Wie immer man auch die Motive des Xerxes bei der Anlage des Athos-Kanals bewerten will – mit Sicherheit ist er nicht derjenige gewesen, der als erster Mensch der Antike einen schiffbaren Kanal angelegt hat. Hier weist die Spur eindeutig nach Ägypten, in das Reich der alten Pharaonen. Die Ägypter waren gewissermaßen Experten in Sachen Kanalbau. Die alljährlich wiederkehrenden Überschwemmungen des Nil zwangen die Ägypter zur Entwicklung eines ausgeklügelten Systems von Bewässerungskanälen, das die heranströmenden Fluten bändigte und somit ganz erheblich zur Fruchtbarkeit des Landes beitrug. Doch die Ägypter dachten auch in größeren Kategorien. Sie pflegten weitreichende Handelskontakte, insbesondere auch mit der arabischen Welt. Für diese erwies sich eine fehlende Wasserverbindung zum Roten Meer als außerordentlich hinderlich. So kam schon der Pharao Ramses II. (1290– 1224 v. Chr.) auf die Idee, einen antiken Vorläufer des modernen Suezkanals ausheben zu lassen. Doch anscheinend blieben seine Bemühungen im Stadium der reinen Konzeption stecken. Erst unter Necho II. (610–595 v. Chr.) wurde das Projekt, den Nil mit dem Roten Meer zu verbinden, wieder in Angriff genommen. Mit einem nach den damaligen Möglichkeiten großen technischen Aufwand und dem Einsatz unzähliger Arbeitskräfte ging man ans Werk. Doch vollendet wurde es auch diesmal nicht. Die Gründe dafür sind nicht bekannt. Nach einer nicht unbedingt glaubwürdigen Information Herodots sollen bei den Bauarbeiten 120 000 Ägypter ums Leben gekommen sein. Der griechische Historiker erzählt auch, dass die Arbeiten wegen eines Orakelspruchs eingestellt worden seien: Was er da baue, sei nur eine Vorarbeit für die Barbaren.
Der Kanal des Dareios
Tatsächlich wurde das Projekt von einem »Barbaren« realisiert: von Dareios I., dem Vorgänger des Xerxes auf dem persischen Thron. Inzwischen war Ägypten unter persische Herrschaft gekommen. Sowohl aus wirtschaftlichen Gründen, aber auch um des Prestiges willen, realisierte Dareios 495 v. Chr. den seit den Zeiten Ramses II. vorhandenen Traum von einer direkten Verbindung zwischen Nil und Rotem Meer. Die Details sind wiederum von Herodot zu erfahren. Die Länge des Kanals betrug in der Luftlinie etwa 180 Kilometer, das bedeutete, samt Krümmungen, eine Nettofahrtzeit von vier Tagen. Die großzügige Breite (45 Meter) erlaubte es, dass zwei Dreiruderer nebeneinander fahren konnten. Die Tiefe betrug durchschnittlich fünf Meter. Der Kanal begann im Nildelta, nördlich der uralten Stadt Bubastis, lief an der arabischen Stadt Patumos vorbei und mündete dann ins Rote Meer. Wie intensiv der Kanal frequentiert wurde, ist nicht bekannt. Immerhin nahmen sowohl die ptolemäischen Könige als auch römische Kaiser wie Traian (98–117 n. Chr.) Ausbesserungsarbeiten vor, was eine kontinuierliche Bedeutung des Kanals nahezulegen scheint. In arabischer Zeit nahm die Nutzung stetig ab, und seit dem 9. Jahrhundert n. Chr. war der Nil-Rotes Meer-Kanal nicht mehr in Gebrauch. Und erst 1000 Jahre später, zwischen 1859 und 1869, baute der Franzose Ferdinand de Lesseps, in der Tradition eines Ramses, Necho und Dareios, mit dem Suezkanal eine neue künstliche Wasserstraße zwischen dem Mittelmeer und dem Roten Meer, freilich auf einer anderen Trasse als der antike Vorläufer.
Kanalbauten bei den Griechen
Wenn die Griechen auch den Athos-Kanal des Xerxes heftig kritisierten, so bedeutet dies nicht, dass sie generell etwas gegen künstliche Wasserwege gehabt hätten. Wo sie für die Schifffahrt und für den Handel Vorteile sahen, haben sie gerne und häufig Kanäle angelegt. Ein frühes, zugleich auch die Schwierigkeiten beim antiken Kanalbau illustrierendes Beispiel stellt ein Kanal dar, der wohl bereits im 7. Jahrhundert v. Chr. an der Halbinsel Leukas (gegenüber der Küste von Akarnanien) gebaut wurde. Ähnlich wie der Athos war auch Leukas durch einen schmalen Isthmos mit dem Festland verbunden. Die Umsegelung der Halbinsel war bei den Seefahrern gefürchtet. Bereits bei Homer fungiert das Kap Leukates (heute: Dukato) an der Südspitze als der Eingang zur Unterwelt. Nicht unbedingt eine Gefährdung der Schifffahrt, aber doch kein Pluspunkt in der antiken Sympathieskala von Leukas war die Praxis, dass man vom 70 Meter hohen Kap Verbrecher ins Meer stürzte (oder dass, wie man es etwa von der Lyrikerin Sappho behauptete, unglücklich Verliebte dies von sich aus taten).
Ein Kanal macht Schwierigkeiten
Der neue Kanal durch den Isthmos von Leukas bedeutete für die Schifffahrt jedenfalls eine erhebliche Erleichterung, weil man nun küstennah die Ostseite passieren konnte. Allerdings gab es immer wieder Probleme, weil sich in dem ausgehobenen Kanal Schlamm und Sand sammelten. Deshalb musste der Kanal in regelmäßigen Abständen gereinigt werden. Ausgerechnet in der Zeit des Peloponnesischen Krieges (431–404 v. Chr.), als sich die griechischen Großmächte Athen und Sparta samt den jeweiligen Verbündeten bekriegten, war der strategisch nicht unwichtige Kanal von Leukas nicht passierbar. Wie der Historiker Thukydides berichtet, musste eine spartanische Flotte 427 v. Chr. ihre Schiffe über die Landenge ziehen. Pragmatischer ging 218 v. Chr. der makedonische König Philipp V. vor: Er ließ seine Soldaten in einer Art antiker Kehrwoche den Kanal erst einmal säubern.
Kanalbau bei den Römern
Seine Blütezeit erlebte der antike Kanalbau unter den Römern. Für diese war die Anlage von künstlichen Wasserstraßen ebenso wie der Bau von Straßen oder Brücken ein Mittel zur Beherrschung eroberter Räume, ein Element der wirtschaftlichen Belebung und nicht zuletzt auch der Beschäftigung von Soldaten, bei denen man befürchten musste, dass sie in friedlichen Zeiten keine sinnvollen Verwendungsmöglichkeiten für ihre überschüssigen Energien hatten (und dann vielleicht in Aufruhr und Rebellion ihr Heil suchen würden).
Ein früher römischer Kanalbau-Pionier war der als Besieger von Kimbern und Teutonen zu Ruhm und Ehre gelangte Gaius Marius (158–86 v. Chr.). In Südfrankreich legte er 104 v. Chr. bei dem heutigen Arles (dem antiken Arelate) einen Kanal an, der die Mündungen der Rhône mit dem Mittelmeer verband. Das war notwendig geworden, weil das Delta der Rhône durch Schlammmassen so verstopft war, dass die römischen Proviantschiffe kaum mehr hindurchkamen. »Marius«, so berichtet der griechische Biograph Plutarch, »ließ daher durch seine Armee, die gerade nichts zu tun hatte, einen großen Kanal graben, leitete in diesen einen großen Teil des Flusses und führte ihn bis zu einem günstigen Platz an der Küste herum, wodurch er einen breiten Ausfluss ins Meer bekam, der gegen Wind und Wellen geschützt war und große Schiffe tragen konnte«. Nach seinem verdienstvollen Erbauer wurde der Kanal fossa Mariana genannt – römische Politiker und Feldherrn taten gern Gutes, noch lieber aber sahen sie es, wenn ihre Leistungen auch hinreichend gewürdigt wurden. Dankbar waren auf jeden Fall auch die Bewohner von Arelate – ihre Stadt nahm durch den Kanal des Marius einen grandiosen wirtschaftlichen Aufschwung.
Die römische Kaiserzeit
In der frühen Kaiserzeit bauten die Römer eine Reihe von Kanälen vor allem im gallisch-germanischen Raum, dies im Zusammenhang mit der militärischen Erschließung jener Gebiete. 12 v. Chr. errichtete der römische Feldherr Drusus (der Vater des späteren Kaisers Claudius) ein System von Kanälen, die den Niederrhein mit der Nordsee (wahrscheinlich mit der Zuidersee) verbanden – in den Worten des Biographen Sueton ein »gewaltiges Unternehmen« und nach der von Marius begründeten Praxis als fossae Drusinae bezeichnet. 46 n. Chr. baute der Feldherr Corbulo die fossa Corbulonis zwischen der Maas und dem Rhein, ein Kanal von etwa 36 Kilometern Länge. Nach den Angaben der antiken Autoren stand hinter diesem Projekt ein ganzes Bündel von Motiven. Einmal gab es den praktischen Grund, daß man auf diese Weise bequem von einem Fluß auf den anderen überwechseln konnte, ohne die gefährliche Route über die rauhe Nordsee in Anspruch nehmen zu müssen. Zweitens wollte Corbulo die durch die Fluten der Nordsee regelmäßig eintretenden Überschwemmungen beider Flüsse eindämmen. Und schließlich ging es wieder einmal darum, die Soldaten zu beschäftigen – wie der Historiker Tacitus es ausdrückt, sollte die Armee beim Kanalbau ihr »faules Leben« aufgeben.
Missglückte Unternehmen
Der römische Kanalbau war freilich nicht eine einzige Erfolgsgeschichte. Vieles, was man geplant hatte,