Die Göttinnen. Heinrich Mann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Heinrich Mann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783849660048
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ich glaube wohl, dass jene vornehmen Herren mich fürchten, die damals, als ich die schamlosen, verworfenen Sitten des Thronfolgers nach Verdienst öffentlich gebrandmarkt hatte, in mein Haus gedrungen sind."

      "Ach, wie ist das abgelaufen?" fragte sie, begierig auf Geschichten.

      Er blieb stehen.

      "Sie mussten sich in der nächsten Apotheke die Köpfe verbinden lassen. Die Polizei vermied es ängstlich sich einzumischen," sagte er kalt und ging weiter.

      Er gab ihr zehn Sekunden zum Nachdenken; dann hielt er wieder an.

      "Aber niemand, der ein gutes Gewissen besitzt, braucht mich zu fürchten. Man weiß ja gar nicht, wie weich ich bin, wie viel von meinem Zorn aus einer zu zärtlichen Seele kommt, und wie dankbar und treu ich dem Mächtigen, Frau Herzogin, wäre, der für meine Sache seine Hand erhöbe."

      "Und Ihre Sache?"

      "Ist mein Volk," sagte Pavic und setzte seinen Weg fort.

      Sie wanderten über spitze Kiesel. In einem armseligen Acker standen gebückte Gestalten, sie warfen unablässig, mit immer gleichen Bewegungen, Steine auf die Straße hinaus. Der Weg lag voll, und das Feld ward nicht leer. Ein Bauer sagte:

      "So werfen wir das ganze Jahr. Gott weiß, wo der Teufel all' die Steine hernimmt."

      "Das ist auch mein Los," versetzte Pavic sofort. "Jahr ein Jahr aus schleudere ich Ungerechtigkeit und Frevel an meinem Volk aus dem Acker meines Vaterlandes, — aber Gott weiß, woher der Teufel immer neue Steine nimmt."

      Die Öffnung einer Lehmhöhle klaffte. Die Herzogin trat, um dem immer nachdrängenden Volke auszuweichen, auf die Schwelle. Ungeheure irdene Krüge ragten in den Ecken, auf dem Boden von hartgestampfter gelber Erde. Durch den schwarzen Raum zog der Geruch von gebratenem Öl. Vor dem schmälenden Feuer eines feuchten Reisigbündels froren drei Männer in braunen Mänteln. Einer sprang auf und kam mit einem tönernen Gefäß auf die Gäste zu. Die Herzogin wich hastig zurück, aber der Tribun ergriff den Weinkelch.

      "Das ist der Saft meines Mutterbodens," sagte er zärtlich, und trank.

      "Das ist Blut von meinem Blut."

      Er verlangte ein Stück Maisbrot, zerbrach es und teilte mit den Umstehenden. Die Herzogin sah einem großen Seevogel zu, der kreischend durch die Nacht der Höhle flatterte. Eine kleine Natter ringelte auf dem Tisch.

      "Wahrscheinlich ist mir jetzt alles vorgeführt," sagte die Herzogin. Sie wandte sich wieder dem Ufer zu.

      "Sie wollen zur Stadt, Herr Doktor, und haben kein eigenes Boot? Steigen Sie bitte in meines."

      Er nahm einen Knaben mit hinein, ein kränkliches Wesen mit schwachen Augen, weißen Ringellöckchen und von käsiger Farbe.

      "Sie haben einen Knaben bei sich?"

      "Es ist mein Kind. Ich habe es sehr lieb."

      Sie dachte: "Das brauchte nicht gesagt zu werden. Und mitzunehmen brauchte er es auch nicht."

      Nach einer Pause fragte sie:

      "Sie werden doch Pavese genannt?"

      "Ich habe mich so nennen müssen. Ohne die Sitten und sogar die Namen unserer Feinde anzunehmen, können wir in unserm eigenen Lande nicht gedeihen."

      "Wer, wir?"

      "Wir…"

      Er errötete. Sie bemerkte, dass er eine eigentümlich zarte Haut und rosige Nüstern hatte.

      "Wir Morlaken," ergänzte er rasch.

      "Morlaken?" dachte sie. So nannte man also jene Bunten, Schmutzigen dort drüben. Das war also ein Volk. Sie hatte es für eine namenlose Herde gehalten. Sie vergewisserte sich: "Und die Leute am Strande, das waren wohl auch —"

      "Morlaken, Hoheit."

      "Warum verstehen sie nicht italienisch?"

      "Weil es nicht ihre Sprache ist."

      "Ihre Sprache?"

      "Das Morlakische, Hoheit."

      Also besaßen sie auch eine Sprache. Sie hatte, so oft jene die Münder öffneten, ein ungeregeltes Grunzen zu hören gemeint, aus dem Eingeweihte möglichenfalls allerlei traumdunkle Absichten herausahnten, wie aus den Lebensäußerungen der Tiere. Pavic versetzte:

      "Wie ich sehe, ist Ihnen, Frau Herzogin, dieses Volk noch unbekannt."

      "Ich habe unter meiner Dienerschaft nie welche gehabt. Ich erinnere mich, mein Vater nannte sie —"

      Sie besann sich und schwieg. Er schluckte hinunter. Plötzlich gerade ausgerichtet und eine Hand in der Nähe des Herzens, mit der ganzen Spannung eines vielleicht einzigen Augenblickes begann er zu reden.

      "Wir Morlaken sehen zu, wie zwei fremde Räuber sich um unser Land vertragen. Wir sind der Kettenhund, den zwei Wölfe anfallen; und der Bauer schläft."

      "Die beiden Wölfe?"

      "Sind die Italiener, unsere alten Bedrücker, und der König Nikolaus mit seinen fremden Schergen. oh, Hoheit, missverstehen Sie mich nicht. Es hat der Dynastie Koburg niemals ein treueres Herz geschlagen als hier in dieser slawischen Brust. Als die Mächte den Prinzen Nikolaus von Koburg auf Dalmatiens Thron setzten, da ging ein Aufatmen durch die slawische Welt. Die vielhundertjährige Schmach wird nun doch gesühnt werden, so hieß es von Archangel bis Cattaro: denn von Cattaro bis Archangel und vom Eismeer bis zu der öligen Flut des Südens schlagen die slawischen Herzen im gleichen Takt. Die lateinischen Räuber, die ein heiliges Slawenvolk schänden, man wird ihnen endlich den Stein um den Hals binden und sie im Meer versenken. So jauchzten wir! So jauchzten wir voreilig. Denn, Frau Herzogin, wie es war, so ist es geblieben: die Fremden herrschen."

      "Welche Fremden?"

      "Die Italiener."

      "Die nennen Sie fremd? Hier ist doch alles italienisch. In eine Wildnis, an ein ödes Meer haben die Italiener schöne Städte gebaut…"

      "Und nun sitzen — Sie sehen, Hoheit, wie wund Ihre Worte mein Herz trafen, dass ich Sie, Frau Herzogin, zu unterbrechen wage —, und nun sitzen sie in diesen schönen Städten als Spinnen und trinken das arme Blut des slawischen Landes. In den Städten am Meer wird auf Italienisch geschrien, genossen und Theater gespielt. Man führt den Neugierigen, die vorbeifahren, die Komödie einer Wohlhabenheit, einer Gesittung und Zufriedenheit vor, die dieses Land nicht kennt. Dahinter aber, in den langgestreckten, traurigen Gefilden, geht es ernst und stille zu. Dort wird auf slawisch geschwiegen, gehungert und gelitten. Das Reich, Fran Herzogin, ist nicht derer die genießen, es ist der Leidenden."

      Sie fragte sich: "Hält er leiden für ein Verdienst?"

      Der Tribun fuhr fort:

      "Die Barbarei und das Elend in ein Land tragen, wo nur Genügsamkeit und Unschuld waren; in den Leibern der Armen nach Gold graben und um Gold ihre unsterblichen Seelen verkaufen, — das nannten unsere einstigen Herren, die Venetianer: kolonisieren. Zum Ersatz für alles was sie uns nahmen, sandten sie uns ihre Künstler, die bauten uns einige nichtsnutzige Monumente; daran durften die Hungernden sich satt sehen."

      Er sprang auf. Die gespreizte Rechte ausgestreckt nach der weißen Stadt, die vor ihnen sich aus dem Wasser erhob, rief er in den Wind hinein:

      "Wie ich sie verabscheue, diese ruchlose Schönheit!"

      Die Herzogin wendete, leicht angewidert, den Kopf weg. Pavic vermochte sich in dem heftig schwankenden Boot nicht lange auf den Beinen zu halten; er taumelte und saß hart nieder. Dann legten sie an. Pavic seufzte tief:

      "Der König Nikolaus weiß von alledem nichts. Ich achte ihn, er ist fromm, und auch ich war als einfaches Slawenherz immer ein gläubiger Sohn der Kirche. Aber er steckt im Lügengarn der Italiener. Hätte er sonst einen treuen Untertanen wie mich, verfolgt und eingekerkert?"

      Ihr Wagen war vorgefahren, sie stand schon am geöffneten Schlage; plötzlich sah