Die Herzogin sagte, ohne zu lachen:
"Seine Ehre hängt ihm von Gesinnungen ab, nicht von Handlungen. Das ist das Vorrecht einiger."
"Einiger … die keine Bürger sind," sagte die Blà.
Die Umgebung des Forums schlief lichtlos und ohne Geräusche. Die langen Zeiten entrückten diese Steine um Welten aus dem Dasein des ehrsamen Volkes bei Wein und Morraspiel, der schleichenden Geächteten in den Neubauten, der blassen Genießer vor den Kaffeehäusern. Zuweilen wandelte über schattenhafte Tempelstufen eine hagere Säule, in Mondstrahlen gekleidet, dicht vorüber an den Wagenfenstern der Frauen. Am dunkel starrenden Mauerwall des Kolosseums, unter dem Konstantinbogen weckten die Hufe und die Räder einen Widerhall, so mühsam, als fei er von einem längst verschollenen Echo der verspätete Rest. Dann erstieg der Weg, weiß zwischen den schwarzen Wänden von Klöstern und Zypressen, den Caelius. Die Herzogin lehnte sich tiefer zurück.
"Und Sie selbst? Alles was ich von Ihnen erfahre, klingt mir offen und vertraulich wie ein Selbstgespräch. Aber wie wollen Sie, dass ich über Sie selbst denke? Was sind Sie, Contessa?"
"Keine Contessa. Mein Vater war ein Franzose und Kapitän bei den päpstlichen Zuaven. Noch nach seinem Tode litt meine Mutter unter seiner verjährten Untreue. Sie war schwach und launisch, und ich ertrug ihre Launen mit einer krankhaften Bereitwilligkeit. Kaum war sie gestorben, so heiratete ich einen schwindsüchtigen Engländer, ich hätte sonst das Leiden in meiner Nähe entbehrt."
"So gerne leiden Sie?"
"Für jemand zu sorgen und zu dulden, ist mir unglücklicherweise ein Bedürfnis, dessen ich mich schäme."
"Und Sie selbst, Contessa, Sie möchten nicht in die Arme genommen und getröstet werden?"
"Wenn ich mich nach einer Vergeltung meines Mitleids sehnte, wäre es dann noch etwas wert?"
"Sie haben recht. Und so haben Sie also gelebt?"
"Mein Mann, der Schriftsteller war, konnte wenig mehr arbeiten. Er lehrte mich diesen Erwerb, und ich schrieb als Contessa Blà anfangs Modebriefe, dann Plaudereien, schließlich sogar Politik, ich weiß nicht warum mit katholischem Anstrich. Man sucht sich seinen Geist nicht immer selbst aus. Der Kardinal fördert gern Talente, er gibt mir jeden Mittwoch eine Portion Gefrorenes oder eine Tasse Tee, und wenn ich darum bäte, würde er mir anstandslos beides gleichzeitig verabfolgen."
Wie sie ankamen, äußerte die Herzogin lächelnd:
"Wir sprechen miteinander, als ob wir uns lieb hätten."
"Gleich in den ersten Minuten unseres heutigen Abends sind Sie mir lieb geworden," erwiderte die Blà.
"Wie ist es gekommen?"
"Weil Sie lachten, Herzogin, weil Sie nach allem, was Ihnen begegnet ist, noch lachen konnten über die heuchlerischen, wichtigen Gebärden und Mienen der Bürger."
"Jetzt verraten Sie mir noch, was Sie mit ,Bürgern' meinen."
"So nenne ich alle, die hässlich empfinden und ihre hässlichen Empfindungen obendrein lügenhaft ausdrücken."
"Sie wollen mich lieb haben, das macht mir wahre Freude."
"Hoffentlich wird es Ihnen niemals Kummer machen. Von mir geliebt zu werden, ist ein fragwürdiger Vorzug. Bis jetzt haben eine leidende Grillenfängerin ihn genossen und ein englischer Phthisiker."
Noch in ihrer Gartenpforte, zwischen den beiden zueinander geneigten Zypressen wiederholte die Herzogin:
"Wir wollen recht oft einander sehen."
Sie empfing den Besuch des Monsignor Tamburini, der ihr sagte:
"Der Kardinal ist von der Ankunft Eurer Hoheit ganz entzückt."
"Ich danke Seiner Eminenz aufrichtig."
"Er unterhält jeden, der zu ihm kommt, von der berückenden Persönlichkeit der Herzogin von Assy. Ja, Herzogin, er ist begeistert von Ihnen und Ihrer Sache."
"Begeistert?"
"Und wie sollte er es nicht sein? Eine so edle Frau, und eine so große Angelegenheit! Die Freiheit eines Volkes! Dafür hegt der Kardinal das wärmste Mitgefühl. Er betet für Sie."
"Betet?"
"Und auch ich bete," fügte er hinzu und gab sich Mühe, sein Organ des weltlichen Fettes zu entkleiden.
Sie verstummte. Er sagt stärkere Unwahrheiten, dachte sie, als die Höflichkeit ihm vorschreibt. Warum? Er rechtfertigte sich.
"Die Kirche begünstigt bekanntlich jede Art werktätiger Liebe, und wie viele schöne Gesinnungen treten hier in den Dienst eines unglücklichen, von Tyrannei und Armut darnieder gedrückten Volkes. Sie, Frau Herzogin, sind die hehre Liebe selbst. Uneigennützige Gotteskämpfer wie der Marquis von San Bacco tragen das Feuer ihres Mutes herzu. Und darf der christliche Priester fehlen, wo Staatsmänner wie Pavic und Finanzleute wie Rustschuk eine wahrhaft biblische Gesinnung hegen? Sind sie doch klug wie die Schlangen und unschuldig wie die Tauben."
"Besonders Rustschuk," meinte sie, ohne das Gesicht zu verziehen.
"Rustschuk ist ein hochbedeutender Mann! Wir verfolgen seine Tätigkeit seit langem. Das Übergewicht, das ihm seine Geschicklichkeit unter den Kapitalisten des südöstlichen Europa verschafft hat, beschäftigt uns."
"Also so wichtig ist mein Hausjud'?"
"Hoheit! Ohne ihn oder gar gegen ihn ist in Dalmatien nichts auszurichten. Bedenken Sie, all das Geld!"
Er wiederholte aus vollen Backen:
"All das Geld! … Wer wirken und herrschen will unter den Menschen, braucht Mut, Klugheit und Geld: diese drei. Das Geld aber ist das höchste unter ihnen."
"Monsignore, jetzt vergessen Sie die Liebe!"
Eben war er ehrlich, sagte sie sich, und hörte ihn wieder süß werden. Er schwelgte in den seelischen Reizen einer großen Dame, die noch im jugendlichen Alter den Eitelkeiten der Welt den Rücken wendet.
"Standen Sie nicht in der Fülle alles Glanzes, den eine vornehme Geburt, Reichtum, Schönheit und Anmut verleihen? Sie aber, Frau Herzogin, erachteten das alles für nichts. Noch in sehr jugendlichem Alter entsagten Sie und wurden Mutter, Trösterin und Fürsprecherin der Witwen, Verlassenen, Waisen und Bedrückten, der Darbenden und Hilflosen … Speiserin und Stillerin der Hungernden und Dürsten den, Schwester der Siechen…"
Er nannte alle Zustände des menschlichen Elends, die ihm einfielen, und alle evangelischen Tugenden, zu denen sie Gelegenheit gaben. Seine Finger mit quadratischen Nägeln hoben und senkten sich nachzählend auf seinem schwarzen Gewande. Endlich hat er seine Gefühle genügend aufgemuntert, um auszurufen:
"Am Krankenbett der Menschheit stehen Sie, Frau Herzogin, als dienende Magd, in der Glorie christlicher Demut!"
Sie fand sich angewidert:
"Ich bin weniger demütig als Sie glauben. Auch handle ich ohne Vorschrift, also unfromm."
Er sah sie an, mit offenem Munde und stockendem Verständnis. Doch fasste er sich gleich.
"Daher Ihre Prüfungen!" erklärte er triumphierend.
"Sie tun viel Lobenswertes, ich leugne es nicht. Aber Sie tun es ohne den rechten Glauben. Und Gott sieht auf das Herz allein. Erkennen Sie dies, solange es noch Zeit ist!"
Staunend horte sie ihn in einen barschen, landläufigen Predigerton verfallen.
"Er