Du haarloses Schwein wagst es, mir ohne Perücke unter die Augen zu treten?“ kreischte der Comte mit sich überschlagender Stimme. „Ich werde dich vierteilen und zerschneiden lassen und deine einzelnen Stücke an den Rahen aufspießen!“

      Der Profos hatte die Perücke wieder auf dem Kopf. Er hatte die Hände an die Hose gelegt und verbeugte sich ein paarmal. Er sagte kein Wort. Wahrscheinlich wußte er, wie er den Comte am schnellsten wieder beruhigen konnte.

      Der spindeldürre Mann tauchte wieder auf und fragte mit zitternder Stimme etwas auf französisch.

      Der Comte sackte in seinem Sessel zurück und schnaufte. Erst als der kleine Mann seine Frage wiederholt hatte, nickte er. Er zog ein Spitzentaschentuch aus dem Ärmelumschlag seines Rockes und fuhr sich damit über das Gesicht, das plötzlich in Schweiß gebadet war. Seine Hand war ruhig, als er das neue Glas entgegennahm und der kleine Mann es mit Wein aus der Karaffe füllte.

      Der Anfall des Comte schien von einem Augenblick zum anderen vorbei zu sein. Es war, als wäre nichts geschehen. Auch der Profos hatte sich gefangen. Er wußte offensichtlich, daß die Gefahr für ihn gebannt war. Er wollte wieder die Hand mit dem Messer heben, um die Spitze dem Kutscher gegen den Hals zu setzen, als dieser reagierte.

      Nichts war dem Kutscher widerwärtiger als Menschen, die sich Lust dadurch verschafften, daß sie andere Lebewesen quälten. Er hatte schon viel auf diesem Gebiet kennengelernt, aber der Comte übertraf sie offensichtlich alle.

      Als der Glatzkopf sich wieder aufrichtete und strammstand und der Comte sich wieder beruhigte, wußte der Kutscher, daß er handeln mußte, wollte er sich nicht als willenloses Opferlamm abschlachten lassen.

      Seine rechte Hand zuckte blitzschnell vor, schloß sich um den Kerzenleuchter und riß ihn hoch.

      Der Glatzkopf wollte sich zurückwerfen, als die Kerzenflammen auf ihn zuschossen, aber er war viel zu langsam.

      Der Kutscher traf das pockennarbige Gesicht und ließ den Leuchter sofort fallen. Er wußte, daß der Muskelprotz nur vor den Flammen zurückgezuckt war. Viel Schaden konnten sie sicher nicht anrichten. Er sah den Degen, der an der vertäfelten Wand der Kammer hing, und sprang darauf zu. Wie durch eine Wand hörte er den unterdrückten Schrei des Glatzkopfes. Er riß den Degen aus der Scheide und wirbelte herum.

      Der Glatzkopf stand immer noch an derselben Stelle und hatte beide Hände vor das Gesicht gepreßt. Offensichtlich hatte eine der Kerzen ihn geblendet.

      Der Kopf des Kutschers ruckte herum zu dem Kapitän und dem kleinen Mann, der mit weit aufgerissenen Augen neben dem Sessel stand.

      In den Augen des Comte war ein gieriges Glitzern. Vielleicht wartete er nur darauf, daß der Kutscher den Spieß umdrehte und den bärenstarken Profos vor seinen Augen tötete.

      Der Kutscher dachte nicht daran. Er wußte, daß niemand auf das Leben des Glatzkopfes Rücksicht nehmen würde. Anders würde es sich bei dem Comte verhalten.

      Es war klar, daß sein Leben verwirkt war. Der Kutscher konnte das Piratenschiff niemals lebend verlassen, wenn er nicht ein Faustpfand in der Hand hatte. Und selbst dieses Faustpfand würde ihm wahrscheinlich nicht einmal helfen.

      Mit wenigen Schritten war er beim Comte und hielt ihm die Spitze des Degens unters Kinn. Der kleine Mann mit der Schürze hob die Hand mit der Karaffe und schleuderte sie. Der Kutscher konnte sich im letzten Augenblick ducken. Das geschliffene Glas zischte dicht an seinem Kopf vorbei und zerklirrte an der Kante einer Truhe.

      Wein spritzte in den Raum. Der rosafarbene Rock des Comte war plötzlich mit kleinen roten Flecken übersät. Fauvenoir begann zu kreischen wie ein Schwein, das abgestochen wird. Er ruckte in seinem Sessel hoch. Die Degenspitze, die ihm der Kutscher gegen den Hals gedrückt hatte, ritzte seine Haut, und gurgelnd sackte er in seinen Sessel zurück.

      Der Kutscher hatte sein Messer gezogen und richtete es gegen den Mann mit der Schürze, der zu zittern begann und beide Arme abwehrend vorstreckte.

      „Raus hier, du Hundesohn!“ schrie der Kutscher ihn an. „Oder ich schneide dir die Ohren ab!“

      Der Mann drehte sich um, lief wie ein Wiesel an dem Muskelprotz vorbei und huschte durch die Tür aus der Kammer.

      Die