Der Papst kommt. Andrea Hensgen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Andrea Hensgen
Издательство: Bookwire
Серия: Lindemanns
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783881907408
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hält den Griff in der Hand.

      „Machst Du auch Musik?“

      „Waren Sie früher mal Vertreter oder was?“

      Kolja grinst.

      „Nicht schlecht! Nein, kein Vertreter, wollte Dich bloß ken­nen­lernen.“

      „Hätte ich dann einfach gesagt, an Ihrer Stelle.“

      „Du kannst mich ruhig duzen!“

      Jetzt grinst der Junge.

      „Ach, ich bin etwas scheu bei Fremden.“

      Einverständnis umschließt die beiden, Lucca tritt zur Seite und Kolja in den Flur.

      „Willst jetzt sicher mein Zimmer checken, was?“

      Für das Kind, als das ihn alle noch bis vor vier, fünf Jahren nahmen, hat Lucca einen riesigen Seehund am Kopfende des ­Bettes liegen lassen. Dessen breiter Rücken dient ihm offenbar als ­Kissen. Seine Kinderbücher füllen ein ganzes Regalbrett, werden ­gehalten von einer hohen, weißen Kerze mit einer senkrecht verlaufenden Inschrift in roten Wachsbuchstaben. An der Wand zwei dunkle Poster mit Gitarre spielenden Jungs, jede Menge Auszeichnungen für gewonnene Turniere und eine Weltkarte mit leuchtend roten Markern drauf.

      „Warst Du da überall schon?“

      „Nö, aber da will ich hin.“

      „Ja, kann ich Dir nur zu raten, die Welt anzuschauen.“

      „Meine ich nicht. Da werden überall geile Gebäude von mir stehen, ich werde mal Architekt!“

      In Koljas Rücken betritt Simona das Zimmer und das Gespräch bricht ab.

      Gegenüber einem anderen als Fritz hätte es den Beginn des Abends vermutlich eher beschwert als in Schwung gebracht, dass Kolja gerade gelang, was dem Hausherrn seit Monaten verwehrt ist, das Zimmer des Sohnes seiner Freundin zu betreten.

      Fritz nimmt es als erneute Bestätigung. Mithin hat Kolja nicht nur gleich an diesem ersten Abend seine eigene Neugierde gereizt und tags darauf mit Simona einen schönen Sonntagmittag verbracht, sondern sogar Lucca auf Anhieb für sich gewinnen ­können.

      Wie er mit den Flaschen seiner Bar an dem Nebentisch hantiert und guter Laune diese und jene Anekdote zum Besten gibt, trägt Fritz es zur Schau, seinen Stolz darauf, dass dieser Fremde heute Abend mit am Tisch sitzt. Kolja ist noch unentschieden, wer von beiden es angetrieben hat, ihn einzuladen, und welche Absicht Fritz oder Simona oder die beiden im Einverständnis miteinander damit verfolgen.

      Ein weiteres Ehepaar wurde eingeladen, vermutlich aus Sorge, für alle Fälle genügend interessanten Gesprächsstoff bereitzuhalten. Oder hat Kolja diese beiden Simona zu verdanken, ihrer Scheu, Fritz und ihm alleine gegenüberzusitzen?

      Ein Mann Anfang sechzig, der es zu was gebracht im Leben, trotz oder wegen seiner knorrigen, alles andere als jovialen ­Haltung. Unverhohlen mustert er Kolja, mit einer ihm wahrscheinlich zur Gewohnheit gewordenen Selbstgefälligkeit, nach jahrelanger ­Taxierung seiner Mitarbeiter. Die Frau an seiner Seite schiebt derweil das Besteck rund um ihren Teller hin und her. Was sie ­anfangs an ihm bewunderte, seine unzugänglich-herbe Männlichkeit, wird sie seit Jahren abzudämpfen wissen, in vermittelnden Gesprächen mit den Kindern und seinen Angestellten. Es lohnte nicht, ihm gegenüber darüber ein Wort zu verlieren oder gar ­einen Streit zu riskieren.

      „Friedel und Eva, unsere Nachbarn“, so wurden sie Kolja von Fritz vorgestellt.

      Kaum sind die Teller abgetragen, setzt Friedel das Thema, als setze er es auf den leeren Tisch. Es wird sich bald erschöpft ­haben, nach ein paar lapidaren Sprüchen, schon allein, um den ­stummen Gast nicht zu langweilen. Koljas Blick schweift durch das Zimmer. Großformatige Kunst aus Afrika, in dunklen, erdigen Farben, dazwischen einige streng stilisierte schwarz-weiße Masken. Vom Boden wachsen Stapel von Büchern die Wände hoch, Simona wird sie angeschleppt haben.

      Friedel lässt seine Hand auf die Tischplatte fallen, Kolja schreckt auf.

      „Das wird den Leuten erst die Augen öffnen, was der Staat für die Kirche zahlt, wenn sie es so weit treiben, dass die Stadt für die Kosten aufkommen soll.“

      Friedel schnauft.

      „Das läuft hier nicht, Fritz. Das winken die Karlsruher nicht einfach durch, wenn die Stadt den ganzen Aufwand für diesen Ein-Tages-Besuch bezahlen soll! Nach Plan verbringt der im Ganzen keine vollen vier Stunden hier.“

      „Sie werden es zum Staatsbesuch erklären, und schon sind sie fein raus, immerhin reist er ja auch als Oberhaupt des Vatikans an.“

      Simona seufzt, sieht Kolja entschuldigend an und fasst Fritz am Arm.

      „Vielleicht sollten wir Kolja ...“

      „Ja, klar, aber das wissen Sie doch sicher mittlerweile, dass es Leute gibt hier in der Stadt, wie Friedel, die nicht einsehen ­wollen, warum die Karlsruher für diesen Besuch eine Menge Geld ­bezahlen sollen, wo tatsächlich andere, sinnvollere Aufgaben warten, für die der Stadt seit Jahren die Mittel fehlen.“

      Fritz wendet sich wieder Friedel zu, mit einem Lächeln, das ein starrsinniges Kind begütigen würde.

      „Und was sagst Du dazu, dass es mittlerweile eine Bürgerinitiative gibt, die auf dem Turmberg ein Windrad aufstellen will, mit Engelsflügeln, um den Papst angemessen zu begrüßen?“

      „Wie, für immer, zur Stromerzeugung oder was?“

      „Klar, und zur ewigen Erinnerung an den Besuch des Papsts.“

      „Früher waren es die Kreuzzüge, diese Christen können wohl nicht anders als gewaltsam zu missionieren.“

      Friedel wischt sich mit einer Serviette den Schweiß von der Stirn, in diesem Augenblick beugt sich Simona über den Tisch. Dieselbe Goldkette, wieder fällt sie von ihrer Brust hinab, und das Leuchten der Kerze funkelt darin.

      „Kolja muss ja denken, außer dem Papst hätten die Karlsruher keinen Geprächsstoff mehr.“

      Fritz legt seine Hand beschwichtigend auf Simonas Arm. Die Bewegung fängt Koljas Blick, wie dessen kurze, breite Finger den schmalen, sehnigen Arm umschließen – in diesem Moment sieht Fritz zu ihm auf.

      „Nun, dann erzählen Sie doch mal! Wir können das Papst-Thema ja weiter fassen, ich meine, kunsthistorisch betrachten. Sie haben sich doch mit Simona „Die Geburt Christi“ angeschaut.“

      „Ja, Sonntag vor zwei Wochen, und gestern war ich wieder dort, in der Kunsthalle.“

      „Was, extra wegen dieses Bildes?“

      „Ja, und die Kunsthalle hat ja auch sonst genug zu bieten.“

      Wie konnte Kolja diese Unbesonnenheit entschlüpfen? Beide Paare sehen ihn neugierig an. Er neigt sich zurück auf seinem Stuhl und nickt ihnen zu als genügte es, mittels dieser Geste eine Erklärung bloß anzukündigen.

      Simona schüttelt unmerklich den Kopf. Eine verstohlene, hilflose Warnung, wahrscheinlich ist sie die Einzige hier im Raum, die es gut mit ihm meint.

      „So ist es ja oft, da steht man vor einem beeindruckenden Gemälde, könnte hunderterlei entdecken und klebt an dieser einen schwarzen Ecke, die dem Bild irgendwann verloren ging.“

      „Aber allein wegen des schwarzen Flecks sind Sie doch nicht zu dem Bild zurückgekehrt, oder?“

      Kolja erwidert ruhig Fritzens lauernden Blick.

      „Kennen Sie das Bild?“

      „Es ist mir sicher weniger deutlich als Ihnen vor Augen.“

      Simona steht auf.

      „Ich habe es ja hier, wartet mal!“

      Sie kehrt mit ein paar Kunstkarten zurück und breitet sie aus in der Mitte des Tischs. Eva greift sich eine Karte.

      „Können wir mal mehr Licht machen!“

      Ein