Vinon ordnete ihr Schreibgerät vor sich auf dem Tische, sie zog Linien, sauber und genau, und begann dem Diktat der Mutter zu folgen.
"Wir schreiben Französisch, meine Vinon, das ist die Diplomatensprache. Nimm dein Wörterbuch zur Hand."
Die junge Prinzessin schlug Vokabeln nach, die Ellenbogen auf dem Tische, ernst und vertieft wie ein Schulmädchen.
"Das ist einmal eine Arbeit," stöhnte die Fürstin, "mir brummt schon der Kopf. Ich brauche eine Anregung. Lilian, mein Kind, reiche mir die Schachtel mit den Zigaretten."
Das Schlafzimmer war, da die Damen es spät verlassen hatten, noch nicht aufgeräumt. Lilian kehrte in den Salon zurück; es gehörte ihr kein dritter Raum. Sie hob einen alten Morgenrock auf, dessen Saum herabhing und durchkostete eine lange Weile, mit untätigen Händen, die Erniedrigung, diesen Fetzen ausbessern zu müssen. Dann machte sie sich daran.
Die Alte stieß zwischen den Sätzen, die sie Vinon vorsagte, Rauchwolken aus und trällerte dabei im scharfen Diskant, kurzluftig und heiter, Bruchstücke einer Arie. Endlich war sie fertig, sie faltete die Hände und warf den Kopf in den Nacken.
"Wenn du mein neues Geschäft nur segnen wolltest! Ohne deinen Segen schlägt es natürlich wieder fehl. Ach was, du wirst es segnen."
"Kinderchen!" rief sie und sprang auf. "Wir wollen meine Madonna bitten, meine schöne Madonna!"
Sie wälzte sich zur Tür, die sie aufstieß.
"Meine Leute! Kommt alle herein, ihr müsst mit mir beten, damit meine Madonna mein neues Geschäft in ihren Schutz nimmt."
Der fettige Kellner, Carlotta und Joseph der Arbeitsmann, die Köchin und die Scheuerfrau drängten hinter der Fürstin her, in das Schlafgemach. Lilian wandte sich ab, händeringend. Vinon lachte. Die Cucuru ließ sich auf die Kniee nieder vor einer großen, glatt und süß gemalten Madonna, ihrer Hausgöttin, die ihr durch alle Schiffbrüche ihres Lebens und bis in das Haus Dominici treu geblieben war. Inmitten von abgelegten Strümpfen, von Puderbüchsen, Waschschüsseln mit ausgekämmten Haaren und von nicht mehr frischen Peignoirs knieten die Bediensteten der Pension. Sie ließen Rosenkränze durch schwarze Finger gleiten und plärrten mit zuversichtlichen Stimmen nach, was die Fürstin, im Litaneienton, ihnen vorbetete.
Am nächsten Mittwoch des Kardinals kam der garibaldinische Eroberungsplan zur Sprache. San Bacco selbst vertrat ihn mit Feuer. Die Cucuru lachte schallend und fuhr wieder die mit Blumen und Knallbonbons gefüllten Kanonen auf. Monsignor Tamburini sagte mit der fetten Stimme der Wirklichkeit, man müsse sich für eines entscheiden: mit Hilfe der Kirche langsam Boden zu erkämpfen, oder aber mit einem Schlage alles gewinnen zu wollen und wahrscheinlich alles zu verlieren, — nach Art grauer Jünglinge. Darauf schnaubte San Bacco dem Priester zu, nur das Kleid, das er anhabe, schütze ihn vor einer Züchtigung. Tamburini sah sich, leicht beunruhigt, nach zustimmenden Gesichtern um. Schließlich gab die Blà ihm recht. Sie widerriet ihrer Freundin ein übereiltes Abenteuer. Die Herzogin fragte enttäuscht: "Warum haben Sie neulich geschwiegen?" Die Blà dachte an Piselli, sie errötete schwach. Die Herzogin erinnerte sich: "Sie hatte ja Besseres zu tun…"
Der Abend verlief flau. Die Cucuru erzählte, albern wiehernd, der Herzogin, sie habe jetzt ein neues, sicheres Geschäft; es werde ihr viel Geld einbringen.
"Nächstens eröffne ich meine Pension. Kommen Sie zu mir, Herzogin, es kostet nur vier Lire, das werden Sie doch bezahlen können. Und dafür will ich Sie nähren! So fett sollen Sie werden wie ich selber."
Die folgende Versammlung fiel aus. Ereignislos gingen die Wochen hin. Die Herzogin fuhr Korso mit der Blà. Wenn sie beim Konzert auf dem Monte Pincio in einer Reihe glänzender Gefährte hielten, besuchten Pavic und Piselli, in schönem Anzüge wetteifernd, sie am Wagenschlage. Prinz Maffa und seine aristokratischen Klubfreunde ließen sich vorstellen. San Bacco grüßte aus einem Kreise offizieller Persönlichkeiten heraus die verbannte Herzogin von Assy.
Nach einem sanften Musikstück schlenderte in der stillen, warmen Septemberdämmerung die ganze Gesellschaft zu Fuße die Ripetta entlang. Monsignor Tamburini stieß zu ihr.
"Ein Gelato zu einer Kantilene von Rossini, was wollen wir denn mehr?" fragte die Blà, süß erschauernd. Piselli ging neben ihr. Sie fügte träumerisch hinzu:
"Zum Konspirieren braucht man so viel Geld."
Pavic wiederholte trübe:
"So viel Geld."
Tamburini bestätigte hart und habsüchtig:
"Geld."
Lüstern und weich sprach Piselli es nach:
"Geld."
San Bacco, der erhabene Bettler, der im Namen des Ideals alles umsonst hatte, ließ das Wort verächtlich fallen:
"Geld."
Befremdet, als hörte sie zum ersten Male davon reden, sagte die Herzogin:
"Geld."
V
Zur rechten Zeit erinnerte die Herzogin sich einer Summe von dreihunderttausend Franken, die ihr verstorbener Gemahl, der Herzog, als Reisepfennig für alle Fälle bei der Bank von England liegen zu lassen pflegte. Sie erhob das Geld und verteilte es unter Tamburini und Pavic. Dem Tribunen diente es zur Ermunterung seiner Söldner in Dalmatiens Presse, Beamtenschaft und Volk, dem Priester als Vergütung für die ersten schüchternen Hilfeleistungen der Geistlichkeit. Es reichte nicht weit; darauf verblieben ihr die Einkünfte aus ihren sizilianischen Besitzungen, um Caltanissetta und bei Trapari.
Pavic hatte die Rechnungen zu führen, aber das Exil machte ihn faul und genusssüchtig. Er fühlte sich als Erster Minister einer entthronten Königin, — und war er nicht von Rechts wegen sogar ihr Geliebter? Misshandelt als Liebhaber und als Staatsmann, aus Reich und Schlafzimmer verbannt, konnte er seine schmerzliche Größe unmöglich schlecht nähren und billig kleiden. Aus Achtung vor seinem Seelenleiden schonte er seinen Körper und schaffte ihm ein wattiertes Dasein. Sein tragisches Geschick war etwas ausgesucht Vornehmes, er hüllte sich weich darin ein, wie in die teuren englischen Stoffe, deren Gebrauch er von Piselli erlernte. Seufzend setzte er sich auf die Samtpolster der feinsten Speisehäuser und verzehrte, trübe und geringschätzig, die köstlichsten Diners. Er ließ sich in den Cercle des Prinzen Maffa einführen und verlor beim Baccara ansehnliche Summen, nicht so sehr aus Prahlerei wie aus Nichtachtung für alles, was nicht in seiner Psyche vor sich ging. Seines Kindes beraubt, büßte er viel von der sittlichen Festigkeit des Familienvaters ein; bald kannte man ihn allgemein unter Damen mit heiteren Sitten. Sein Gemüt befriedigten sie nicht, es sehnte sich oft nach edlerem Austausch. Dann lud er die Fürstin Cucuru und ihre Töchter an den mit Damast gedeckten Tisch irgendeines roten Hotelsalons. Beim Dessert hatte Vinon zu viel Champagner im Kopf. Pavic fing das junge Mädchen gerührt in seinen Armen auf. Bei diesem Anblick berechnete die Cucuru, ein wie segensreicher Gebrauch unter Umständen von der herzoglichen Kasse gemacht werden könne. Doch empört mischte Lilian sich ein. Sie nahm alles von oben herab, die Gerichte, die Weine und den Gastgeber. Die Mutter bemühte sich ganz vergeblich, sie zu entfernen. Schließlich erheuchelte sie einen Erstickungsanfall und fiel vom Stuhl. Lilian ließ sie einfach liegen; sie behauptete, nüchtern und weiß, ihren Posten zwischen ihrem erhitzten Schwesterchen und dem reichen Herrn.
Es kamen Pavic manchmal unklare Bedenken, als ob seine neue Lebensführung in keinem richtigen Verhältnis stehe zu der Höhe des Gehaltes, das seine Herrin ihm aussetzte. Doch wich er peinlichen Entdeckungen aus, und es ward ihm leicht, denn seine persönlichen Ausgaben waren seit