Es war ein erhabenes Gefühl, das Mardengo in diesem Augenblick der Befreiung erfüllte, der Beginn des Triumphes. Er war auf dem besten Weg, seine Rache zu verwirklichen. Dieser Hundesohn von einem Engländer hatte ihm alles genommen. Wenn er gemeinsam mit Oka Mama und den anderen den Spaniern in die Hände gefallen war, dann verdankte er das letztlich dem Seewolf.
Gato war im Kampf gefallen – sein engster Vertrauter und sein einziger wirklicher Freund. Allein diese Tatsache hätte dem Kreolen genügt, um blutige Rache zu üben. Aber dieser verfluchte Britenbastard hatte es schon von Anfang an darauf angelegt, ihm Schaden zuzufügen. Beim Kampf um Fort St. Augustine hatte der Engländer kurzerhand mitgemischt, sich quasi ins gemachte Nest gesetzt und den Goldschatz erbeutet, den die Spanier für die Verschiffung nach Europa gehortet hatten.
Dann, im Schlupfwinkel von Pirates Cove, hatte dieser Hurensohn allem die Krone aufgesetzt, indem er auch noch Mardengos eigenen Schatz an sich gerissen hatte. Alle diese Reichtümer befanden sich jetzt im Bauch der Galeone, die sie „Isabella“ nannten.
Nun, dabei sollte es nicht mehr lange bleiben. Zusätzliche Freude befiel den Kreolen bei dem Gedanken, daß er sich nicht nur die Goldschätze zurückholen würde. Nein, auch die „Isabella“ würde sein eigen werden. Ein solches Schiff war genau das Richtige für ihn, dem Rang angemessen, den er in Florida und im Golf von Mexico hatte.
Mardengo riß sich aus seinen Überlegungen los. Es wurde Zeit, daß sie diesen gastlichen Ort namens Pensacola verließen. Den Spaniern war zu wünschen, daß der Hurrikan ihre Ansiedlung vom Erdboden tilgte. Das verdienten sie wahrhaftig, diese blasierten Señores aus Europa, die so täten, als hätten sie alle Herrschaftsansprüche in diesem Land für sich gepachtet.
Er gab seinen Männern das Zeichen. Den Schlüsselbund, den er dem Soldaten abgenommen hatte, versenkte er in seine Hosentasche.
„Bewegt euch so leise wie möglich“, sagte er warnend, „werdet nicht übermütig, weil draußen der Sturm tobt. Vergeßt nicht, daß wir uns im Hauptquartier des Stützpunkts befinden. An jeder Ecke kann uns einer von den Dons über den Weg laufen.“
Die rauhen Burschen grinsten und nickten. Einer fuhr sich mit dem ausgestreckten Zeigefinger vor der Kehle entlang, womit er ohne Worte ausdrückte, welche Behandlung er einem plötzlich auftauchenden Spanier zudachte.
Mardengo setzte sich an die Spitze seiner Gefährten und bedeutete Oka Mama mit einem Wink, unmittelbar hinter ihm zu bleiben.
Vorsichtig, doch zügig, stiegen sie die Steinstufen der Treppe hoch, die in den Wachraum hinaufführte. Dort fanden sie vier Musketen und vier weitere Pistolen in einer Wandhalterung. Auch die erforderliche Munition entdeckten die Piraten in einer Truhe. Mardengo brummte zufrieden, während seine Männer die Waffen klarierten. Sie waren jetzt schon erheblich besser ausgerüstet und konnten auch einer ernsteren Auseinandersetzung gelassen entgegensehen.
Die Steintreppe schraubte sich in engen Windungen aus dem Wachraum nach oben. Mardengo wußte, daß dies ein unmittelbarer Zugang zum Erdgeschoß des Hauptgebäudes war.
Natürlich hatte man beim Bau des Hauptquartiers wohlweislich daran gedacht, den Kerker von den übrigen Kellerräumen abzugrenzen. Eine direkte Verbindung zwischen Kerker und Keller gab es nicht, denn das hätte zusätzliche Fluchtmöglichkeiten bei etwaigen Ausbruchsversuchen geboten.
In unserem Fall bedeutet das zusätzliche Sicherheit, dachte Mardengo amüsiert, und er war sicher, daß wohl keiner der Baumeister an eine solche Möglichkeit gedacht hatte.
Je höher sie auf den Treppenstufen vordrangen, desto mehr verstärkte sich das Toben und Brüllen des Hurrikans. Für den wildverwegenen Haufen des Kreolen war es nichts Ungewöhnliches, obwohl sie die Gefahren einer solchen Naturkatastrophe keineswegs unterschätzten. Aber sie waren mit den Eigenheiten der Natur in diesem Teil der Erde besser vertraut als jeder Eindringling aus dem fernen Europa.
Unbehelligt erreichten sie das Erdgeschoß. Fauchende Luftstöße drangen in den Vorraum, der durch eine große Gittertür vom angrenzenden Korridor abgetrennt war. Mardengo vermutete, daß das Dach des zweistöckigen Gebäudes nicht mehr vorhanden war. Die Sturmböen pfiffen also durch eine Menge Öffnungen, die sie sich freigelegt hatten.
Er nahm den Schlüsselbund aus der Hosentasche und fand nach kurzem Probieren den passenden Schlüssel. Mit leuchtenden Augen sah er sich um, als die Tür aufschwang. In den grinsenden Gesichtern seiner Männer las er, was ihnen allen die wiedergewonnene Freiheit bedeutete.
Wieder übernahm Mardengo die Führung, als sie durch den Korridor vordrangen. Die Pistole hatte er schußbereit in der Rechten, und auch jene Piraten, die mit Musketen, Pistolen und Säbeln ausgestattet waren, hielten ihre Waffen im Anschlag.
Den Aufenthaltsraum der Wachmannschaften fanden sie leer. Dann, in der danebenliegenden Waffenkammer, die gleichfalls vom Sturm unversehrt war, stießen sie auf alles, was sie brauchten, um sich in eine waffenstarrende Truppe zu verwandeln. Egal, wer ihnen jetzt noch über den Weg lief, er würde es mit dem Leben bezahlen.
Mardengo und die anderen, die schon bewaffnet waren, sicherten an den Türen, während die übrigen Kumpane Musketen, Pistolen, Säbel, Dolche, Pulverflaschen und Kugeln an sich rissen.
Mardengo nickte zustimmend, als ihm einer der Männer eine doppelläufige Offizierspistole mit ziselierten Läufen brachte. Es war eine Waffe, wie sie ihm dem Rang nach zustand. Er schob die einschüssige Pistole unter den Hosengurt und lud die Doppelläufige.
Aus dem infernalischen Lärm, den der Hurrikan immer noch verursachte, konnten sie schließen, daß die Sturmböen weniger Widerstand fanden als zu Beginn. Der Hurrikan hatte folglich reiche Ernte gehalten, Pensacola mußte zum größten Teil zerstört sein, und wahrscheinlich hatte eine beträchtliche Zahl der Einwohner dabei das Zeitliche gesegnet.
Mardengo und seine Männer empfanden kein Mitleid. Sie bedauerten nur, daß ihnen nicht die Zeit blieb, die ganze Stadt zu durchkommen und zu plündern. Erkleckliche Reichtümer lagen hier vermutlich brach und herrenlos. Aber sie mußten sich auf das Hauptgebäude des Stützpunkts beschränken und mit dem vorlieb nehmen, was sie mit ihren Händen tragen konnten. Denn wahrscheinlich fanden sie kein geeignetes Transportmittel, um eine größere Beute fortzuschaffen.
Bislang war ihnen keine Menschenseele im Erdgeschoß über den Weg gelaufen. Mardengo rechnete damit, daß es auch so bleiben würde, denn das feige spanische Offiziersgesindel hatte sich garantiert samt und sonders in die schützenden Kellergewölbe verkrochen.
Sie durchstöberten die Wohnräume eben jener Offiziere und hohen Beamten. Keiner der Señores hatte sich die Zeit genommen, Wertgegenstände und Geld ebenfalls in Sicherheit zu bringen. Das nackte Leben war ihnen wichtig genug gewesen, um allen Mammon zu vergessen.
Oka Mama geriet in Verzückung, als sie eine besonders prunkvoll eingerichtete Offizierswohnung durchstöberten. Vor den offenen Laden einer großen Kommode gingen Mardengos Mutter fast die Augen über. Begeistert winkte sie ihren Sohn heran.
„Sieh dir das an, mein Junge! Sieh dir das nur an!“ Sie zog eine doppelreihige Perlenkette hervor, an der jede einzelne Perle in kostbares Feingold gefaßt war. Sie legte sich die Kette um den Hals. „Einen Spiegel, Mardengo, los, los, hol mir einen Spiegel!“
Er grinste breit und lachte.
„Den Gefallen tue ich dir nicht, Mutterherz. Pack von mir aus den ganzen Plunder ein. Hier …“ Er griff in eine der unteren Laden und nahm einen Leinenbeutel heraus. „Bewundern kannst du dich dann später, so lange du willst, wenn wir erst einmal in Sicherheit sind.“ Er winkte einen der Piraten herbei, damit er seiner Mutter beim Einsacken des Goldschmucks half.
Oka Mama verzog enttäuscht das faltige Gesicht. Aber sie beugte sich der Entscheidung ihres Sohnes. Sein Wort galt. In Situationen dieser Art führte nur er das Kommando, da redete sie ihm nicht hinein. Denn die Kerle brauchten eine starke Hand. Und