Die Göttinnen. Heinrich Mann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Heinrich Mann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783849660048
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Das Geräusch weniger Schritte verirrte sich an den Ort. Vom Kloster der heiligen Johannes und Paulus her schlürften manchmal durch den Bogen des Kaisers Dolabella die Sandalen eines Mönches.

      Seitwärts unter ihrem überspringenden Dache hatte die weiße Villetta der Herzogin einen Pfeilergang. Von dort erblickte sie, eingerahmt von den beiden Zypressen, die an ihrem Gartengitter sich zueinander neigten, das Kolosseum und das Trümmerfeld des Forums.

      Im Innern klapperten die Absätze auf roten Fliesen. Die Zimmer waren dunkel tapeziert oder geweißt. Die Möbel luden durch Formen und Stellungen zum Meditieren ein oder zum Beten. Etwas Sachtes und leicht Dumpfiges hing wie unsichtbare Spinnengewebe in allen Räumen; es glich einer Erinnerung an alte Bücher, schwarze, behutsam gleitende Gewänder und längst abgestandenen Weihrauch. Die Herzogin dachte an Monsieur Henry, ihren spottsüchtigen Lehrer.

      "Ich will ihm doch schreiben, wohin ich nun geraten bin."

      Sie benachrichtigte Pavic. Er stellte sich alsbald ein und brachte San Bacco mit. Der Freiheitskämpfer ging feierlich auf sie zu; sein Gehrock war über den Hüften zusammengeschnürt und stand oben offen. Blitzenden Auges sagte er:

      "Willkommen, Herzogin, im Exil!"

      "Marquis, ich danke Ihnen!" erwiderte sie, mit leiser Parodie seines tragischen Tonfalls.

      Pavic trat vor.

      "Euere Hoheit taten einen folgenschweren Schritt, als Sie, ohne den Rat Ihrer Freunde einzuholen, Ihr sicheres Asyl verließen."

      Sie hob die Schultern.

      "Lieber Doktor, haben Sie sich denn eingebildet, ich würde mein Leben im Kloster beschließen?"

      "Wir hofften, Sie würden Geduld haben, nur noch eine Weile. Man arbeitete für Sie."

      "Wir arbeiteten für Sie," wiederholte San Bacco. Die Herzogin meinte:

      "Gut. Arbeiten wir also gemeinsam! Und unterhalten wir uns nebenbei. Rom macht mir einen fast närrisch lustigen Eindruck."

      Sie wies durch das Fenster auf den schwermütigen Platz. Pavic rang die Hände.

      "Ich beschwöre Sie, Frau Herzogin, setzen Sie keinen Fuß hinaus! Bei Ihrem ersten Erscheinen verhaftet man Sie!"

      "Verhaften? Ah! Meine Herren, es ist Ihnen noch unbekannt, welchen mächtigen Schutz ich genieße."

      "Einen … Schutz?" fragte Pavic mit hörbarer Enttäuschung.

      "Den Schutz unserer heiligsten Mutter, der Kirche."

      Sie lächelte und bekreuzte sich. Pavic ahmte hastig ihre Gebärde nach, er bat die Sünde ihres Hohns in Gedanken ab.

      "Nun schweigen Sie?"

      San Bacco schritt aufgeregt durch das Zimmer. Er rief in der Fistel:

      "Ich ehre die Kirche, als Christ, als Demokrat und als Edelmann. Aber wo ihre Tätigkeit beginnt, da endet die des Soldaten. In meiner Vorstellung, Herzogin, erscheint der Priester erst am Sterbebett des Helden!"

      "Marquis, Sie haben vollkommen recht, bis auf eine Kleinigkeit: ich bin kein Held."

      Sie stellte sich vor ihn hin und sah ihm in die Augen.

      "Sie überschätzen mich, mein Lieber, ich bin schwach. Die Langeweile hat mich schwach gemacht. Ein starker, gewandter Priester lief mir in den Weg, ein Vikar des Kardinals Grafen Burnsheimb, und ich bin ihm hierher gefolgt. Was wollen Sie, Marquis, ich bin erst fünfundzwanzig! Man muss nicht zu viel von mir verlangen. Ich habe Freunde in Rom, die mich über mein Unglück trösten werden. Monsignor Tamburini erzählt mir, dass die Prinzessin Laetitia hier ist. Ich kenne sie seit Paris und will sie aufsuchen. Meinen Sie, dass die Fuchsjagden im Oktober ohne mich stattfinden sollen?"

      San Bacco schüttelte den Kopf.

      "Sie stellen sich frivol, Herzogin! Inmitten der leichtfertigen Festlichkeiten in Zara waren Sie von historischer Größe … jawohl, von historischer Größe! Und jetzt, unter der Last eines pathetischen Verhängnisses, kokettieren Sie mit Oberflächlichkeit. Sie lieben das Bizarre, Herzogin, — und es steht Ihnen."

      "Aber Ihnen steht das Geistreiche gar nicht. Seien Sie gut!"

      Sie bot ihm die Hand.

      "Ich muss eine Menge Einkäufe machen. Sie sehen, wie es hier kahl ist. Kommen Sie, begleiten Sie mich. Nicht wahr, Sie schenken mir ein paar Stunden?"

      Er murmelte:

      "Ein paar Stunden? Ich gehöre Ihnen ja ganz."

      Er beugte sich über ihre Finger. Sein rotes Kinnbärtchen zitterte.

      Hinter ihnen stand Pavic, betreten und mit einem bitteren Geschmack auf der Junge. Die Herzogin wandte sich um.

      "Und Sie, Herr Doktor, sind Sie versöhnt?"

      Pavic stammelte:

      "Bin ich nicht Ihr Diener? Frau Herzogin, Ihr Diener, wie es auch kommen mag. Ich hatte mir's anders gedacht. Sie sind in Gefahr, Sie fürchteten sich, ich wollte Sie decken mit meiner Brust…"

      Da sie den Mund verzog, verwirrte er sich vollständig.

      "Auch ich selbst fürchtete mich, es ist ja wahr … Genug, jetzt schützen Sie stärkere Hände. Ich als einfaches Slawenherz war stets ein gläubiger Sohn der Kirche…"

      "Dann ist also alles in Ordnung. Ich höre den Wagen des Kardinals. Gehen wir."

      Sie setzte sich den Hut auf.

      "Das Kammermädchen, das man mir geschickt hat, versteht nicht viel. Es ist ein Verbannungs-Kammermädchen."

      San Bacco suchte in allen Zimmern nach ihrem Sonnenschirm. Dann stiegen sie ein. Vor einer der Ladentüren, wo sie auf ihre Dame warteten, sagte der Garibaldianer zu dem Tribunen:

      "Ich bewundere diese Frau, denn sie hat mich enttäuscht. Ich kam und meinte Vernunft predigen zu müssen. Sie konnte verbittert sein, nicht wahr, oder kindisch ratlos, oder empört. Nein, durchaus nicht; sie scherzt. Sie hat die kraftvolle Leichtigkeit dessen, der seiner Sache gewiss ist. Diese Frau ist groß!"

      Pavic murrte.

      "Groß, hm, groß, — ich sage nicht nein. Es gibt eine passive Größe. Manche sterben lustig. So ein Aristokrat, der sich guillotinieren ließ, weil irgendeine Liebesgeschichte ihn vom rechtzeitigen Überschreiten der Grenze abhielt, ich halte ihn für eine lächerliche Figur, schon darum, weil er zwecklos ist."

      "Mein Herr! Sie vergessen, zu wem Sie das sagen!"

      San Bacco richtete sich stolz auf. Aber Pavic versetzte ruhig.

      "Sie, Herr Marquis, den ich so hoch verehre, sind ein Mann der Freiheit."

      Und der Mann der zwei Seelen, der San Bacco hieß, wusste nichts zu entgegnen. Der andere sprach weiter.

      "Der aber, an dessen Leben eine große Sache hängt, ist zu kostbar; er darf nicht sterben irgendeiner Chimäre zu Gefallen, und trüge sie den klingendsten Namen. Sollte ich, der ich meinem Volke viel bin, zusehen müssen, wie auf Barrikaden Blut fließt? Muss ich mich statt eines Bauern spießen lassen?"

      San Bacco verstand nicht, er schwieg, und Pavic verbiss sich stumm in seine Idee. Sie hielt ihn besessen bei Tage und bei Nacht. Kaum vom Schlummer erwacht, begann er der Herzogin, als ob sie vor ihm stände, die Gründe vorzuhalten, weshalb das Opfer seines Lebens, das sie verlangt hatte, töricht und verderblich gewesen wäre. Er saß dann im Bett und redete mit dem Mute, den er vor ihrem Angesicht nicht fand, auf sie ein, schallend laut, mit starken Gesten und schließlich ganz erbittert. Er warf ihr seine Nachtwachen vor, seine Heimatslosigkeit und sein gebrochenes Dasein, ja, auch den Tod seines Kindes. In seiner Überreiztheit glaubte er oft, sie habe den Knaben gefordert statt seiner selbst.

      "Und nach so vielen Opfern..!"

      Er vollendete sich den Gedanken niemals, aber sein Gefühl überzeugte ihn, dass sie für so viele Opfer sich ihm hätte geben müssen. Und nie mehr würde sie es tun, er wusste es! Er hatte sie, in einer Stunde,