„Ich habe aufgepasst!“
„Nein, so aufmerksam, dass Sie auch auf so winzige Spuren achten konnten, die für das Auge unsichtbar sind und die erst mit Hilfe eines auf Blut reagierenden fluoreszierenden Mittels wie Luminol erkennbar werden, können Sie unmöglich gewesen sein, Mister McGregor.“
McGregors Gesicht lief rot an.
„Wollen Sie mir etwa was anhängen? Bitte! Durchsuchen Sie meine Wohnung! Seit Korea habe ich keine Waffe mehr in der Hand gehabt! Außerdem bluffen Sie doch nur! Sie haben mir niemals Fingerabdrücke genommen.“
„Erstens könnten wir das nachholen und zweitens wurden Ihre Fingerabdrücke beim Eintritt in die Army genommen. Das mag schon lange her sein, aber das spielt keine Rolle!“, gab Milo zu bedenken.
„Geben Sie es schon zu“, sagte ich. „Ich glaube nicht, dass Sie mit dem Tod Ihres Nachbarn zu tun haben. Sie waren vorher mal in der Wohnung. Das lässt sich einwandfrei beweisen. Und ich verstehe ehrlich gesagt nicht, weshalb Sie uns das erstens nicht vorher gesagt und zweitens es jetzt so hartnäckig leugnen.“
„Es sei denn, es gibt einen Grund dafür und Sie haben noch etwas mehr mit der Sache zu tun, als wir bislang geglaubt haben“, fügte Milo noch hinzu.
McGregor sprang von seinem Sofa auf.
Er lief unruhig hin und her, warf dann einen Blick aus dem Fenster und stand eine ganze Weile wie erstarrt da. Milo wollte noch etwas sagen, aber ich bedeutete meinem Kollegen mit einer Handbewegung, dass es vielleicht geschickter war, dem Mann jetzt ein paar Augenblicke zum Nachdenken zu geben.
Er wischte sich mit der Hand übers Gesicht.
Dann platzte endlich der Knoten.
„Okay“, sagte er. „Was ich Ihnen gesagt habe, stimmt. Jedes Wort davon. Bis auf...“
„...die Tatsache, dass Sie zuvor schon mal in der Wohnung waren“, beendete ich seinen Satz.
„Ja.“
„Warum und wann?“
Er drehte sich herum und schluckte. „Sehen Sie, ich lebe seit dem Tod meiner Frau ziemlich zurückgezogen. Die Nebenjobs und meine Pension, das hält mich gerade so über Wasser. Ich habe noch jede Menge Zeit, in der ich meistens einfach nur hier in meiner Wohnung sitze, vor mich hinbrüte, fernsehe...“
„Kommen Sie auf den Punkt, Mister McGregor!“, forderte ich.
„Wissen Sie, wenn man sonst nichts zu tun hat, fängt man an, seine Umgebung zu beobachten. Außerdem hört man ja so viel von Gewalt und Verbrechen in den Medien, da sollte man schon vorsichtig sein.“
„Und da ist Ihnen Mister Fabian gleich aufgefallen“, sagte ich.
„Nein, nicht gleich. Aber über die Jahre hinweg fand ich es schon sehr seltsam, dass jemand eine Wohnung mietet, in der er fast nie lebt. Ich habe mich nach Fabian erkundigt. Es schien ihn niemand zu kennen. Er mit keinem im Haus gesprochen und bekam als einziger im Haus weder eine Zeitung noch Post. Das war schon eigenartig. Wissen Sie, da beginnt die Fantasie natürlich zu arbeiten. Eine konspirative Wohnung? Ein Treffpunkt von Agenten irgendeiner ausländischen Macht? Weiß der Geier, was einem da alles durch den Kopf geht.“
„Also konnten Sie es irgendwann nicht mehr aushalten und haben mal nachgesehen“, schloss ich.
McGregor nickte. „Ja, so war es. Es hat ja wohl keinen Sinn, das weiter zu leugnen.“
„Wie sind Sie hineingekommen?“
„Ich habe einen Schlüsseldienst bestellt und behauptet, die Wohnung nebenan wäre meine Wohnung. Das hat niemand genauer überprüft. Anschließend habe ich mir einen Nachschlüssel machen lassen, mit dem ich dann über die Jahre immer wieder mal kontrolliert habe, was da drüben so vor sich geht.“
„Wann waren Sie zuletzt da?“
„Vor genau drei Wochen. Nachdem der grauhaarige Typ hier auftauchte, mit dem Mister Fabian sich gestritten hat. Ihr Kollege Prewitt hat ja ein Bild nach meinen Angaben gemacht. Ist auch ganz gut geworden, finde ich.“ Er sah uns an. Einen nach dem anderen. „Sie tappen auch noch ziemlich im Dunkeln, was?“ Er mache eine Pause und fuhr dann fort: „Werde ich jetzt eigentlich angezeigt? Ich meine, weil ich in der Wohnung war.“
„Sie haben nichts entwendet und wir sind nicht vom Einbruchsdezernat des zuständigen NYPD-Reviers“, sagte ich.
„Heißt das, Sie lassen es unter den Tisch fallen?“
„Das heißt, Sie kommen wahrscheinlich mit einer Einstellung des Verfahrens wegen geringer Schuld gegen eine Geldbuße davon.“
„Wovon sollte ich die denn zahlen?“
Ich wechselte einen Blick mit Milo und antwortete dann: „Vielleicht beeindruckt es die Justiz ja, wenn Sie maßgeblich zur Aufklärung eines Verbrechens beitrügen.“
„Wenn Sie meine Meinung hören wollen, dann sollten Sie mal herausfinden, wovon dieser Fabian eigentlich gelebt hat.“
Ich sah ihn etwas erstaunt an.
Er erwiderte den Blick, hob die Augenbrauen und fuhr fort: „Ja, von den Erträgen seines kleinen Aktienvermögens hätte ja nicht mal ich leben können!“
„Davon wussten Sie auch?“, fragte ich.
„Ich habe die Kontoauszüge abgefangen, die einmal im Monat mit der Post kamen. Ich weiß, ich habe Ihnen erst gesagt, dass er gar keine Post bekommen hätte. Aber das war auch wirkliche das einzige. Und für die letzten anderthalb Jahre stimmt meine Aussage auch, weil da nämlich keine Auszüge mehr kamen. Ich nehme an, die Bank hat diesen Service eingestellt und die Auszüge nur noch Online oder per Automatenausdruck zukommen lassen.“
Ich war perplex.
Dieser Mann hatte seinen Nachbarn tatsächlich nach Strich und Faden ausspioniert. Und doch war er dem Geheimnis von Jay Edgar Fabian alias Jack Fabiano nicht auf die Spur gekommen.
Oder vielleicht doch?
Ich traute McGregor mittlerweile alles zu.
Milo war ziemlich gereizt. „Wenn Sie sonst noch etwas wissen, dann...“
„...sollte ich es Ihnen natürlich jetzt besser sagen, das haben Sie mir ja eindringlich klar gemacht, Gentlemen. Übrigens möchte ich betonen, dass ich die Auszüge immer in die Umschläge zurückgetan und diese wieder verschlossen habe. Wenn man Dampf benutzt kann man es so hinkriegen, dass niemand was merkt.“
Ich war der Überzeugung, dass McGregor jetzt dringend einen Schuss vor den Bug brauchte.
„Sie können von Glück sagen, dass Sie offenbar sorgfältig genug waren“, sagte ich. „Denn im Gegensatz zu Ihnen, wissen wir inzwischen nämlich sehr genau, wovon Mister Jay Edgar Fabian alias Jack Fabiano lebte. Er war ein Lohnkiller.“
McGregor erbleichte.
„Sie haben – wohl ohne es zu wissen – mit dem Feuer gespielt, Mister McGregor“, stellte Milo fest. „Sie können sicher sein, dass Mister Fabian Sie umgebracht hätte, wenn ihm klar gewesen wäre, was Sie da tun!“
Das schien McGregor in diesem Augenblick wohl auch zu dämmern. Der Schock, der sich in seinem Gesicht widerspiegelte, konnte kaum gespielt sein.
Ich langte in die Innentasche meines Jacketts und holte das Phantombild des Lockenkopfs mit der Maui-Jacke hervor, der sich in der Mordnacht im Dolce Vita nach Fabiano erkundigt hatte.
„Wenn Sie das Leben Ihres Nachbarn schon so gut ausgekundschaftet haben, dann ist Ihnen vielleicht auch schon mal dieser Mann hier begegnet, von dem wir annehmen, dass er mit Fabiano bekannt war!“
McGregor nahm das Phantombild. Er sah es sich genau an, runzelte die Stirn und nickte schließlich.
„Diesen Kerl habe ich schon