„Dann verstehe ich nicht, wieso nicht bereits sämtliche Uniformen von Army und Polizei aus diesem Material sind!“
„Darauf arbeiten wir ja hin – aber der Weg bis zu diesem Ziel dürfte noch ein paar Jahre in Anspruch nehmen.“
„Es gibt also noch Probleme?“, schloss ich.
„Ja. Der Tragekomfort ist noch nicht ausreichend. Auf Grund der großen Dichte schwitzt man stark. Es findet kein ausreichender Luftaustausch statt. Ein guter Kälteschutz ist das Material allerdings auch nicht. Wenn Sie Kleidung daraus machen wollen, die nicht steif wie ein Brett herumsteht, dann dürfen Sie eine gewisse Gewebedicke nicht überschreiten. Diese Gewebedicke reicht aber nur aus, um kleinkalibrige MPi-Munition oder Pistolen- und Revolverschüsse abzuhalten. Jagdgewehre und Schrot natürlich auch. Aber die Austrittsgeschwindigkeit des Projektils bei modernen Sturmgewehren beträgt über 1000 Stundenkilometer. So etwas wird höchstens aus großer Entfernung noch von Avlar-Tex aufgefangen. Ansonsten geht es glatt durch. Und das größte Handicap ist bislang noch der Preis. Wer einen Anzug aus dem Material haben will, muss mindestens zehntausend Dollar auf den Tisch legen.“ Er grinste plötzlich. „Ich habe doch recht oder? Das Opfer wurde durch einen Gewehrschuss getötet?“
„Es war ein Schuss in den Kopf“, erwiderte ich trocken. „Wenn ich Sie richtig verstanden habe, gibt es aber Leute, denen es 10 000 Dollar wert ist, in einem Anzug mit unangenehmen Schwitzklima herumzulaufen, der sie aber zumindest vor Pistolenschüssen schützt!“
„Mit den zehntausend Dollar habe ich nur den Materialwert beschrieben“, sagte Bannister. „Sie müssen auch noch einen Schneider finden, der das außerordentlich dichte Material verarbeiten kann! Das ist nämlich nicht so ganz einfach. Wir sind allerdings mit einem Spezialisten in Kontakt, der für uns Prototypen von Westen, Anzügen oder anderen Kleidungsstücken angefertigt hat, die wir für die ballistischen Tests unserer Entwicklungsabteilung oder einzelne Kunden brauchen.“
„Unser Mordopfer war vermutlich einer Ihrer Kunden“, sagte ich.
„Ich habe nach dem Telefonat mit Ihrem Kollegen Agent Carter eine Liste aller Kunden der letzten zwei Jahre anfertigen lassen.“ Bannister griff zielsicher in eine der Schreibtischschubladen und zog einen Computerausdruck hervor.
Dann schob er ihn über den Tisch. Ich nahm das Blatt. Ein paar Dutzend Namen standen darauf. Weder Jay Edgar Fabian noch Jack Fabiano waren darunter.
Ich holte ein Bild von Fabiano hervor und hielt es Bannister hin. „Das ist unser Mann. Leider steht sein Name nicht auf der Liste, aber er könnte den Anzug unter falschem Namen gekauft haben.“
„Also falls er diesen Anzug nicht aus zweiter Hand gekauft hat, was ich für ausgeschlossen halte, dann muss er auf dieser Liste stehen“, beharrte Bannister. „Schließlich sind wir die einzigen Anbieter von Avlar-Tex. Es gibt da zwar ein paar minderwertige Konkurrenzprodukte, aber so wie ich Ihren Kollegen verstanden habe, wurde das Gewebe eindeutig mit unserem Patent identifiziert.“
„Das ist richtig“, nickte ich.
Ich reichte die Liste an Milo weiter. „Dann werden wir wohl oder übel alle Personen auf dieser Liste überprüfen müssen...“
„Wer nimmt denn solche Aufträge bei Ihnen entgegen? Der müsste doch Fabiano nach dem Phantombild identifizieren können!“, glaubte Milo.
„Diese Aufträge nehme ich persönlich entgegen“, erklärte Bannister. „Das mag Sie wundern.“
„Allerdings!“, gestand ich.
„...aber bedenken Sie, dass unser Produkt noch lange nicht serienreif ist. Es gibt nur Einzelstücke und da müssen wir aufpassen, dass die Träger zum Image unserer Firma passen.“
„Also verkaufen Sie nicht an jeden?“, hakte ich nach.
„Richtig. Präsidenten, Schauspieler, Diamantenhändler ja – Mafia-Bosse und Gangster nein. So einfach ist das.“
„Vorausgesetzt, Sie wissen auch mit wem Sie es zu tun haben.“
„Selbstverständlich. Ein gewisses Risiko ist immer dabei. Außerdem kann natürlich jemand eine Anzug im Auftrag für einen anderen bestellen.“ Bannister deutete auf das Phantombild. „Dieser Mann war niemals hier, das kann ich beschwören. Ich habe ein gutes Gedächtnis für Gesichter. Aber...“
Er zögerte.
„Aber was?“
„Versuchen Sie es doch bei Mister Derek Sheldon, unserem Schneider. Die Anzüge werden maßgeschneidert und Mister Sheldon hat in seinem Metier einen Rang, der es ihm erlaubt, nur Kunden zu bedienen, die sich die Stücke persönlich anmessen lassen. Wenn Ihr Mann also einen Anzug bekommen hat, dann war er auch dort!“
„Dann geben Sie uns bitte die Adresse, Mister Bannister“, forderte Milo ihn auf.
14
Derek Sheldons Atelier befand sich in West New York. Es handelte sich um eine ehemalige Fabrikhalle, deren Dach mit reichlich Glas ausgestattet war, sodass ein von Licht durchfluteter Raum entstand. Man hätte fast meinen können, sich unter freiem Himmel zu befinden. Etwa ein Dutzend Mitarbeiter hatte Sheldon angestellt. Überall lagen Stoffballen herum. Offenbar fertigte er auch ganz gewöhnliche Maßanzüge für Leute, die sich das leisten konnten. FBI-Agenten gehörten leider nicht dazu.
Eine schrill wirkende Assistentin mit hoch toupierten blonden Haaren führte uns zu Sheldon.
Wir fassten in knappen Sätzen zusammen, worum es ging und was wir von ihm wollten.
„Ich verarbeite Avlar-Tex nicht sehr gerne“, meinte er. „Dieser Stoff macht einem die Nähmaschinen kaputt. Außerdem braucht man ein Spezialgarn, besondere Nadeln und so weiter.“ Sheldon machte eine wegwerfende Handbewegung. „Allerdings dürfte ich einer der wenigen Schneider sein, die sich überhaupt an das Zeug herantrauen und deshalb werden diese Jobs auch sehr gut bezahlt.“
Ich zeigte ihm das Bild von Fabiano.
„Dieser Mann muss hier gewesen sein, um einen Anzug anzupassen.“
Sheldon warf einen Blick auf das Foto und verzog das Gesicht. „Der sieht ja übel aus...“
„War er hier oder nicht?“, fragte Milo etwas genervt.
Sheldon nickte. „Ja. Das ist Mister Dale Edwards. Ich erinnere mich daran so genau, weil es das einzige Mal war, dass ich gleich zwei Anzüge aus diesem verfluchten Stoff machen musste.“
„Mister Edwards liebte wohl die Abwechslung“, meinte Milo und sah auf der Liste nach, die Bannister uns gegeben hatte. „Dale Edwards steht drauf, Milo. Inklusive Adresse.“
„Nein, der zweite Anzug war nicht für Mister Edwards, sondern seinen Begleiter.“
„Was?“, horchte ich auf. „Wie sah dieser Begleiter aus?“
„Mitte dreißig, dunkelhaarig, gelockte Haare.“
„Dieser