Die Göttinnen. Heinrich Mann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Heinrich Mann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783849660048
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      "Sie streuen unsere Saat noch dorthin aus, wohin keine Sonne und kein Regen fällt. Wozu?"

      "Ich bin ein slawisches Gemüt," erklärte er. "Ich weiß wohl, ich kann nicht rechnen. Bin viel zu träumerisch und zu nachgiebig."

      "Ach ja, Sie sind ein Romantiker."

      "Die Kasse muss in festeren Händen sein," sagte er, und überzeugte dadurch sich selbst von seiner Uneigennützigkeit. Gleich darauf gab er dem undeutlich gefühlten Wunsch nach, sie in Freundeshänden zu wissen.

      "Wenn Hoheit sie einer praktischen Persönlichkeit übergaben … zum Beispiel der Fürstin Cucuru…"

      "Praktisch ist sie … Ich will sie lieber der Contessa Blà geben."

      Piselli stand dabei, als die Blà die Verwaltung des Geldes übernahm. Er zählte die Banknoten, mit geübten Fingern. Es war nicht mehr viel. Die Briefe und Belegstücke stimmten nicht zusammen. Piselli erklärte kurzerhand alles für ordnungsgemäß, ohne Pavic anzublicken, der errötend wegsah. Zum Schluss trat er, noch in Anwesenheit der Herzogin, frei und ritterlich auf den gewesenen Geschäftsführer zu.

      "Lieber Freund, wenn Sie etwa noch Forderungen an die Kasse haben … Sie wissen, wir erledigen das freundschaftlich."

      Das unbekümmerte Gebühren eines bedeutenden Finanzmannes stand Piselli zum Entzücken. Die Herzogin verzieh seiner Anmut die Leerheit der Kasse. Die Blà hatte nichts zu verzeihen; sie fühlte sich in seiner Schuld, weil er da war.

      Kurz darauf erschien Pavic mit einer rettenden Nachricht. Ein dalmatinischer Flüchtling in Rom, ein Schuster, hatte einen Brief erhalten von seinem Vetter, einem Viehhändler, dem ein jüdischer Wucherer in Ragusa gesagt hatte, er wolle der Herzogin so viel leihen, als sie gebrauche. Der Zinsfuß war nicht einmal hoch. Niemand nahm den Zwischenfall ernst; da kam ein Scheck auf die römische Bank und ward ausbezahlt. Monsignor Tamburini, äußerst wissbegierig in Geldsachen, zog Erkundigungen ein. Eines Tages, im Zimmer der Herzogin, sagte er:

      "Nur Baron Rustschuk kann der Geber sein. Was für ein bedeutender Mann!"

      Pavic wusste es längst und verschwieg es aus Eifersucht auf den Finanzmann.

      "Dieser Verräter!" rief er sofort. "Dieser doppelte Verräter! Er hat uns verleugnet, so oft unser Glück ins Schwanken kam. Hoheit erinnern sich, wie er Sie laut verleugnete, damals als…"

      "Als der Bauer gespießt wurde," so ergänzte die Herzogin.

      Er schnappte nach Luft.

      "Wer war der erste, der uns nach unserer Niederlage verließ? Rustschuk! Sofort hat er sich den Koburg angeboten, vollständig ohne Gewissen. Ich begreife es nicht, wie man ohne Gewissen leben kann: ich bin ein Christ…"

      Piselli bezeugte es ihm.

      "Gewiss, das sind Sie."

      "Nun nennt man ihn den kommenden Mann, den Retter der schiffbrüchigen Dynastie. Er ist auf dem Wege zum Finanzminister!"

      Aller wunde Ehrgeiz des Tribunen kreischte auf in diesem Wort.

      "Und in eben diesem Augenblick erfrecht er sich zu einem zweiten Verrat! Er bietet uns Geld an! Er verkauft uns diejenigen, an die er uns eben noch verraten hat!"

      "Wir zahlen ihm Zinsen," meinte begütigend die Blà. "Das entschuldigt ihn."

      "Ein hoch bedeutender Mann!" wiederholte Tamburini. Pavic geriet vollends außer sich.

      "Sie finden ihn bedeutend, einen Abtrünnigen und einen Käuflichen, — Sie, Monsignore, der Priester der Wahrheit?"

      Tamburini hob die Schultern, gemächlich und stark. "In der Politik gibt es keine Wahrheit, es gibt nur Erfolge."

      Pavic, der Erfolglose, senkte den Kopf. Er sehnte sich nach Freunden, in denen das gleiche halb erstickte Rachegefühl gegen die Glücklichen schwelte, wie in ihm selbst. Nun trafen ihn lauter fremde Blicke. Die Herzogin erklärte ihm:

      "Sie müssen doch zugeben, Herr Doktor, dass mein Hausjud gescheit ist. Er richtet sich so ein, dass er auf alle Fälle Finanzminister werden kann. Sollte es wider Erwarten mit den Koburg schief gehen, dann wird er meiner. Ja, ich glaube fast, ich mache ihm die Freude."

      "Hoheit könnten es tun?"

      "Er beweist mir ja täglich seine Talente … Ganz abgesehen davon, dass ich ihn ungewöhnlich grotesk finde."

      "Grotesk! Ja ja, grotesk!"

      Pavic lachte laut auf. Er vollführte eine jähe Willensanstrengung und setzte sich, mit einer Gelassenheit, die noch fieberte.

      "Sie nehmen ihn als lustige Person. Wenn Sie erst wüssten, wie weit er's darin gebracht hat. Kürzlich hat er den königlichen Hausorden bekommen."

      "Worin liegt die Komik?" fragte Tamburini befremdet.

      "Warten Sie nur."

      Pavic kicherte erregt.

      "In den Verdiensten, die die Auszeichnung begründen. Er verdankt sie seinen Dummheiten, die ja am Scheitern unserer Revolution schuld sind. Die Herrschaften erinnern sich der Pächterunruhen. Rustschuk war albern genug, unser bewährtes Pachtsystem abschaffen zu wollen. Sie kennen auch die Geschichte mit dem Schauspieler, den er als geisteskrank einsperren ließ. Seit alle diese Dummheiten ihm einen Orden eingetragen haben, spricht er davon wie von Intrigen. Er hält sich allen Ernstes für einen verräterischen Ränkeschmied und ist seitdem in seinen Augen unermesslich gewachsen."

      "Auch in meinen," sagte lächelnd die Herzogin. Alle lächelten mit. Aber Pavic presste sich die Seiten, unsäglich erleichtert. Rustschuk war glücklich, daran war nichts zu ändern. Aber er war auch lächerlich, und das machte vieles gut. Die Blà versetzte:

      "Und er baut vor sich her einen Wall von Viehhändlern, Wucherern und Schustern. Durch ein Labyrinth geheimnisvoller, nicht sehr sauberer Hände sickert sein Geld, unsichtbar und geräuschlos, bis…"

      "Bis es endlich zu uns gelangt," so vollendete Piselli, sichtlich befriedigt.

      "Eine offizielle Persönlichkeit! Spielt doppeltes Spiel und fürchtet sich zu kompromittieren," flüsterte die Herzogin vor sich hin, und durchkostete den Sinn der Tatsache.

      "Was aus einem Hausjuden alles werden kann!"

      "Mehr als aus dir, du Arme," dachte Monsignor Tamburini, auf sie herabblickend.

      Öfter als die andern zeigte sich die Blà in dem weißen Häuschen auf dem Caelius. Sie trat unangemeldet zu der Herzogin in die hängende Vigne, wo das Weinlaub sich färbte. Die jungen Frauen waren beide weiß gekleidet, die schwarzen Flechten der Herzogin von Assy hoben und senkten sich im Nacken auf einer Veilchenstickerei, die aschblonden ihrer Freundin über einem Kragen von Rosen, und ohne einander zu berühren, gingen sie hin und her im Schatten ihres biegsamen Daches: kleine blattförmige Himmelsausschnitte durchleuchteten ihn blau. Am Ende des Ganges, bei den Pfeilern, blieben sie manchmal stehen und lehnten die leichten Schultern zusammen, um gemeinsam hindurchzuspähen durch die Spalten des verführerisch roten Vorhanges, den die Reben herabließen. Die Blà sah drunten im Garten einen Strauch, oder vielleicht nur eine seiner Blüten, die eben einen Falter trug. Der Blick der Herzogin fand alsbald in der Ferne das Forum, er tauchte dort in Gewölbe und erstieg Säulen, ohne dass es ihm schauerte oder schwindelte. Es war ihr Traum, den sie entsandte, ihr Traum von Freiheit und irdischem Glück. In eine Toga geworfen, feierlich und stumm, bewegte er sich zwischen jenen leeren Sockeln, über jene vom Moose gesprengten Fliesen, auf denen er, — so fühlte sie, — zu Hause gewesen war, ehe sie versanken und zerbrachen.

      Nach mehreren solchen Stunden, als einige Male der weinrote Vorhang der Träumerei sich vor ihren beiden Seelen geöffnet hatte, waren sie Schwestern und nannten sich Du. Die Herzogin meinte jetzt mit ihrer Beatrice schon lange Hand in Hand gegangen zu sein, nämlich nahe dem Meeresstrande, in jener kleinen Kirche voller Engel, wo zwei Frauen in Lichtgelb und Blassgrün einem Knaben nachfolgten mit goldenen Locken und langem, pfirsichrotem Gewande. Die Stunde,