Bereits im VE 2005 war für nicht im Handelsregister eintragungspflichtige Einzelunternehmen, Stiftungen und Vereine ausdrücklich eine auf Einnahmen und Ausgaben sowie die Vermögenslage beschränkte Buchführung vorgesehen (VE 957 II). Der Entwurf 2007 ergänzte die Vorschrift lediglich mit der Aussage »Die Grundsätze ordnungsmässiger Buchführung gelten sinngemäss«. In der parlamentarischen Beratung wurde der Gesetzesartikel des Entwurfs gründlich überarbeitet. Das Parlament wollte, ähnlich wie im Ausland mit der sog. Mikro-Richtline der EU, insbesondere kleine Unternehmen administrativ entlasten. Die Buchführungspflicht wurde von der Eintragungspflicht im Handelsregister abgekoppelt und in Abweichung vom rechtsformenneutralen Buchführungs- und Rechnungslegungsrecht für Einzelunternehmen und Personengesellschaften mit weniger als CHF 500‘000 Nettoerlös die Sonderregelung der Einnahmen- und Ausgabenrechnung eingeführt. Im Entwurf 2007 war diese nur für Kleinstunternehmen mit weniger als CHF 100‘000 Nettoerlös vorgesehen. Von der vom Parlament beschlossenen Erhöhung des Schwellenwertes sollten neben kleineren Gewerbebetrieben auch die freien Berufe von der Ausnahmeregelung profitieren können.
Diese einfache Buchhaltung wurde in der Botschaft etwas despektierlich als »Milchbüchleinrechnung« bezeichnet, was sachlich schon deshalb unzutreffend ist, weil die früher üblichen »Haushalt-Milchbüchlein« keine Informationen über Einnahmen und zur Vermögenslage enthielten.34 Die einfache Buchhaltung ist auch in Deutschland und Österreich zur administrativen Erleichterung von nicht buchführungspflichtigen Kleinunternehmen vorgesehen.35 Diese wird für die steuerliche Erfolgsermittlung als Einnahmenüberschussrechnung bezeichnet.36
OR 957 II enthält keine Bestimmungen über die qualitativen Mindestanforderungen an die Aufzeichnung der Einnahmen und Ausgaben, wobei sich diese Begriffe in Anlehnung an den Sprachgebrauch der Praxis auf Einzahlungen und Auszahlungen und somit auf eine Geldrechnung beziehen. Bargeschäfte werden im Kassenbuch und der Post- und Bankzahlungsverkehr in den entsprechenden Büchern erfasst. Wie grundsätzlich im Buchführungsrecht handelt es sich nicht mehr um Bücher im herkömmlichen Sinn, sondern um elektronische Listen oder Tabellen. Bareinzahlungen und -auszahlungen müssen gemäss den Grundsätzen ordnungsmässiger Buchführung »fortlaufend, lückenlos und zeitnah aufgezeichnet werden«.
Eine periodische Abstimmung des Bestandes mit dem Buchsaldo des Kassenbuchs ist bei einem bargeldintensiven Betrieb täglich unbedingt erforderlich.37
Bei der Bestimmung über den Nachweis der Vermögenslage handelt es sich um einen unbestimmten, in verschiedenen Fachgebieten verwendeten und daher auslegungsbedürftigen Rechtsbegriff.38 Es ist unbestritten, dass diese ausschliesslich das Geschäftsvermögen umfasst. Passardi/Fontana39 unterscheiden den zahlungsmittelorientierten Vermögensbegriff, welcher sich auf Zahlungsmittel abzüglich kurzfristige Bankverbindlichkeiten und Nettoforderungen gegenüber dem Unternehmer privat beschränkt und einen erweiterten Vermögensbegriff, welcher alle nach Ablauf des Rechnungsjahres noch vorhandene Gegenwerte von Auszahlungen erfasst. Die »Vermögenslage« kann auch als Summe aller Aktiven umschrieben werden.
Bei einer auf den Zweck ausgerichteten Auslegung von OR 959 genügen eine zahlungsmittelorientierte oder eine der auf Ende des Geschäftsjahres noch vorhandenen Gegenwerten von Auszahlungen beschränkte Vermögensaufzeichnung ebenso wie alle Aktiven nicht dem Begriff der Vermögenslage nach herrschender Lehre.
Nach dieser umfasst die Vermögenslage das Bruttovermögen (die Summe aller Vermögenswerte), die Schulden und das Nettovermögen bzw. die Überschuldung und die Verhältnisse der einzelnen Komponenten zusammen.40
Im Buchführungsrecht (OR 959 III) werden als Aktiven die Vermögenswerte bezeichnet und definiert. Es ist naheliegend, dass ein Begriff, welcher auf einer umfassenden Buchführung und Rechnungslegung beruht, nicht auf die einfache Buchhaltung nach OR 957 II angewendet werden kann. Der Gesetzgeber schreibt im Hinblick auf die Erfolgsermittlung ergänzend eine Buchführung über die Vermögenslage vor. Im Sinn und Zweck der Entstehungsgeschichte der Normen besteht zur Vermögenslage nach OR 959 insofern ein grundlegender Unterschied, indem sich der Nachweis auf die Vermögenswerte und Verbindlichkeiten nur auf das Abschlussdatum des Geschäftsjahres bezieht. Eine laufende Nachführung der Veränderungen der Vermögenswerte wie in der doppelten Buchhaltung ist nicht erforderlich.41 Der Nachweis der Vermögenslage erfordert deshalb auch die regelmässige Erfassung der Guthaben und Verbindlichkeiten aus dem Geschäftsverkehr. Das war übrigens bereits im aOR 957 I bei einer einfachen Buchführung zu beachten, verlangte dieses doch ausdrücklich die Feststellung der Schuld- und Forderungsverhältnisse. Auch Vorräte und Mobilien, und falls in Kleinbetrieben überhaupt vorhanden, auch Immobilien, sind eindeutig in der Darstellung der Vermögenslage auszuweisen.42
Nach Greter/Zihler ist eine systematische Erfassung der Wirtschaftsgüter wegen der gesetzlichen Pflicht der Nachprüfbarkeit (OR 957a II, Ziff. 5) in Form von Karteien oder Tabellen auch als Mindeststandard der einfachen Buchhaltung zu betrachten.43
Für die Wertermittlung der Positionen der Vorräte und des Sachanlagenvermögens ergibt sich ein Problem beim Ausweis in den Abschlussdaten nach dem Erwerbsjahr, werden diese doch durch Mengen- bzw. Preisveränderungen oder Nutzung entwertet. Weil der Gesetzgeber für diesen Sachverhalt keine Regeln vorgesehen hat, vertreten Greter/Zihler die Auffassung, das Unternehmen sei im Wertansatz frei, solange keine Über- oder Unterbewertung vorgenommen wird.44 Nachdem auch kleine Unternehmer als Selbständigerwerbende eine Steuererklärung auszufüllen haben, ist ein Nachweis aufgrund von Abschreibungstabellen der nutzungs- und altersbedingten Wertverminderung von Sachgütern unausweichlich. Es dürfte naheliegend sein, diese Werte in den Vermögensnachweis nach OR 957 II zu übernehmen.
Die praktischen Auswirkungen der Neuerung von OR 957 II sind umstritten. So werden die Vorteile der Vereinfachung gegenüber einer umfassenden doppelten Buchhaltung, den Nachteilen wie der fehlenden Systematik und der grossen Fehleranfälligkeit der Einnahmen-/Ausgabenrechnung, der geringeren Glaubwürdigkeit gegenüber den Steuerbehörden45 und den wegfallenden Vorteilen von stillen Reserven gegenübergestellt.46
2.6 Formelle und materielle Qualitätsanforderungen an die Buchhaltung
2.6.1 Gesamtaufbau der Buchhaltung und Datenerfassung
Die Buchführung ist die Grundlage der Rechnungslegung (OR 957a). Der Zweck der Rechnungslegung (OR 958) bestimmt demnach die formellen und materiellen Qualitätsanforderungen an die Buchführung. Dabei ist zu beachten, dass die Grundsätze ordnungsgemässer Buchführung nach OR 958c für die Einnahmenüberschussrechnung nur sinngemäss gelten, weil sonst