Korner stand voll und ganz hinter der Musik, die er liebte, und ging damit wie mit einem Besitz um, was zu Auseinandersetzungen mit den vermeintlichen Rivalen Chris Barber und Paul Oliver führte. Jüngere Musiker empfanden die besten Charakterzüge des Musikers als inspirierend. In Brians Leben nahm er immer den Platz einer sympathischen, väterlichen Figur ein. „Alexis war ein netter Kerl, auch in der Art, wie er Brian ernst nahm“, meint Keen. „Einige Menschen hätten einen 19-Jährigen abgeschrieben, der sich zwar durch Leidenschaft und Interesse auszeichnete, aber nicht so richtig wusste, was er da gerade machte. Alexis erkannte Brians absolute Hingabe an die Sache.“
Schon von Anfang an gab sich der zukünftige Stone beharrlich und gewissenhaft in der Beziehung zu Korner. Er und Graham Ride waren erst vor Kurzem in die Bath Road 56 gezogen, in ein kleineres Apartment näher am Stadtzentrum gelegen, da sie sich mit ihrem Vermieter hinsichtlich eines verschwundenen Geldbetrags für die Gaskosten zerstritten hatten. Die beiden hassten die neue Wohnung – zu klein, um sie für Partys zu vermieten –, doch in der Nähe stand ein praktisches Telefonhäuschen, das Brian manipulierte. Indem er eine exakte Zahlenfolge vorwählte, gelang es ihm, Korners Londoner Nummer kostenlos anzurufen. Bald erfuhr er von einem geplanten Auftritt Korners im Oktober in Cheltenham. Erneut ebneten er und Graham sich den Weg zur Garderobe des Gaumonts, wo Brian die schlappe und lustlose Bill-Haley-Show gesehen hatte. Danach gingen die beiden mit Korner sowie Sonny Terry und Brownie McGhee ins Waikiki – zwei Blueser, die das gewerkschaftliche Auftrittsverbot für US-Musiker dadurch umgingen, dass sie sich als „Entertainer“ ausgaben.
Brian war in der Gegenwart von Brownie und Sonny völlig unbefangen. Letzterer hatte ein so schlechtes Sehvermögen, dass Brian und Graham ihm die Speisekarte des Waikiki vorlesen mussten. Sonny entschied sich für Steak and Kidney Pie. Während die Bluesmen aus Mississippi sich das klassisch britische Essen herzlich schmecken ließen, hielt Brian das Gespräch am Laufen. „Er ließ seinen Charme spielen“, erinnert sich Graham. „Darin war er gut, und zugleich kenntnisreich und beredt.“ Es sollte eine weitere Stufe zur Aufnahme in Korners großer Familie sein.
Brian und Dick Hattrell fuhren oft per Anhalter nach London. Die Trips waren strapaziös, trotz der gelegentlichen Freundlichkeit des einen oder anderen LKW-Fahrers, der auf Brians Masche hereinfiel, und das Geld für Eier und Fritten an einem Rastplatz springen ließ. „Mein Gott, wie schrecklich. Das dauerte immer so lange“, meint Dick. „Doch es lohnte sich. In Alexis’ Haus angekommen, beschlich einen schnell das Gefühl, im Anwesen eines Lords zu wohnen.“
Korner erläuterte Brian seine Pläne – wie er eine rein elektrische Bluesband gründen wollte, gemeinsam mit Cyril Davies, dem meist gereizten Mundharmonikaspieler und ehemaligen Arbeitskollegen vom Barrelhouse Blues Club. Cyril, von Haus aus Autoschlosser, ähnelte optisch ein wenig Lyndon B. Johnson, doch war er Großbritanniens erster Meister des „Mississippi Saxofons“ – der durch ein Mikrofon verstärkten Mundharmonika, wie sie auch von Little Walter und James Cotton gespielt wurde. Daraufhin schmiedete Brian eigene Pläne. Mehrere Wochen lang versuchte er Gordon Harper, einen Sänger aus Cheltenham, zu überreden, mit ihm eine elektrische Bluesband aufzuziehen. „Gordon war ein Versicherungsverkäufer mit einer Topffrisur, ein netter Kerl“, meinte der gemeinsame Freund Ken Ames. Harper verbrachte seine Wochenenden mit dem Bluesspiel im Stil von Big Bill Broonzy, was ihm sichtlich Spaß bereitete. Jedoch glaubte er felsenfest an wirtschaftlich schlechte Perspektiven. „Mit einer Bluesband wird man es niemals schaffen“, warnte er Brian. „Das ist nicht kommerziell. Es ist Musik für Spezialisten.“
Diese alte Leier hörte man im Jahr 1961 überall. Brian Jones, der durchgeknallte, verdorbene und böse Junge aus Cheltenham, war der Einzige, der solche Prognosen in Frage stellte. Prognosen, die nicht nur außenstehende Personen aufstellten, sondern auch Insider. Sogar sein neuer Freund Alexis Korner bezog beharrlich diese Position. Brian interpretierte den R’n’B (wie er den Stil bezeichnete) als Populärmusik, die per Zufall von Afroamerikanern gemacht wurde. Korner und sein Kreis mochten die Musik jedoch aus einem besonderen Grund – eben weil sie so unpopulär war. „Wir glaubten immer, dass sie exotisch klang und einen exklusiven Charakter hatte“, erzählt Bobbie Korner. „Vermutlich glaubten wir, uns für etwas zu interessieren, das ein überwiegender Teil der Bevölkerung nie verstände. Dieser Einstellung lag eine gewisse Arroganz zugrunde. Wie verhielten uns wie eine Stammesgruppe.“
Einzig und allein Brian hatte die Vision, dass der raue elektrische Blues der Jugend von Großbritannien gefallen könnte, und nicht nur einem kleinen Kreis von Bohemiens. Er zeigte sich von der Tatsache unbeeindruckt, dass andere das nicht so sahen, und weitete seine Suche nach Seelenverwandten aus. Die Szene in Oxford, zu der er mit einem kleinen Kreis von Unterstützern der „Kampagne für nukleare Abrüstung“ (CND) wie Harry Washbourne und Barry Miles reiste, erschien viel versprechend, besonders als er zufälligerweise dem enthusiastischen Blues-Fan Paul Pond begegnete, der erst kürzlich in die Stadt gezogen war und „meines Wissens die einzige Bluesband in Großbritannien gegründet“ hatte.
Wie auch Brian entdeckte Paul Pond – schon bald als Paul Jones bekannt – den Blues über den Jazz. Er war Feuer und Flamme für den Chicago-Blues-Sound und Mundharmonikaspieler wie Sonny Boy Williamson 1 und 2, James Cotton und Junior Wells. Ähnlich wie Brian musste er bei der Gründung einer Bluesband ein großes Netz auswerfen: „Ich hatte zwei Abtrünnige einer traditionellen Gruppe am Bass und an den Drums, einen vom Mainstream-Kram kommenden Frühen-Modern-Jazz-Gitarristen … und einen Saxer, der durch und durch dem Modern Jazz zugetan war.“
Paul Jones wurde nach John Keen der nächste musikalische Mitstreiter Brians. Das exakte Datum des ersten Treffens in Oxford lässt sich nicht mehr bestimmen, doch mit großer Sicherheit begegneten sich die zwei im Oktober 1961, und zwar aufgrund der Verbindung zwischen Cheltenham und der Oxforder Kunsthochschule oder der CND. Paul zeigte sich augenblicklich von Brian überzeugt: „Er war beredt, holte weit aus und hatte feststehenden Ansichten – über den Blues und alles Mögliche. Ich mochte ihn sehr, für mich schien er der richtige Typ zu sein. Doch über allem stand eine unumstößliche Tatsache – er spielte wirklich gut. Trotz seiner Fähigkeiten musste er andere nicht ständig darauf aufmerksam machen.“
Paul konnte als Erster Brians musikalische Unternehumungen nachvollziehen. Der zukünftige Stone hatte schon längst das Erlernen der elektrischen Slide-Gitarre hinter sich gelassen und sich die Blues-Mundharmonika „draufgeschafft“. Paul hingegen gab sich alle Mühe, den Stil von Little Walter und Sonny Boy in sich aufzunehmen, woraufhin Brian ihm einen Kniff verriet: Das Geheimnis lag darin, „Cross-Harp“ zu spielen, also eine Mundharmonika zu benutzen, die eine Quinte über der eigentlichen Tonart lag. Viele Musiker hüteten solche Tricks wie ihren Augapfel, doch Brian gab sein Wissen weiter. „Es war, als hätte er die Türen zu einem unbekannten Königreich geöffnet. Die Tatsache, dass er das ausgetüftelt hatte, beeindruckte mich. Ich konnte sofort loslegen. Allein dafür werde ich ihn für alle Zeiten wertschätzen. Dann spielten wir zusammen und eröffneten ein neues Kapitel. Brian trampte an Freitagabenden nach Oxford. „Nicht jede Woche, aber mehr als einmal. Er oder ich hörten von einer Party, tauchten da auf – Brian mit seiner Gitarre – und jammten oder auch nicht, abhängig davon, ob die Stimmung offen und locker war. Im selben Herbst begegnete Paul auch Eric Clapton und seiner Truppe The Roosters. Clapton sagt von sich selbst, er habe in dieser Phase „auf der Bremse“ gestanden. Paul Jones Aussage nach entwickelte sich Brian damals hingegen mit höchstem Tempo weiter. „Er zeigte sich so zielstrebig und entschlossen. Zu der Zeit kannte ich niemanden, der so gut spielte. Niemanden – auch keinen Alexis, um das zu unterstreichen.“
Brians