Ich hatte es oft ein gutes Stück weit hinaus zum Djurgården geschafft, bis ich die schlimmsten Auswirkungen „abmarschiert“ hatte. Der Überkonsum von Kaffee passierte mir oft bei einem Gespräch mit einem guten Freund, und so ein Spaziergang war dann eine willkommene Gelegenheit für interessante Diskussionen.
Auch dieses Mal saß ich mit einem Bekannten im Café, wünschte mir aber innerlich, ich wäre allein. Als in mir dieses Gefühl plötzlich stark aufwallte versuchte ich, mir nichts anmerken zu lassen und trank mit gespielter Gelassenheit den Kaffee. Meine Hände hatten sich um die Tasse verkrampft, als wäre sie ein Pfeiler an den ich mich klammern müsste während ein Sturm aufzieht. Mein Bekannter erzählte weiter von dem Buch, welches er gerade las und es schien, als hätte er noch nichts Ungewöhnliches an mir bemerkt. „Erzähl weiter!“ bat ich im Stillen, während ich es immer schwerer hatte, mich auf seine Worte zu konzentrieren. All meine Energie musste ich dafür aufwenden, meine Hand daran zu hindern, in einem spasmischen Krampf zu verfallen. Die Kaffeetasse fing wieder an, auf diese merkwürdige Art zu wackeln. Sie schlug gegen den Untersetzer, dennoch war seltsamerweise kein Laut zu hören. Sie vibrierte nun merklich, aber lautlos. Verwundert erkannte ich, dass die Tasse zitterte, aber ohne dass sich meine Hand dabei bewegte, die sie zwar hart, aber ruhig umschloss. Der Kaffee darin bewegte sich jedoch, dem stetigen Vibrieren seines Gefäßes zum Trotze, überhaupt nicht.
Ich war von diesem Phänomen vollkommen gefangen und vergaß meine Umgebung völlig. Im Hintergrund hörte ich noch meinen Bekannten sprechen. Wäre ich nicht so von dem merkwürdigen Phänomen der Kaffeetasse gefangen gewesen, wäre mir dabei deutlich aufgefallen, dass seine Stimme so klang, als hätte man die Geschwindigkeit auf ein Minimum reduziert. Während der ganzen Zeit in der ich meine Tasse studierte, schaffte er es nicht, mehr als ein paar Worte zu sagen. Es war als ob die Zeit stillstünde, oder zumindest die Geschwindigkeit ihres verinnens so verringert wurde, dass jede Sekunde mehrere Minuten dauerte.
Ich blinzelte irritiert, so als ob ich von der Sonne geblendet würde, obwohl uns diese in den hintersten Ecken des Cafés kaum erreichen konnte. Meine Kaffeetasse begann auf einmal grell aufzuleuchten, und nach einer kurzen Weile leuchtete die ganze Umgebung: der Tisch, die Stühle, die Zuckerdose rechts von meiner Kaffeetasse und schließlich sah ich auch von meinem Bekannten ein blendendes Leuchten ausgehen.
Schräg links von mir, an einem anderen Tisch, saß eine junge Frau mit der ich geflirtet hatte, seit wir ins Café gekommen waren. Sie war attraktiv, was mich fast von meiner Unterhaltung mit meinem Bekannten abgelenkt hatte, und dadurch, dass sie allein saß und ein Buch las, schien sie mir besonders interessant. Aus ihrer Richtung konnte ich ein intensives, pulsierendes Licht wahrnehmen, und als ich versuchte, meinen Blick von der merkwürdigen Kaffeetasse loszureißen, um zu ihrem Tisch zu sehen, spürte ich, dass ich paralysiert war. Noch nicht einmal die Augen konnte ich bewegen. Das alles war wohl kaum eine normale Reaktion auf ein paar Tassen Kaffee zuviel. Panik stieg in mir auf und ich begann, gegen sie anzukämpfen, so dass ich nicht von ihr übermannt werden würde. Eine ganze Menge verschiedener Gedanken schossen mir durch den Kopf: Was zum Teufel passiert hier? Benehme ich mich komisch? Wirke ich irgendwie seltsam? Habe ich eine Psychose bekommen? Vor allem: Merkt meine Umgebung etwas davon?
Die Gedanken flogen durch mein Bewusstsein, und wenn ich sage flogen, so geschah dies nicht auf eine Weise, die ich schon einmal erlebt hatte. Ich konnte meine Gedanken tatsächlich als fliegende Objekte sehen, die wie wabernde Textstreifen in der Luft an mir vorbei tanzten. Je mehr ich meine Aufmerksamkeit auf dieses Phänomen lenkte, desto deutlicher sah ich meine Gedanken, und desto mehr wurden sie. Zum Schluss war ich fast ertränkt in hüpfenden und tanzenden Worten und Sätzen. Ich wollte mich übergeben.
Das Gefühl, mich erbrechen zu müssen, war wie eine Rettung. Die Gedanken waren während den letzten paar Sekunden zu unzähligen Objekten geworden, hüpfend und trällernd wie kleine lästige Wesen. Es war, als würden sie einen furchtbaren Tanz um mich herum aufführen und sich auf meine Kosten lustig machen, weil ich sie nicht kontrollieren konnte. Als die Übelkeit in mir aufwallte, fühlte sie sich wie eine reinigende Woge an und die zu Objekten gewordenen Gedanken flohen wie eine Horde schrill lärmender Wichtel. Es war so absurd, dass die Panik in einen tonlos bebenden Lachanfall überging. Die Situation fing fast schon an mir zu gefallen. Das hier war keine normale Reaktion auf zu viel Kaffee! Und was mir den Hals hinauf stieg, war nicht das Sandwich, welches ich eben gegessen hatte, sondern eben genau dieser Lachanfall, der in mir aufzuwallen begann. Ein lautloser Lacher kam aus mir heraus, und ich sah ihn mir aus dem Mund sprühen wie eine Fontäne in allen Regenbogenfarben. „Das ist total krank!“ dachte ich und als ich mein eigenes Gelächter so vor mir im Raum sah, lachte ich nur noch mehr. Eine Stimme am Tisch sagte mir, ich sollte mich zusammenreißen. „Die Leute sollen nicht merken, dass ich mich komisch benehme“, dachte ich. Nun waren die Gedanken endlich wieder in meinem Kopf und ließen es zum Glück bleiben, vor meinen Augen herum zu hopsen. Ich war zwar immer noch paralysiert, fühlte aber, wie ich endlich wieder eine Art Kontrolle über mich zurückerlangen konnte. Meine Aufmerksamkeit richtete sich nun wieder auf meinen Bekannten, und da sah ich wieder, dass er nicht mehr als ein Wort von dem Satz herausgebracht hatte, den er gerade begonnen hatte.
„Die Zeit steht still“, dachte ich erneut und analysierte schnell meine Situation. Ich kam zu dem Schluss, dass es drei alternative Erklärungen für das gab, was gerade passierte. Vielleicht war ich schlichtweg verrückt geworden? Aber so weit kannte ich mich in Psychologie aus, dass ich wusste, das hier war keine normale Art, verrückt zu werden. Soziale und genetische Faktoren waren ausschlaggebend, aber solche gab es nicht, zumindest nicht soweit ich wusste. Solch deutliche Halluzinationen sind außerdem ziemlich selten bei Psychotikern, sie kommen eher bei Menschen vor, die eine halluzinogene Droge genommen haben. Aber vielleicht hat ja mein Freund mir LSD in meinen Kaffee gemixt während ich auf der Toilette war? Was aber diesem höchst gewissenhaften Jurastudenten kaum ähnlich sehen würde. Oder vielleicht hatte ein Terrorist irgendwelche Drogen in die Kaffeekanne getan? Dies erschien mir allerdings noch unglaubwürdiger. Die dritte Möglichkeit war schon eher wahrscheinlicher: Ich war gerade dabei eine spontane außerkörperliche Erfahrung zu machen; eine Astralprojektion, in der das Bewusstsein den physischen Körper verlässt.
Ich war noch sehr jung als ich zum ersten Mal erlebte, wie ich meinen physischen Körper verließ. Ein Laut aus dem Keller im Haus meiner Eltern weckte mich, und neugierig wie ich war schlich ich mich aus dem Bett um nachzusehen, was das Geräusch verursacht hatte. Als ich die Treppe hinab gehen wollte, stellte ich fest, dass ich flog oder schwebte, wie eine Art Gespenst.
Da dieses Erlebnis schon so lange her ist, kann ich mich nicht mehr so richtig an meine Reaktion erinnern, sehr nennenswert kann sie aber nicht gewesen sein. Wahrscheinlich dachte ich, es wäre nur eine Art komischer Traum, oder vielleicht ist die Welt einfach im Großen und Ganzen viel zu absonderlich für ein kleines Kind, dass es so ein Erlebnis nicht als seltsamer empfindet als ein anderes.
Der Keller pulsierte in gedämpften grünen und roten Farben. Ein Schatten kam auf mich zu und baute sich vor mir auf, nahm menschliche Gestalt an. Zuerst war ich erschrocken, dann aber nahm ich all meinen Mut zusammen und blickte den Schatten an. Langsam begann es, meine eigene Form anzunehmen, fast wie ein dunkles Spiegelbild. Die Angst nahm dann doch noch überhand und ich rannte hinauf, zum Schlafzimmer meiner Eltern. Als ich versuchte, meine Mutter zu wecken, glitt meine Hand durch ihren Körper als wäre ich ein Geist. Da wachte ich endlich in meinem Zimmer auf und rannte gleich zu meinen Eltern, die ich zum Glück dieses Mal aufwecken konnte.
Bevor ich die Schule begann hatte ich solche außerkörperlichen Erfahrungen mit einer gewissen Regelmäßigkeit, auch wenn ich bis dahin noch nichts von diesem Begriff wusste.
Wie der Name schon sagt, beinhaltet ein solches Erlebnis das Gefühl, sich außerhalb seines physischen Körpers zu befinden, und zwar damit, was traditionell als Seele bezeichnet wird.
Wenn ich solche Erlebnisse als Kind hatte, war es sehr spannend für mich und weckte meine Neugier, genau wie vieles anderes in der Welt, wenn man klein ist. Es war dabei aber nicht interessanter als das, was in der physischen Welt passierte, sondern eben einfach ein Teil des Lebens selbst. Manchmal war es etwas beängstigend, aber auch nicht